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Grüne: Regieren, trotz Kurz – Peter Pilz kommentiert

Die Grünen werden mit Sebastian Kurz über eine Regierung verhandeln. Das ist keine Entscheidung, sondern eine Selbstverständlichkeit. Wenn einem die Chance, die politische Zukunft mitzubestimmen, eingeräumt wird, dann ergreift man sie. Und läuft nicht vor ihr davon.

Wien, 11. November 2019 / Die Entscheidungen kommen jetzt, eine nach der anderen. Vieles erinnert an 2003. Aber trotzdem ist fast alles anders.

Von Schüssel zu Kurz

Wolfgang Schüssel war der Chef einer christdemokratischen Partei im alten Europa. Seine ÖVP vertrat die Interessen der „Wirtschaft“, von Raiffeisen bis Airbus. Sebastian Kurz ist der Chef der neuen ÖVP. Sie hat nur ein Interesse: die Macht, ihren Erhalt und ihren Ausbau, wie ihre politischen Verwandten in den rechtspopulistischen Parteien von Ungarn bis Italien.

Kurz steht für ein System der neuen Oligarchen. Sie übernehmen für ihn Zeitungen, er übernimmt für sie Justiz und Polizei. Ganz oben auf dem internen Programm der ÖVP steht die Gleichschaltung der Justiz und die Ausschaltung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Benko übernimmt Kurier, Krone und Profil. Das Justizministerium lässt eine Anklage gegen ihn niederschlagen. Das eine hat mit dem anderen natürlich nichts zu tun.

Innenministerium, BVT, Staatsanwaltschaft, ORF. Darum geht es der ÖVP. Dafür ist sie bereit, den Grünen ein Angebot zu machen: eine Klimainsel in einem türkisen Meer. Wenn die Grünen darauf einsteigen, werden sie feststellen, dass der Meeresspiegel schnell steigt.

In den Verhandlungen mit der ÖVP spricht eines für die Grünen: Von der Bildung bis zum Klimaschutz haben sie die Vernunft auf ihrer Seite. Aber 33 Jahre ÖVP-Regierungen haben gezeigt: Die Suche nach den besten Lösungen spielt in der Politik der ÖVP eine untergeordnete Rolle. Das hat sich auch unter Kurz nicht geändert. Aber warum will eine rechtspopulistische ÖVP, die auf Umwelt, Rechtsstaat und Menschenrechte pfeift, mit den Grünen regieren? Darauf gibt es mehrere Antworten:

  1. Mit der FPÖ ist der natürliche Partner derzeit nicht verwendbar;
  2. Sebastian Kurz will sein Ansehen in der EU und bei der Jugend wiederherstellen;
  3. Die ÖVP rechnet sich sachlich und personell auch mit den Grünen ein leichtes Spiel aus.

Doppelt sauber und vernünftig

Es ist im Grunde ganz einfach: Der Regierungseintritt der Grünen ist der Beginn einer neuen Politik – oder er ist der Anfang vom zweiten Ende der Grünen. „Saubere Umwelt und saubere Politik“ – das ist die Kurzfassung des grünen Versprechens. Jetzt wird sich zeigen, was die Grünen davon halten können.

  1. Saubere Umwelt

Die Grünen müssen eine große ökologische Steuerreform durchsetzen. Die ÖVP lehnt sie ab. Einer von beiden muss nachgeben. Das dürfen nicht die Grünen sein.

  1. Saubere Politik

Die Grünen müssen das schärfste Parteiengesetz Europas durchsetzen und den Rechtsstaat vor der ÖVP schützen. Darum geht es jetzt: Kontrolle der Parteifinanzen durch den Rechnungshof; illegale Parteienfinanzierung ins Strafgesetzbuch, aber vor allem: Das Justizministerium darf nicht in die Hände der ÖVP fallen.

  1. Vernünftige Ausländerpolitik

Das ist der einzige Punkt, wo es um einen Kompromiss geht. Dessen Kern lässt sich in einer einfachen Formel zusammenfassen: „Die Richtigen hierbehalten – und die Richtigen abschieben“.

Wenn das alles nicht geht, dann geht es nicht. Wenn das geht, dann lohnt sich zumindest der Versuch mit einem Partner, dem man aus guten Gründen kaum trauen kann.

Transparenz

Ich nehme an, dass auch die Grünen das besondere Talent ihres neuen Partners kennen. Sebastian Kurz schmiegt sich an seinen künftigen Partner, dass kein Blatt Löschpapier zwischen beide passt. Zwei Jahre später, wenn der Partner entsorgt wird, ist auch das Löschpapier verschwunden.

Am Beginn der Löschpapier-Nummer steht Message Control. „Nur wenn wir mit einer Zunge sprechen, sind wir erfolgreich.“ Die FPÖ hat viel zu spät erkannt, dass Zunge, Mund und Medien von der ÖVP kontrolliert wurden. Wer eine Regierung mit Kurz überleben will, braucht von Anfang an zweierlei: kritische Distanz und Transparenz. Die ÖVP lebt am besten hinter verschlossenen Türen. Für die Grünen sollte das Gegenteil gelten.

Die nächsten Wochen entscheiden, ob Österreich neu regiert wird. Persönlich glaube ich, dass das mit Sebastian Kurz und seiner türkisen Sekte nicht möglich ist. Die Grünen werden es bald wissen. Wenn die Grünen mit und trotz Kurz einen politischen Neubeginn schaffen, dann ist ihnen etwas Besonderes gelungen. Wenn nicht, dann haben alle miterlebt, woran die dritte Regierung mit Sebastian Kurz gescheitert ist.

 

Ein Kommentar von Herausgeber Dr. Peter Pilz

Titelbild: APA Picturedesk

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