Kommentar
Was macht eigentlich Türkis-Grün? Die Regierung Kurz II ist seit fast zwei Monaten im Amt. Seitdem gibt es jede Menge Pressekonferenzen, bizarre ZIB 2-Auftritte und Auslandsreisen. Was kaum stattfindet: Politik.
Wien, 25. Februar 2020 / Politik heißt, eine Richtung für sein Land vorzugeben. Im demokratischen Wettstreit mit anderen um die bessere Idee zu ringen, Entscheidungen zu fällen und am Ende Gesetze zu beschließen. Von alldem ist unter Türkis-Grün bisher wenig zu sehen.
„Lasst Sie doch erstmal arbeiten“
Freilich ist die neue Regierung Kurz II noch nicht lange im Amt. Der Einwand der Regierungsanhänger bei Kritik, Türkis-Grün doch erstmal arbeiten zu lassen, kommt schneller als die Feuerwehr. Das immunisiert erstmal eine Zeit lang vor nervigen Fragen. Es ist ja auch nicht so, dass nichts passieren würde: kein Tag vergeht ohne Inszenierung, ohne TV-Auftritt mit einstudierten Floskeln, kein Tag ohne Pressekonferenz. Das jüngste Beispiel dieser Art des bildreichen Nicht-Regierens ist Innenminister Nehammer, der im Zuge der Corona-Ausbreitung „keinen Grund zur Panik“ sieht – und genau dadurch Panik verbreitet. Doch was beschließt er? Außer auf den Dauerbrenner „Grenzen schließen“ zurückzugreifen, werde man die Situation beobachten. Außerdem behauptete der ÖVP-Minister noch vollmundig: „Wir leisten als erstes europäisches Land unseren Beitrag, um die Situation vor Ort zu verbessern“. Das ist nicht nur respektlos gegenüber europäischen Partnern, sondern wahrscheinlich auch nicht richtig. Man darf bezweifeln, dass Nehammer wirklich alle Einzelmaßnahmen aller 27 EU-Staaten im Kopf hat, um diese Aussage besten Gewissens zu tätigen. Aber wurscht, es klingt jedenfalls gut. Wer will schon bestreiten, dass 2.000 Sicherheitsbrillen für ein Land mit 1,4 Milliarden Einwohnern kein Tropfen auf dem heißen Viren-Stein sind?
Message Control ohne Message
Doch jenseits der zweifellos komplexen Corona-Thematik – es sei gesagt, dass Gesundheitsminister Anschober den weitaus kompetenteren und vertrauenswürdigeren Eindruck macht – ergibt sich ein immer gleiches Bild: Phrasen, Phrasen, Phrasen. Keine handfesten Entscheidungen, kaum Sachpolitik, aber viel Gerede. Das führt soweit, dass ZIB 2-Interviews wahrscheinlich bald mit am ORF-Screen eingeblendeten Avataren geführt werden können. Auf Dauer hat diese exzessive Form der Message Control aber einen Haken. Kontrolle ohne zentrale Botschaft wird hinten raus etwas dünn. Die zentrale Botschaft der Regierung „Klima und Grenzen schützen“ klingt flach. Das haben sich die PR-Jünger des Kanzlers bestimmt in nächtelangen Sitzungen durchüberlegt. Doch was, wenn sich dahinter nicht viel Konkretes verbirgt? Bei den provisorischen Budget-Verteilungen kann man erahnen, dass zumindest das liebe Klima noch etwas auf den großen Umbruch aus Wien warten muss. Es gibt, neben Anschober, bisher nur wenige positive Ausnahmen: Alma Zadic ist sichtlich bemüht, die von ihrem Bundekanzler entfachte Justizdebatte in ruhige Fahrwasser zu bringen. Sie wirkt kompetent und stärkt der Korruptionsstaatsanwaltschaft den Rücken. Ob es wirklich handfeste Entscheidungen, beispielsweise eine Nicht-Vertragsverlängerung des umstrittenen Sektionschefs Pilnacek, geben wird? Das darf bezweifelt werden.
Sebastian Kurz kündigt an
Man darf jedenfalls gespannt sein, wann das erste größere Gesetzesvorhaben der Regierung kommen wird. Angekündigt wird ja viel und gerne. Meist in groß inszenierten Pressekonferenzen. „Sebastian Kurz kündigt…
- eine Reisewarnung (eigentlich nüchterne, klassische Arbeit des Außenministeriums),
- eine Steuerentlastung (für wen und kommt sie wirklich?),
- ein Pflegekonzept bis Jahresende (Ein Konzept ist gut, Gesetze oder gar eine Reform wären besser)
- mehr Geld für die Justiz (Glückwunsch, denn etwas anderes wäre nicht vertretbar)
- ein Veto gegen EU-Budgetvorschläge (profitieren will man aber weiterhin)
und zu guter Letzt:
- eine Pressekonferenz nach der anderen
…an.
Das sind die Schlagezeilen, die der Kanzler bislang produziert. Eine Reform, die eine ist, das wäre doch auch mal etwas. Dann könnte man über die Richtung des Landes diskutieren, die Opposition wäre inhaltlich gefordert und am Ende, ja am Ende, könnte wirklich eine ausgewogene, aber richtungsweisende Entscheidung folgen. Das wäre demokratische Politik. Österreich hätte sie verdient.
Benjamin Weiser
Titelbild: APA Picturedesk
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