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Kern kommentiert: Die Wahl – des schlechtesten Zeitpunkts

Die Wahl – des schlechtesten Zeitpunkts

Wien, 19. Februar 2020 /

Worum es geht?

Die SPÖ startet eine neue Mitgliederbefragung, bei der 160.000 Mitglieder zur Teilnahme aufgerufen sind. Anstatt eine Online-Abstimm-Plattform aufzubauen, die auch in Zukunft verwendet werden kann, findet diese Befragung schriftlich statt.

Im Grunde genommen kein schlechter Schachzug, wenn man von der ungünstigen Zeitkomponente absieht. Außerdem bekommen weder Gastmitglieder das Recht abzustimmen, noch dürften neue Mitglieder, die jetzt erst der Partei beitreten, bei der Abstimmung teilnehmen. Die strategischen Hintergrundgedanken dabei erschließen sich nicht.

Lustigerweise war es Ludwig, der das Zünglein an der Waage war, welches die Wahl zugunsten der Parteichefin entschieden hat. Spannend, da er es war, der der damals frisch gebackenen Vorsitzenden ausrichten hat lassen, dass die unter Christian Kern beschlossene Parteireform zu Grabe getragen wird und PRW dies abgenickt hat.

Zweifelsohne macht sich der Fragebogen nicht schuldig, zu kreativ gestaltet zu sein. Alles, was abgefragt wird, sind bereits mehr oder weniger beschlossene Themen und bei sämtlichen Themen, die etwas kontrovers sind, ist unersichtlich, welche Auswirkungen auf sozialdemokratische Politik die Auswahlmöglichkeiten hätten.

Das Highlight an der Befragung ist die Vertrauensfrage der Vorsitzenden. Auch, wenn man weit entfernt von einer Direktwahl ist, ist es kein schlechtes Zeichen. Die SPÖ sollte daran denken, ein regelmäßiges, wenn auch von den Parteigranden verhasstes Plebiszit einzuführen, um der Basis (den Schein von) Mitspracherecht zu gewähren.

Die Grundidee ist löblich, die Umsetzung lässt einen dankbar sein, dass das Ankreuz-Kasterl der „Ja“-Option nicht 3-fach so groß ist wie das „Nein“-Kasterl.

War es der schlechteste Zeitpunkt?

Was macht die ÖVP, wenn sie sich in Bredouille befindet? Sie zündet Nebelgranaten und lenkt die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gekonnt auf andere Themen.

So, wie im Moment, als sie die Krone eine neue Flüchtlingswelle herbeischreiben ließen, oder jemand aus der Kurier-Chefredaktion ausgerückt ist, um spätnachts ein Dokument aus dem Jahre 1997 auszukramen, nur um die versuchte Orbanisierung der Justiz totzuschweigen.

Die ÖVP ist meisterlich darin, Nebelgranaten zu zünden, mit freundlicher Unterstützung der Boulevard-Medien. Die SPÖ ist meisterlich darin, die Pyrotechnik in der eigenen Hand explodieren zu lassen.

Was macht die SPÖ im Gegenzug? Sie übernimmt die strategische Kommunikation der ÖVP…

Abgesehen davon, dass man der ÖVP ein verspätetes Weihnachtsgeschenk macht und das überschaubare Budget mit der Umfrage erneut sinnlos belastet, ist das Best-Case-Szenario: PRW erhält das Vertrauen einer Vielzahl von Mitgliedern und zementiert sich als „Numero Uno“ ein. Worst Case: sie muss ausgetauscht werden oder schmeißt hin, und den Schaden hat die SPÖ Wien, für die nichts anderes als die Bewahrung des Bürgermeisterplatzes infrage kommt. Ein Nachfolger ist ebenfalls nicht in Sicht.

War es also wirklich der schlechteste Zeitpunkt? Das kommt darauf an. Für die Partei? Ja, der wohl schlechteste Zeitpunkt. Das, was die SPÖ momentan überhaupt nicht brauchen kann, vor allem die SPÖ Wien, die eine wichtige Pressekonferenz zur Zukunft Wiens gegeben hat, ist eine Obmann-Debatte.

Leider hat sich eine oder eine der wenigen Personen gemüßigt gefühlt, im Machtgefüge herumzuwerkeln – zum vermeintlichen eigenen Nutzen, aber zum Schaden der Partei.

Es gibt gewisse Parallelen zum Zeitpunkt, an dem Christian Kern zurückgetreten ist. Das war genau jener Tag des Starts der Kampagne gegen den 12-Stunden-Tag. Der wohl denkbar schlechteste Zeitpunkt, um als SPÖ ein anderes Thema in den Vordergrund zu bugsieren.

Ebenfalls war es an genau dem Tag, an dem sein Sohn eine „Stop Waste“-Veranstaltung abhalten wollte, zu der er eingeladen war, aber schlussendlich natürlich nicht erschienen ist. In diesem Fall ist es offensichtlich, dass das nicht seine freie Entscheidung war. Nun fragt man sich, ob PRW aus freien Stücken, oder säbelrasselbedingt, zu dieser Abstimmung aufruft.

Die wahren Hintergründe, wieso PRW gerade jetzt, zu dem anscheinend schlechtesten Zeitpunkt, eine Mitgliederbefragung startet, könnten mannigfaltig sein.

  • Der offensichtlichste Grund: Strategie & Taktik ist etwas, was man sich aufs Brot schmiert – denkt die momentane SPÖ. Es gab überhaupt keine Überlegungen und man rennt mal wieder in die offene Klinge. Wobei man die Klinge selbst akribisch gesucht und meisterhaft platziert hat, sodass man sie genau erwischt. Was dafür spricht? Die SPÖ lässt derzeit jegliches strategisches & politisches Gespür vermissen.
  • Der melodramatischste Grund: PRW weiß, dass sie keinen Blumentopf mehr gewinnen wird und blickt auf ihre Amtszeit zurück. Sie will ihre Fehler wiedergutmachen und der Partei sinnvolle Reformen hinterlassen, die ihr in Zukunft und zu einer potentiellen Erneuerung der Partei nutzen. Was dafür spricht? PRW wollte angeblich sogar eine Direktwahl des Vorsitzenden durchsetzen. Nun ja…
  • Der parteifreundlichste Grund: Hannibal stand vor den Toren und man wollte sie austauschen. Da sich Team Liesing für PRW ausgesprochen hat, kommt diese Initiative wohl nicht aus dieser Ecke. Was dafür spricht? Die SPÖ ist eine Schlangengrube, in der Leute zu ihrem eigenem Vorteil taktieren und das Wohl der Partei völlig außer Acht lassen.
  • Der menschlichste Grund: PRW hat die ständigen Kritiker offenkundig satt und mittlerweile wohl auch all jene, die an ihr als Obfrau zweifeln. Dass Doskozil zum Fredo/Brutus wird und mehr als subtil nach einem Regizid ruft, wird mehr griechisches Feuer als Balsam gewesen sein. Was dafür spricht? PRW kämpft zwar einen Kampf gegen Windmühlen, aber sie kämpft und es muss unfassbar frustrierend für sie sein. Da ist es nur menschlich, es seinen Kritikern zeigen zu wollen.

Und welche Optionen hat die Partei?

a) Alles in die Schlacht werfen und für PRW mobilisieren. Dieser Zug würde PRW gelegen kommen und sie als Parteivorsitzende unterstützen. Eigentlich würde man diese Option von jeder Partei erwarten.

b) Die Strauß-Methode. Die Partei steckt den Kopf in den Sand, ignoriert diesen epochalen taktischen Fehlgriff und macht weiter wie gehabt.

c) PRW fallen lassen und wegputschen. Leider ist momentan kein Kandidat in Sicht, der sich öffentlich deklariert, den Posten zu übernehmen. Ein Parteichef verlangt nach einer gewissen öffentliche Bühne und somit ist ein Sitz im Nationalrat fast unabdingbar. Wien verfolgt jedoch anscheinend das Ziel, PRW zu halten, um sich eine Obmanndebatte vor der Wien-Wahl zu ersparen.

Wie wird die Befragung erfolgreich?

Schon jetzt reitet der ehemalige Geschäftsführer Matznetter aus, um vor bösen Agents Provocateur, wie Rudi Fußi & Co., zu warnen. Man verspürt eine gewisse Unsicherheit, die jedoch um jeden Preis kaschiert werden muss, um ein halbwegs passables Ergebnis zu erreichen.

Obwohl tausende Mitglieder ausgetreten sind, wäre selbst eine Verdoppelung der Teilnehmenden eine horrende Niederlage, denn diesmal steht die Vorsitzende selbst zur Wahl.

Rendi-Wagner, Drozda et al. sind den Nachfragen ausgewichen, ab welchem Ergebnis Konsequenzen zu ziehen wären. Fakt ist jedoch, dass sich diese gut gemeinte Befragung bei einem Ergebnis von unter 70% zu Rendi-Wagners Waterloo entwickeln und einen absolut gegenteiligen Effekt als geplant haben wird.

Conclusio

Der geplante Befreiungsschlag, den sie vermutlich wirklich völlig alleine und völlig ohne Not entschieden hat, droht sich zu einem ernsthaften Problem für die Partei zu entwickeln. Kurz sagt danke, alle anderen schütteln den Kopf.

Nikolaus Kern

Der Kommentar gibt nicht die Meinung der Redaktion, sondern ausschließlich des Autors wieder.

Nikolaus Kern ist Co-Gründer des ehemaligen SPÖ Reform-ThinkTanks „Sektion ohne Namen“ und Gründer der Strategischen Kommunikation & Webdesign Agentur Strategos.Solutions

Titelbild: APA Picturedesk

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