Freitag, April 19, 2024

Ist die Lage hoffnungslos, aber nicht ernst?

Kommentar

Gleich zu Beginn, wenn Sie leicht erregbar sind oder zur Panik neigen, dann lege ich Ihnen nahe, nicht mehr weiterzulesen. Es erwartet Sie keine Verschwörungstheorie, aber eine Faktenlage ähnlich dem sorgsam gemachten Katastrophenfilm „Contagion“.

Wien, am 14. März 2020 / „Vor wenigen Wochen gab es noch keinen Test.“ Das ist eine der zentralen Aussagen von Niki Popper einem Simulationsspezialisten im ZackZack-Interview. Falls die Tatsache zutrifft – und vieles deutet darauf hin – dann ist das eine Tatsache, die kein gutes Licht auf unsere Regierung wirft. Wieso kann Korea 200.000 Tests durchführen und in Österreich gibt es keine? Diese Frage muss sich der Krisenstab gefallen lassen? War China zu weit weg? Waren die Schulschließungen in Japan schon vor Wochen kein Indikator, dass hier was im Busche ist?

Japan als Vorbild ignoriert

Das Schicksal des Kreuzfahrtschiffes „Daimond Princess“ im Hafen von Yokohama zeigt seit vielen Wochen mehrere entscheidende Dinge. Das Virus verbreitet sich schnell aus. Nur flächendeckende Tests, auch wenn diese offenbar nicht 100% wirken, können zur Einschätzung und Eindämmung der Lage führen. Japan hat sehr schnell reagiert und die Schulen für acht Wochen geschlossen und in stark betroffenen Regionen auf Hokaido Ausgangssperren ausgesprochen. Das hat geholfen. Während Japan derzeit ohne „Daimond Princess“ 738 Fälle zählt, sind es in Österreich mittlerweile 602. Das gibt ein klares Bild ab, in einer Weltgegend, wo im Großraum Tokio 36 Millionen Menschen auf engstem Raum leben.

Der Tourismus als Superspreader

Doch die wichtigste Botschaft aus Yokohama laut: Der Tourismus ist eine Gefahr für die Virusverbreitung. Wie viele Touristen kommen nach Österreich, dem Wintersportparadies ? Haben wir womöglich in den Wintersportzentren eine ähnliche Entwicklung wie in Norditalien gehabt? Wir wissen es nicht, es gab ja keine Tests. Wochenlang hat sich das Coronavirus ausgebreitet und keiner hat es bemerkt? Es deutet einiges darauf hin.

Entwicklung in Norwegen und Dänemark wirft Fragen auf

Laut norwegischer Regierung haben sich 377 Norweger in Österreich beim Skiurlaub angesteckt. Auch sollen über 100 Dänen dasselbe Schicksal erlitten haben. Zur Stunde wissen wir, dass Tirol der Spitzenreiter bei Coronafällen ist. St. Anton und das Paznautal sind abgeriegelt, sofern man den Exodus der Urlauber als Teil der Quarantänemaßnahmen sehen kann. Das passt sehr gut zum oben geschilderten Bild. Auch die Schweiz als Wintersportland hat mit einer massiven Verbreitung des Virus zu kämpfen. Der Shut-Down in Heiligenblut, wieder einem Wintersportort, ist ein anderer Hinweis, der das Bild komplettiert.

Tourismus vor Menschenleben?

Es zeigt sich an Hand des Beispiels des abgesagten Radiologenkongresses in Wien, das die Zeichen der Zeit schon länger zu erkennen waren. Aber die Botschaft “Wird schon alles nicht so schlimm”, ist zum derzeitigen Zeitpunkt keine Ausrede mehr. Wurde die Ausbreitung des Coronavirus nicht nur zu wenig ernst genommen, sondern wurde das Wohl des Tourismus über möglicherweise katastrophale Folgen gestellt?

Warum gibt es so wenige Tests?

Zurück zu Niki Popper und seinem Interview. Er kann uns gut erklären, wie man das mit den fehlenden Tests macht. Die Antwort ist aber letztlich sehr unbefriedigend. Denn erstens handelt sich um keine Grippe und zweitens wissen wir sehr wenig über das Virus an sich. Das eine ist die Simulation zur Ausbreitung, das andere sind aber die Möglichkeiten, dagegen zu halten. Nun treten offenbar nicht bei allen Virenträgern auch Symtome auf. Diese Menschen können aber andere anstecken. Wie hoch die Zahl der asymptomatisch verlaufenden Fälle ist, das ist schwer zu sagen. Und hier liegt offenbar die Krux.  Glaubt man dem remonierten Virologen Christian Drosten, dann haben wir keine „Chance“. 40 bis 70 Prozent werden sich im Laufe der Zeit anstecken. Dann geht es nur mehr um die Ausbreitungsgeschwindigkeit. Dann kann nur noch die Überlastung des Gesundheitssystems verhindert werden. Und eine Frage stellt sich auch noch: Warum schafft es Südkorea, 20.000 Menschen am Tag zu testen, wir aber nicht?

Beunruhigendes aus Italien

Ein Blick nach Norditalien zeigt, was passiert, wenn das Gesundheitssystem dem Ansturm der Patienten nicht mehr gewachsen ist. Die Ärzte müssen dann über Leben und Tod entscheiden – ein grausige Aufgabe. ZackZack hat dazu berichtet. Doch was aus Bergamo einer Stadt östlich von Mailand kommt, ist höchst beunruhigend. Ein Arzt berichtet nicht nur über die Überlastung, sondern, dass die Patienten mit Atembeschwerden immer jünger werden.

„In Bergamo ist der Peak der Erkrankungen sehr hoch; es sind viele Personen infiziert und es zeigt sich, dass die Erkrankten etwas jünger werden (un po più giovane) und dass der Verlauf etwas komplizierter wird (un po …)

 Der Verlauf ist oft zu Beginn normal, dann gibt es Komplikationen und dann ist der allgemeine Zustand schon schlecht. Es trifft auch schon Menschen im Bereich 40 – 45 Jahre.

 Bergamo hat 88 Intensivbetten, davon sind 60 Covid-Patienten vorbehalten, 40 davon sind intubiert. Es gibt nur ein Medikament dagegen, das heißt „Bleib zuhause“ (stare in case).“

Ein Arzt aus Italien sieht die Lage in Österreich völlig anders

Der Spiegel berichtet von einem Brief, den ein italienischer Arzt an die österreichische Ärztekammer geschrieben hat. Roberto Reimann, ein Arzt aus Mailand, übt heftige Kritik an Österreich. Die Maßnahmen der Regierung Kurz seien “lächerlich und fahrlässig”, gerade mit Blick auf die katastrophalen Verhältnisse in Italien, wo Tausende von einem Tag auf den anderen künstlich beatmet werden müssen.

Zeit für Klartext

Betrachtet man nun alle diese Tatsachen, so muss man sich doch die Frage stellen, ob die drei Herren in blauen Anzügen, die uns jeden Tag berichten, die Sache wirklich so unter Kontrolle haben? Oder hilft womöglich nur noch eines: Der völlige Shut-Down wie in Wuhan. Dort sitzen die Menschen seit fünf Wochen zu Hause. Es geht wie gesagt darum, das Gesundheitssystem in seiner ganzen Leistungsfähigkeit zu erhalten.

Liebe Regierung, es wird Zeit, endlich Klartext zu sprechen. Wir werden die Wahrheit schon aushalten (müssen). 880 Notspitalsbetten im Wiener Messezentrum sind keine Aussichten, die gerade beruhigen.

Zum Schluss ein Appell: Verfallen Sie nicht in Panik, bleiben Sie besonnen, meiden Sie, ob Sie nun krank oder gesund sind, möglichst andere Menschen. Und hoffen wir bald auf eine ehrliche Ansage. Bleiben Sie gesund.

(sm)

Titelbild: APA Picturedesk

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