Freitag, März 29, 2024

ÖVP lässt „Ibiza“ weiterleben – Kommentar

Kommentar

Die Neue Volkspartei nimmt nicht nur die Grünen in Geiselhaft, sie versucht auch ein hart erkämpftes Minderheitsrecht in Orban-Manier für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Wenn die Kurz-Partei damit durchkommt, ist der Weg in die illiberale Demokratie nicht mehr weit.

Wien, 22. Jänner 2020 / Bei dem Konflikt um den Zuschnitt des „Ibiza“-Untersuchungsausschusses geht es um viel mehr als „nur“ um die thematische Abgrenzung. Es geht auch nicht um rein juristische Fragen, wie die grüne Neo-Klubchefin Sigrid Maurer behauptet.

ÖVP nimmt Grüne in Geiselhaft

Die Aufklärung des wohl größten Skandals in der Geschichte der Zweiten Republik ist im Interesse aller Bürger. Wer da mit bloßen Rechtsfragen kommt, hat die Tragweite von „Ibiza“ nicht verstanden. Dass die Grünen sich innerhalb einer Koalition mit Sebastian Kurz nicht als die Antikorruptionspartei gerieren können, die sie gerne sein würden, ist klar. Doch die eigentliche Schande ist nicht das Verhalten der Grünen, die um die Stabilität ihrer ersten Regierungsbeteiligung fürchten – es ist die ÖVP, die ihren Koalitionspartner in Geiselhaft nimmt, um den Ausschuss in die für sie vorteilhafte Richtung zu lenken. Das ist machtpolitisch zwar erwartbar. Doch gerade, wenn es um den „Ibiza“-Themenkomplex geht, ist Machtpolitik die falscheste aller Antworten.

Von was will die ÖVP ablenken?

War es nicht Sebastian Kurz, der erst die SPÖ mit dem „Ibiza-Video“ in Verbindung brachte, diese Behauptung dann widerrufen musste, aber selbst all jenen mit Klagen drohte, die das bei der ÖVP versucht hatten? Um das Video selbst muss es gar nicht mal gehen, sondern vielmehr um den Inhalt, die Konsequenzen und die vielen Nebenstränge. Was davon war reines Hirngespinst von Strache? Was war vermutlich gar nicht so weit weg von der Realität? Das sind Fragen, auf welche die Republik ausreichend Antworten verdient hätte. Nach der Aufnahme des Videos war Strache immerhin Vizekanzler einer Regierung unter Führung von Sebastian Kurz. Wäre es dann nicht das ureigene Interesse der ÖVP, alles zu tun, damit da nicht einmal der geringste Mief aufkommt?

Wer ist die Kontrolle?

Schließlich war es Kurz, der unmittelbar nach Veröffentlichung des Videos „volle Aufklärung“ verlangte. Doch von wem? Die Opposition kann er nicht meinen, denn diese wird jetzt in ihrem hart erkämpften Recht beschnitten. Dem Recht, auch ohne parlamentarische Mehrheit einen U-Ausschuss einzusetzen. Die ÖVP will bestimmen, was aufgeklärt werden darf und was nicht. Und vor allem, wie die majestätische Selektion des Bundeskanzlers und seiner Hofregierung untersucht werden soll. Denn die Casinos-Affäre soll zwar Thema sein, jedoch nicht die dazugehörigen „Managemententscheidungen“. Preisfrage: wenn das Management zum Teil ÖVP-nah ist, wen treffen solche Untersuchungen dann aller Voraussicht nach nicht? Zum Glück gibt es noch den unabhängigen Verfassungsgerichtshof. Doch wie weit ist es gekommen, wenn man sich auf die letzte rechtliche Instanz verlassen muss?

Der Geist des Viktor Orban

Dieses Politikverständnis ist nicht neu: illiberale Regierungschefs erfreuen sich gerade in der von Kurz so geschätzten Visegrád-Gruppe zunehmender Beliebtheit. Kontrolle über die Erzählung, Kontrolle über die Aufklärung von Skandalen, Kontrolle übers Land. Das alles erinnert vor allem an Viktor Orban. Auch die Beschneidung der Rechte des Parlaments ist Teil des Playbooks des ungarischen Regierungschefs. Kurz orientiert sich an Orban, denn der ÖVP-Chef ist kein Konservativer, wie viele glauben. Er ist ein Rechter. Die Grünen sind nur eine weitere Zwischenstation auf dem Weg zur „Absoluten“. Das ist der Kurz-Traum: die Kontrolle bin ich. Keine Koalitionspartner, keine Opposition, endlich alleine durchregieren können. Das ist das, wonach türkise Regierungspolitik ausschaut: zumindest den Anschein der Demokratie aufrechtzuerhalten, aber gleichzeitig zu betonen „die Roten wollen nicht, die Blauen können es nicht und die kleinen Parteien sind zu klein“.

Wenn Kurz jetzt mit der Beschneidung des U-Ausschusses durchkommt, ist die parlamentarische Demokratie in Österreich nachhaltig beschädigt. Und der Geist von Ibiza darf zumindest weiterleben. Mit freundlicher Unterstützung der ÖVP-Spitze.

Benjamin Weiser

Titelbild: APA Picturedesk

Benjamin Weiser kommentiert

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