Kommentar
Hinter der Fassade bekannter Floskeln und Luftnummern stellte der Kanzler gestern in der ZIB 2 eine Rechnung auf, die hinten und vorne nicht stimmen kann. Kurz handelt damit ausgerechnet bei den Familien verantwortungslos.
Wien, 31. Jänner 2020 / In der gestrigen ZIB 2 konnte man mal wieder des Kanzlers Geschmeidigkeit bestaunen, vermutlich auch aufgrund der Abwesenheit Armin Wolfs. Nichts gegen Lou Lorenz-Dittelbacher, aber Wolf hätte Kurz wohl vor allem einen Sager nicht durchgehen lassen:
„Wer in Österreich durchschnittlich verdient, also sagen wir 2.500 Euro brutto, und zwei Kinder hat, der wird insgesamt entlastet mit 4.000 Euro netto pro Jahr (…) Das ist ein sehr, sehr großes Volumen und darauf sind wir stolz.“
Mal abgesehen davon, dass Kurz gestern bei „Fellner Live“ andere Zahlen für dieselbe Rechnung heranzog und so für maximale Verwirrung sorgte, kann etwas an seinem vollmundigen Versprechen nicht stimmen.
Falsche Zahlenspiele
Wie soll das gehen? Auf welcher Grundlage trifft Kurz diese Aussage? Er sagt es nicht. Das wäre aber seine Aufgabe. Insbesondere dann, wenn man als GIS-Zahler ertragen muss, mit welcher Inbrunst und Selbstgewissheit der Kanzler seine Zahlen-Festspiele im Staatsfernsehen anstimmt. Er muss also voll davon überzeugt sein. Warum erklärt er dann nicht, wie er auf diese stolze Summe kommt?
Wir haben uns mal den bisherigen Familienbonus angeschaut. Das kann jeder Bürger mit Hilfe eines kostenlosen Online-Tools machen. Und hier ist folgendes Faktum: Ein Normalverdiener mit 2.500 Euro brutto und zwei Kindern bekommt im Jahr 3.000 Euro Familienbonus. Diesen Bonus gibt es also schon, ganz ohne Zutun der Regierung Kurz II. Wenn der Kanzler-Kaiser jetzt von 4.000 Euro Entlastung spricht, müssten diese besagten 4.000 Euro ja noch einmal als Ersparnis oben draufkommen. Zusätzlich. Das ist nicht nur schwer zu glauben, sondern in jeder noch so schöngefärbten Rechnung nahezu unmöglich.
Der Kanzler und seine eigene Wahrheit
Im selben Interview zweifelt Sebastian Kurz auch noch die Kritik der Agenda Austria bezüglich der Kalten Progression an – also jener „Denkfabrik“, die ihm eigentlich sehr wohlgesonnen ist. Alles, was nicht sein darf, kann nicht sein. Kurz bewegt sich damit auf Trumps Spuren. Nicht einmal der „Agenda Austria“ glaubt er, wenn es nicht in seine, Achtung Wortspiel, Agenda passt. Die unabhängige und kritische Wissenschaft ist ohnehin der Feind der rechten Populisten. Kritikfähigkeit ist Schwäche. Recht hat der, der die meisten Stimmen bekommt und Stimmung macht. Zahlen gibt’s nur, wenn sie ins Programm passen.
Wem vertrauen?
Bislang ist die türkise Devise „Inszenierung statt Politik“ erfolgreich. Doch wie sieht es im Falle einer ernsthaften Krise aus, etwa einer Finanzkrise? Wenn es eng wird, kann wissenschaftliche Expertise Existenzen retten. Fehlende Expertise kann jedoch Existenzen vernichten. Ein Kanzler, der selbst keine einschlägige Ausbildung hat, wird nicht von selbst auf eine nobelpreisverdächtige Erkenntnis kommen. Der Philosoph Blümel wird aus dem Finanzministerium heraus auch eher weniger mit volkswirtschaftlicher Weitsicht glänzen. Der Wissenschaftsminister will partout nichts mit Wissenschaft zu tun haben und ist deshalb wohl auch keine große Hilfe, wenn es um eine faktenbasierte Grundlage für Politik geht.
Auf wen soll sich Österreich verlassen, wenn es drauf ankommt? Auf wen können Familien bauen, die einstigen konservativen Keimzellen der Gesellschaft? Kurz hat mit seinem Auftritt im ORF jedenfalls eine Antwort geliefert.
Benjamin Weiser
Titelbild: ORF Screenshot/Grafik: ZackZack
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