Dienstag, April 23, 2024

Bolivien: Präsident tritt zurück – Militär und Polizei schlossen sich Protesten der Bevölkerung an

Boliviens Präsident Evo Morales hat am Sonntag seinen Rücktritt erklärt. Der frühere Koka-Bauer und erste indigene Präsident des Landes bescherte Bolivien eine ungewöhnlich lange Periode der politischen Stabilität und des Wirtschaftswachstums. Sein Versuch, sich entgegen der Verfassung eine vierte Amtszeit zu sichern, wurde ihm zum Verhängnis. Er wurde von Bevölkerung, Polizei und Militär zum Rücktritt gezwungen.

Wien, 11. November 2019 /  Nach der Wahl am 20. Oktober hatte sich Evo Morales direkt zum Sieger erklärt – unter dubiosen Umständen: Zunächst sah es so aus, als hätte er die notwendigen zehn Prozentpunkte Abstand zu seinem Kontrahenten Mesa verfehlt. Die Auszählung wurde plötzlich gestoppt – bis heute ist unklar, warum und durch wen. Morales erklärte sich 24 Stunden später in einer Ansprache zum rechtmäßigen Sieger. Die Opposition, die EU und die Organisation Amerikanischer Staaten meldeten erhebliche Zweifel an dem Ergebnis an.  Massive Proteste in der Bevölkerung folgten, in einigen Städten schlossen sich Polizisten den Protestmärschen an.

Möglichkeit zur Wiederwahl selbst installiert

Ende 2005 wurde der ehemalige Koka-Bauer erstmals zum Präsidenten gewählt. Nach seiner ersten Amtszeit wurde der erste indigene Präsident zwei Mal in Folge wiedergewählt – eine vierte Möglichkeit zur Kandidatur hätte Boliviens Verfassung allerdings nicht erlaubt. Die Justiz griff dem 59-Jährigen unter die Arme: die Begrenzung der Amtszeiten sei eine Verletzung seiner Menschenrechte, so wurde die vierte Wiederwahl ermöglicht.

Die Beobachtermission der OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) überprüfte mit Zustimmung der bolivianischen Regierung die Wahlergebnisse – und schrieb in ihrem Bericht von „Manipulation“ und „schwerwiegenden Sicherheitslücken“. Es sei „statistisch gesehen unwahrscheinlich“, dass Morales die notwendigen zehn Prozentpunkte Vorsprung erzielt hätte. Als Morales daraufhin eine Neuwahl ansetze, war es zu spät. Heftige Proteste und gewalttätige Ausschreitungen zwangen ihm zum Rücktritt – und zuletzt die Aufforderung zum Rücktritt durch den Militär- und den Polizeichef des Landes.

Drei Amtszeiten: Wirtschaftliches Wachstum und politische Stabilität

Das Ende seiner Amtszeit war zwar chaotisch – aber Morales hatte dem Andenland eine ungewöhnlich lange Periode politischer Stabilität und wirtschaftlichen Wachstums beschert. Mit fast 14 Dienstjahren als Staatschef weist er die längste Regierungszeit der Geschichte Boliviens auf. Vor ihm gab es in einem Jahrhundert 60 Regierungen, viele von ihnen unter der Knute der Militärs.

Der Indio-Präsident verhalf Bolivien nicht nur zu wirtschaftlicher und politischer Stabilität, er setzte sich vor allem für die Rechte der lange ausgegrenzten Indio-Mehrheit des Landes ein. Unter seiner Führung ging der Analphabetismus in der Bevölkerung stark zurück, Arbeitslosigkeit und Armut gingen stark zurück.

Sozialist in Gefahr: wird der Präsident jetzt verhaftet?

Kurz nach Morales trat auch dessen Vizepräsident Álvaro García Linera zurück. Beide erklärten, sie wollten mit ihrem Schritt eine weitere Eskalation der Gewalt verhindern. Beide sprachen von einer „bürgerlich-politisch-polizeilichen Verschwörung“: Von einem Staatsstreich, angeführt vom unterlegenen Präsidentschaftskandidaten und früheren Präsidenten Carlos Mesa. Morales twitterte von einem illegalen Haftbefehl gegen ihn – und von gewalttätigen Gruppen, die seien Wohnsitz angriffen.

Schwerer Schlag für die Linke Südamerikas

Selbst Kind indigener Eltern, schlug sich Morales als Bergmann, Ziegelträger, Bäcker und Trompeter durch, bevor er 1981 seine politische Karriere in der Gewerkschaft der Koka-Bauern begann. Er stieg bis zum Generalsekretär auf – und gründete die Bewegung zum Sozialismus (MAS), mit der er schließlich 1997 ins Parlament einzog.  Sein Abtritt ist ein schwerer Schlag für die Linke Südamerikas, die in den vergangenen Jahren immer mehr geschwächt wurde. Die linken Präsidenten Argentiniens, Brasiliens und Chiles wurden in den vergangenen Jahren abgewählt.

Militär lässt Morales fallen

Entscheidend für den Morales’ Sturz war, dass sich zuletzt auch Gewerkschaften und Militär, die dem Präsidenten bisher die Treue gehalten hatten, von ihm abwandten. Gestern hatte Boliviens mächtiger Militärchef Williams Kaliman Morales zum Rücktritt aufgefordert. Die linksgerichteten Regierungen Kubas und Venezuelas sprachen daraufhin von einem “Staatsstreich”.

(lb)

Titelbild: APA Picturedesk

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