Donnerstag, März 28, 2024

Autoindustrie am Ende?

Millionen Arbeitsplätze in Gefahr
Eine Hintergrundbericht

Weltweit brechen die Absatzzahlen für Autos ein. Am chinesischen Markt, früher ein Wachstumsgarant, üben sich die Verbraucher in konsequenter Kaufzurückhaltung. Der US-Präsident Trump hantiert mit Strafzöllen für Autos auf der ganzen Linie. In Europa schlägt der Dieselskandal über die neuen Abgasmessverfahren voll durch. Götterdämmerung für die Autoindustrie? ZackZack.at hat dazu mit einem Insider gesprochen, der anonym blieben möchte.

Die derzeitigen Risiken der Automobilindustrie:

  • Schwächelnde Märkte weltweit für Autos mit hohen Gewinnspannen
  • Falsche personelle Ausrichtung im Produktions- und Entwicklungsbereich
  • Verfehlte Modellpolitik
  • Der Dieselskandal und seine noch immer nicht aufgeräumten Folgen
  • Toxische Verfilzung mit der Politik
  • Verändertes Verbraucherverhalten
  • Neu IT-basierende Mobilitätsangebote
  • Aufziehende Klimakatastrophe
  • Unklare Brückentechnologien
  • Ungelöste Markenfrage
  • Veränderungen im Werkstätten-Bereich

Wien, 24. November 2019 / Viele Verbraucher fühlen sich derzeit von der Automobilindustrie hintergangen und sind enttäuscht. E-Autos bleiben weltweit eine bescheidene Minderheit. Hybride sind es ebenfalls. Auch in China kann die Mehrwertsteuersenkung den Absatz nicht entsprechend ankurbeln. Und Donald Trump setzt auf Wirtschaftskrieg via Zölle, um sein „America-First“ durchzusetzen. Es kracht laut im Gebälk der Autoindustrie. Damit stehen Millionen von Arbeitsplätzen weltweit auf dem Spiel.

Den klassischen Autobauern geht das Geld aus

Hartwig Müller, (Name wurde von der Redaktion geändert), arbeitet in der Vorstandsetage eines großen Automobilzulieferers. Angesprochen auf die aktuellen Entwicklungen bei Daimler erhalten wir folgende Antwort:

„Daimler geht das Geld aus, den anderen klassischen Automobilbauern geht es auch nicht besser. Die gesamte Brache ist dazu gezwungen neue Technologien zu entwickeln. Gleichzeitig aber verdienen sie mit den elektrischen Fahrzeugen kein Geld, sondern müssen sogar noch drauflegen.“

Sparen bei der Mannschaft – auch in Graz

Daimler fährt nicht ohne Grund ein massives Sparprogramm von 1,4 Milliarden Euro bei den Personalkosten. Continental, ein weltweit tätiger Autozulieferer, schließt drei Werke in Deutschland und entlässt 3.600 Mitarbeiter. Betroffen sind die Werke in Dinslaken, Bottrop und Paderborn. Selbst ein Familienbetrieb wie der Autozulieferer Benteler, eigentlich ein Hort wirtschaftlicher Stabilität und umsichtiger Planung, will 600 Stellen streichen. Jeder sechste Mitarbeiter könnte dort arbeitslos werden. Bei Magna Steyr in Graz, so berichtet der “Kurier”, werden wohl nach der Landtagswahl bald alle Leiharbeiter ihren Job verlieren. Hier geht es um 1.800 Menschen. Ein Niedergang der Automobilindustrie, wie wir sie kennen, dämmert herauf. Keiner weiß aber so recht, was kommen wird.

Aufs falsche Pferd gesetzt

 „Noch haben fast alle Autokonzerne große Mannschaften in der Entwicklung von Verbrennungsmotoren, die sie in dieser Größenordnung aber nicht mehr brauchen werden.“ Hartwig Müller bringt es auf den Punkt. Zulange wurde vor allem in Deutschland am Konzept Verbrennungsmotor festgehalten. Viele Politiker ließen sich von den Versprechen der Autobauer für extrem saubere Verbrenner einlullen. Doch letztlich lässt sich die Chemie der Verbrennung nicht überlisten. Und Abgasreinigung ist teuer und nimmt viel Platz weg.

Einzig Volvo hat als europäischer Automobilbauer radikale Schritte in seiner Modellpolitik gesetzt und große Motoren aus seinem Programm verbannt. Mit einem Mietmodell versucht der schwedische Hersteller in chinesischem Besitz, sich von Autohersteller zum Mobilitätsanbieter zu entwickeln.

In Japan wurden bisher zwei Millionen Hybridfahrzeuge verkauft. Wasserstoffbetriebene Autos gibt es in Tokio ebenfalls im Alltagsbetrieb zu sehen. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich in China bei den E-Autos ab. Für chinesische Hersteller ist ist es leichter E-Fahrzeuge zu entwickeln, als mit Verbrennungsmotoren angetriebene Autos. Massive Umweltprobleme zwingen hier zu einem Umdenken.

Tödliche Allianz von Politik und Industrie

Die Verfilzung von Politik und Autoindustrie hat letztlich zum Dieselskandal geführt. Gerade in Deutschland, wo jeder siebente Arbeitsplatz an der Autoindustrie hängt, erweist sich diese Nähe gerade als extrem toxisch. Teure Rückrufaktionen, Milliardenstrafen in den USA, anhängige Gerichtsverfahren in Europa und ein weltweit stotternder Absatz klassischer Automobile haben die einst prall gefüllten Kassen der deutschen Automobilbauer ausgedörrt. Auch die immer stärker sichtbaren Folgen der heraufziehenden Klimakatastrophe haben bei vielen Verbrauchern zum Umdenken geführt. Individuelle Mobilität via Automobil ist in die Kritik geraten.

Tesla nicht ernst genug genommen

Elon Musk ist ein disruptives Element. Seine Vision haben zu veränderten Märkten geführt. Sei es Paypal im Internetbereich, SpaceX in der Raumfahrt oder eben Tesla im Automobilbereich. Musk hat Elektroautos salonfähig gemacht. So hip, dass es heute für die Reichen und Schönen zum guten Ton gehört, einen Tesla zu fahren. Damit haben viele Autobauer nicht gerechnet. Porsche hat gerade seinen extrem teuren E-Sportwagen vorgestellt. Vielleicht Jahre zu spät?

Fehlender Weitblick

Hans Müller zum Thema: „Außerdem kommt ein weiterer strategische Fehler dazu: die meisten der klassischen Hersteller haben sich nicht früh genug mit Batteriekapazität eingedeckt. Diese müssen sie nun teuer bezahlen.“ Rohstoffe von Batterien werden immer knapper, denn Autos brauchen verhältnismäßig riesige Batteriespeicher. Noch warten wir alle auf den Durchbruch bei der Batterietechnologie in Bezug auf Rohstoffverbrauch, Herstellung und Handhabung. Momentan müssen die Batterien gekühlt oder beheizt werden und sind im wahrsten Sinne des Wortes noch immer brandgefährlich.

Das Wartungsgeschäft verändert sich

Elektroautos sind deutlich einfacher gebaut als Verbrenner. Teure Wartungsarbeiten entfallen. Das Hamburger Handelsblatt berichtet, dass der Markt für das Geschäft der Werkstätten und mit Ersatzteilen, dem sogenannten Aftermarket, beim Umsatz der Autohersteller massive einbrechen wird. Von 25% Umsatzanteil auf 19% soll der Anteil des Aftermarkets sinken. Bei einem geschätzten Marktvolumen von 800 Milliarden Euro sind das knapp 200 Milliarden weniger Umsatz pro Jahr.

Werkstätten sind extrem gefordert

Die Elektromobilität ist für viele Werkstätten eine extreme Herausforderung. Weil deutlich weniger Verschleißteile im E-Auto eingebaut sind, müssen sie seltener repariert werden. Der klassische Ölwechsel entfällt überhaupt komplett. Teure Reparaturen betreffen in Zukunft die Batterie und nicht mehr Motor und Getriebe. Software-Updates werden wohl nicht mehr in der Werkstatt, sondern über das Internet direkt vom Hersteller ins Auto übertragen.

Dazu kommt die Personalfrage. Ein klassischer Kfz-Mechaniker hat heute kaum Erfahrung mit der Reparatur von Elektrofahrzeugen. Es kann gut sein, das völlig neue Dienstleister diese Lücke füllen. Gelingt dann auch noch der Schritt zum autonomen Fahren, werden die Unfallzahlen massive zurückgehen und damit bricht das Geschäft mit Unfallreparaturen weg.

Noch fehlt die Brückentechnologie

Hartwig Müller sieht eine weiter große Unbekannte. Was passiert die kommenden Jahre, nämlich bis E-Autos ein Massenphänomen sind? Viele große Hersteller entwickeln gerade in allen vier möglichen Bereichen: Verbrennungsmotor, Hybridtechnologie, E-Automobile und Wasserstofffahrzeuge. Doch wie geht es weiter? Gleich E-Autos, wie es in China versucht wird, oder doch Hybride wie in Japan? Oder vielleicht Wasserstoff, weil es immer noch an der Batterietechnologie hapert? Aber ohne Wasserstoffinfrastruktur und einem Herstellungsverfahren aus Erdgas? Befriedigende Antworten sind Mangelware.

Diese Situation kostet die Automobilhersteller viel Geld in Forschung und Entwicklung. In einem schrumpfenden Weltmarkt, der wesentlich weniger Gewinne abwirft, kann das für einzelne Marken tödlich sein.

Mobilität neu denken

Uber, E-Scooter, Leihfahrräder und Car-Sharing sind nur einige Beispiele dafür, wie sich individuelle Mobilität in Zukunft gestalten wird. Beim Car-Sharing spielen manche Autokonzerne zwar mit, aber sie verdienen damit kaum oder gar kein Geld. Das Geschäftsmodell der traditionellen Automobilhersteller ist sichtbar außer Tritt geraten. Alternativen sind rar. Daimler sieht als Problemlösung die Schwer-LKW-Sparte. Hier sollen die hohen Gewinnmargen in der nahen Zukunft fließen. Teure Abgasreinigungsanlagen, mittlerweile mit fünf Phasen, lassen sich viel besser in einen LKW einbauen als in einen PKW. Es gibt einfach mehr Platz für Anlage und Tanks für Additive. Doch zukünftige Mobilitätskonzepte für Ballungsräume haben keinen Platz mehr für schwere LKW. Auf der sogenannten letzten Meile kommen diese schlicht nicht mehr vor. Und auf der Langstrecke wird an E-Mobilität via Oberleitung geforscht.

Uber und die Markenfrage

Uber ist ein anderes Beispiel dafür, dass IT-Konzerne und nicht unbedingt Autohersteller in der Mobilität der Zukunft kräftig mitmischen. Mobilität ist keine Frage der Hardware mehr. Das Smartphone, nicht das Automobil, wird zur persönlichen Mobilitätszentrale. Damit wird die Automarke für den Nutzer zweit- und drittrangig. Letztlich ist das ein unlösbares Problem für die Autohersteller.

Autos haben keinen mehr Platz in den Ballungsräumen

Die Generation Z zeigt, dass heute das Handy das Markenprodukt zum Herzeigen ist, nicht mehr das Auto. Die Fahrschulen in den Ballungszentren Europas können ein Lied von dieser Entwicklung singen. Die Tatsache, dass Neuwagen für junge Menschen überhaupt unerschwinglich sind, ist dabei offenbar nur mehr ein Nebenaspekt. Letztlich werden die klassischen Autokäufer in den Ballungsräumen aussterben oder zumindest eine Minderheit bilden. Bei Autobesitzern in Tokio sinkt die Jahreskilometerleistung von Jahr zu Jahr und liegt bei rund 7.000 Kilometer. Junge Japaner besitzen deshalb kaum noch Autos, auch weil Abstellplätze in den japanischen Städten extrem teuer sind. Das funktioniert deshalb, weil der öffentliche Verkehr sehr gut ausgebaut ist.

Was passiert mit dem Flottengeschäft?

Das Neuwagengeschäft ist im deutschsprachigen Markt zu einem guten Teil ein Geschäft mit Dienstwagen geworden. Das Auto als Gehalts- und Prämieninstrument hat die Tatsache, dass Neuwagen immer weniger von privaten gekauft werden, übertüncht. Doch auch Firmen denken langsam um. Das Auto gilt als Mitverursacher des Klimawandels und ist folglich mit einer verantwortungsvollen Firmenpolitik nur schlecht vereinbar. An dieser Stelle entsteht also weiterer Druck auf die Hersteller. Das Prestige-Objekt Auto hat seinen Zenit längst überschritten.

Was bleiben wird

Alle hier auch nur angerissenen Themen haben das Zeug dazu, einen Markt stark zu verändern. Alles zusammengenommen zeigt, dass komplexe Systeme wie der Automobilmarkt schnell dazu neigen zu kippen, wenn bestimmte Parameter sich zu schnell oder zu nachhaltig ändern.  Noch vor zwei Jahren wurden Beschäftigungsgarantien bei Daimler ausgesprochen, jetzt ist plötzlich alles anders.

Mahnmale Flint und Detroit

Die Situation ist alles andere als rosig für die meisten Automobilhersteller. Das zeigen die aktuellen Meldungen aus der Automobilindustrie und dem Umfeld der Zulieferer. Sehr viele Arbeitsplätze könnten schon in naher Zukunft verschwinden. Die Beispiele der ehemaligen Autostädte Flint und Detroit zeigen uns was übrig bleibt, wenn eine monothematische Industrie auf der Strecke bleibt: Niedergang, Konkurs und Armut.

(sm)

Titelbild und Artikelbilder: pixabay.com CC 4.0; Bearbeitung ZackZack-Grafik

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4 Kommentare

  1. […] Ein weiteres nicht unwichtiges Detail am Rande: Experten sehen den weltweiten Automarkt weiter im Minus. Es wird davon ausgegangen, dass im Jahr 2020 maximal das Niveau von 2019 erreicht werden wird. Das bedeutet, dass mindestens vier Millionen Autos weniger als heuer verkauft werden. Und gerade China, mit 40% Umsatzanteil einer der ganz wichtigen Märkte für VW, schwächelt weiter. Düstere Aussichten auch für Österreich. Die Party scheint zu Ende. Und ob genug Geld für alle da sein wird, das kann ebenfalls in Zweifel gezogen werden – ist die Autoindustrie am Ende? […]

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