Umstrittener Nahost-Vorstoß
Nachdem Donald Trump unter medialem Getöse seinen umstrittenen Nahost-„Friedensplan“ vorgestellt hat, feiert Kanzler Kurz den Vorschlag seines Populisten-Freundes. Experten sprechen derweil von einem gefährlichen Vorstoß aufgrund innenpolitischer Motive.
Washington/Wien, 29. Jänner 2020 / Der immer heftiger unter Druck stehende US-Präsident Donald Trump hat nun seinen umstrittenen Nahost-Plan vorgelegt. Obwohl er von einer „Zwei-Staaten-Lösung“ spricht, sehen Experten in Wahrheit eine Abkehr von derselben.
Kurz auf diplomatischem Glatteis
Sebastian Kurz ist das offenbar egal. Er unterstützt seinen Populisten-Freund in Übersee und feiert den Vorstoß auf Twitter.
I welcome the release of the #US plan which hopefully brings new momentum to the #MEPP having been in a deadlock for far too long. We call on the parties to start negotiations on the basis of this plan under #US leadership with a view to achieving a two-state-solution.
— Sebastian Kurz (@sebastiankurz) January 28, 2020
Der Ex-Außenminister begibt sich damit auf diplomatisches Glatteis. Kurz, der unter seiner gescheiterten türkis-blauen Regierung gerade außenpolitisch um Glaubwürdigkeit kämpfen musste, tritt damit ins nächste Fettnäpfchen. Schon bei der Iran-Krise hatte Kurz erst kürzlich Wien als „neutralen“ Ort für Verhandlungen vorgeschlagen – nachdem er sich zuvor klar auf Seite der USA gestellt hatte. Dafür erntete der Kanzler viel Kritik.
Trump setzt Provokationen fort
Doch warum ist der Vorstoß des US-Präsidenten so gefährlich? Trump hatte schon letztes Jahr für Aufsehen gesorgt, indem er die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen ließ. Das Problem daran: Jerusalem ist zwar laut eigener Auffassung Israels Hauptstadt, wird aber von der Mehrheit der Staatengemeinschaft nicht als solche anerkannt, weil auch die Palästinenser Jerusalem als ihre Hauptstadt sehen. Die Verlegung der US-amerikanischen Botschaft wurde deshalb international als Provokation gegenüber den Palästinensern gesehen.
Bei den umstrittenen Siedlungsgebieten soll jetzt laut Trump-Plan alles bleiben, wie es ist.
“Es wird keine Räumung einer Gemeinde geben, egal ob israelisch oder palästinensisch”,
heißt es vonseiten des Weißen Hauses.
Erdogan lehnt Trumps Plan ab
Und schon schert der erste Partner aus: das NATO-Mitglied Türkei dreht den USA bereits jetzt den Rücken zu. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan soll demnach den Plan des US-Präsidenten ablehnen:
BREAKING: Turkey’s Erdogan rejects Trump’s peace plan
— The Spectator Index (@spectatorindex) January 29, 2020
Experten sprechen von Kapitulation
Experten, wie Jean-Marie Guéhenno, sprechen von einer „Kapitulation“ und vom Einfrieren der Verhältnisse, ergo: alles soll bleiben, wie es ist. In der “Süddeutschen Zeitung” richtet der Ex-Diplomat seinen Appell an die Staatengemeinschaft:
„Trump verfestigt damit den Weg, auf dem er schon seit Jahren schreitet. Die Welt muss sich dann die Frage stellen, ob sie da mitmacht oder versucht, dieses Ungleichgewicht zwischen Israelis und Palästinensern zumindest etwas auszugleichen.“
Den Palästinensern verspricht Trump vorgeblich die lang ersehnte Hauptstadt Ost-Jerusalem. Wörtlich spricht er von einer Hauptstadt im „östlichen Jerusalem“. Das kann auch heißen: ein paar Häuschen irgendwo am Stadtrand. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, der innenpolitisch wegen Korruptionsvorwürfen unter Druck steht, feiert wenig überraschend den Trump-Plan.
Israelische Tageszeitung: „Rezept für Krieg, nicht für Frieden“
Die linksliberale israelische Tageszeitung “Haaretz” schrieb dagegen auf ihrer Website, der Plan des US-Präsidenten sei ein “Rezept für Krieg, nicht für Frieden”.
Die Palästinenser laufen derweil Sturm gegen den Vorstoß. Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas spricht von einer Verschwörung zwischen Israel und den USA: “Wir sagen tausendmal: nein, nein, nein“.
Auch durch die Reaktion aus dem Iran wird klar, wie sehr Donald Trump zündelt.
“Hinter diesem sogenannten Jahrhundert-Deal verbirgt sich eine große Verschwörung, die die Existenz der islamischen Welt bedroht”,
twitterte Außenamtssprecher Abbas Moussavi am Mittwoch.
Auch die französische Zeitung “Le Monde” nimmt den “Friedensplan” auseinander:
“Trumps ‘Friedensplan’ – eine beispiellose Ausrichtung auf israelische Forderungen. Die US-‘Vision’ reagiert in erster Linie auf israelische Sorgen und sieht massive Zugeständnisse der Palästinenser vor, einschließlich der Aufgabe Jerusalems. (…) Donald Trump kündigte ‘einen großen Schritt in Richtung Frieden’ an, aber die Asymmetrie ist eklatant. Den Vorteil aus diesem Plan hat unmittelbar Israel.”
Das Trump sonst oft wohlgesonnene “Wall Street Journal” lässt ebenfalls kein gutes Haar am “Pro-Israel-Plan”:
“Dies ist nach historischen Maßstäben ein Pro-Israel-Plan. Er sieht vor, dass die Palästinenser viel weniger Territorium kontrollieren als in den Grenzen von 1967, darunter bis zu 80 Prozent des Westjordanlands.“
Trumps Wahlkampf bringt Welt in Gefahr
Der Hintergrund für den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Plans dürfte jedenfalls innenpolitischer Natur sein. Trump steht in den USA wegen des Impeachment-Verfahrens immer mehr unter Druck. Selbst republikanische Parteifreunde wenden sich nach und nach von ihm ab und wollen jetzt der Forderung der Demokraten nach Zeugen-Vorladungen nachgeben. Auch Netanyahu kommt der Zeitpunkt gelegen: gegen ihn gibt es Korruptionsermittlungen, die zu einer schmerzhaften Verurteilung des rechtskonservativen Ministerpräsidenten Israels führen könnten. Netanyahu wurde bereits in drei Fällen angeklagt, nachdem er seinen Immunitätsantrag zurückgezogen hatte. Er selbst ortet hinter den Untersuchungen allerdings politische Motive der Oppositionskräfte.
Die Krisenregion Nahost wird also wieder einmal durch innenpolitische Motive in ein außenpolitisches Pulverfass verwandelt. Vier Jahre, so Trump, hätten die Palästinenser Zeit, um sich seine Überlegungen durch den Kopf gehen zu lassen. “Er wird funktionieren”, sagte Trump über seinen Vorschlag. “Wenn sie es wollen, wird es funktionieren.”
Kurz setzt Vermittler-Erbe aufs Spiel
Der Meinung ist wohl auch Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz. Dieser ist mit seiner Unterstützung für den US-Präsidenten drauf und dran, Österreichs Erbe als glaubwürdiger und neutraler Vermittler auf internationaler Ebene zu verspielen.
Die unhinterfragte Trump-Unterstützung weiter Kreise innerhalb der ÖVP ist nicht neu: in den Räumlichkeiten der Politischen Akademie wurde am “Tag der offenen Tür” US-Präsident Trump von ÖVP- und Akademie-Mitarbeitern über den grünen Klee gelobt. Kein Wunder, denn im Dunstkreis des „Springer Schlössels“ der ÖVP-Akademie sind konservative Denkfabriken und Institute angesiedelt. Darunter: das Auslandsinstitut der US-Republikaner. Man kennt sich. Der Kanzler ist auch nicht erst seit gestern ein Vertrauter von Donald Trump.
“Dear Chancellor Kurz:
Congratulations on beginning your new term as Chancellor of Austria! pic.twitter.com/Ui5Ndje3rJ
— U.S. Embassy Vienna (@usembvienna) January 28, 2020
Sebastian Kurz mit Trump-Schwiegersohn Jared Kushner, seiner Frau Ivanka Trump und dem US-Botschafter in Wien, Trevor Traina. Kushner, der eigentlich aus der Finanzbranche kommt, soll den “Nahost-Plan” für Trump ausgearbeitet haben. Bild: APA Picturedesk.
Das rechtskonservative „Dream-Team“ vertritt politisch dieselben Ziele: stramme Antimigrationspolitik, Steuererleichterungen für Reiche und Superreiche, Drangsalierung der arbeitenden Bevölkerung mittels sozialpolitischer Härte. Hier reiht sich auch Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu ein. Doch diesmal knöpft man sich nicht die eigene Bevölkerung vor, sondern den komplizierten Konflikt in Nahost.
Kurz ist wohl auch deshalb so dafür, weil er in der Zeit seiner gescheiterten türkis-blauen Regierung gerade vonseiten Israels äußerst kritisch beäugt wurde. Den blauen Regierungsmitgliedern wurde regelmäßig der Empfang von offizieller Seite versagt. Seitdem tut Sebastian Kurz sein Möglichstes, um in Israel gut dazustehen. Der Preis dafür könnte hoch sein: Österreich dürfte mit dieser Positionierung bei seiner internationalen Reputation jedenfalls nicht gerade einen Sprung machen.
(wb)
Titelbild: APA Picturedesk