Freitag, März 29, 2024

“Wir steuern auf massive Versorgungsprobleme zu”: Blackout-Experte im Interview

Blackout-Experte Herbert Saurugg im Interview

Der Blackout-Experte Herbert Saurugg spricht mit ZackZack über Entwicklungen wie den Ausfall lebenswichtiger Infrastrukturen und Versorgungsengpässe, die durch die Corona-Pandemie in nächster Zeit auf uns zukommen können. Und über Wege aus der Krise, an deren Beginn wir gerade erst stehen.

ZackZack: Herr Saurugg, Sie beschäftigen sich mit Blackout-Szenarien. Bezeichnen Sie sich als Blackout-Experte?

Herbert Saurugg: Die Langfassung ist Experte für die Vorbereitung auf den Ausfall lebenswichtiger Infrastrukturen. Ein Ausfall dieser führt immer zu weitreichenden Versorgungskrisen, was wir jetzt auch bei der Corona-Pandemie noch erleben werden. Es gibt viele Parallelen zwischen einer Pandemie und einem europaweiten Strom- und Infrastrukturausfall („Blackout“). Daher führe ich eine Pandemie in jedem meiner Vorträge als weiteres Beispielszenario für großflächige Ausfälle und Störungen an.

ZackZack: Wie lange beschäftigen Sie sich mit Thema?

Herbert Saurugg: Ich bin vom Hintergrund her Berufsoffizier und war bis 2012 im Bereich Cybersicherheit tätig. Durch ein berufsbegleitendes Studium bin ich auf das ganze Thema aufmerksam geworden. Die Erfahrung war, dass das niemanden so wirklich interessiert hat, daher habe ich beschlossen auszusteigen und das auf eigene Faust weiterzumachen. Seither habe ich versucht, in die Breite zu gehen und Entscheidungsträger, Einsatzorganisationen, Unternehmen, Gemeinden und die Gesellschaft insgesamt zu sensibilisieren, dass wir hier auf ein kritisches Szenario zusteuern. So, wie die Entwicklungen der letzten neun Jahre verlaufen sind und das, was in den nächsten drei bis fünf Jahren auf europäischer Ebene geplant ist, gehe ich fix davon aus, dass wir dieses Szenario in diesem Zeitraum erleben werden. Unabhängig von der aktuellen Situation – mit der aber die Ausfallswahrscheinlichkeit steigt.

ZackZack: Wenn wir von Blackout reden, sprechen wir von einem flächendeckenden Stromausfall, oder?

Herbert Saurugg: Meine Definition ist: Ein überregionaler, also weite Teile Europas betreffender und länger andauernder Strom- und Infrastrukturausfall mit insbesondere weitreichenden Versorgungsunterbrechungen. Eine Hilfe von außen ist nicht möglich. Das Problem ist nicht der Stromausfall, da gibt es Vorkehrungen und Simulationsübungen etc., wie das wieder hochzufahren ist. Das haben wir in den anderen Infrastruktursektoren nicht. Daher wissen wir nicht, wie lange es dauern wird, die anderen Systeme wieder hochzufahren und zu synchronisieren. Wir müssen aber damit rechnen, dass es zumindest ein bis zwei Wochen dauern wird, bis eine Versorgung mit lebenswichtigen Gütern wieder anlaufen kann. Das Hauptproblem ist die Telekommunikationsversorgung, also Handy, Internet und Festnetz. Hier sollten wir erwarten, dass es zumindest mehrere Tage dauern wird, bis diese Systeme wieder halbwegs stabil funktionieren werden. Also auch wenn der Strom bereits wieder verfügbar ist. Diese Phase 2 wird überall unterschätzt. Das wird deswegen so lange dauern, weil erfahrungsgemäß mit vielen Hardware-Schäden und Überlastungen zu rechnen ist. Ohne diese Verbindungen gibt es aber keine Produktion oder Warenverteilung. Daher müssen wir uns darauf einstellen, dass es zumindest ein bis zwei Wochen dauern wird, bis die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern wieder anläuft wird. Ich betone anlaufen.

ZackZack: Und dann? Oder: Jetzt?

Herbert Saurugg: Niemand kann acht oder neun Millionen Menschen helfen, das ist völlig unmöglich.

Das ist auch jetzt das Problem: Die Maßnahmen, die von der Regierung angeordnet sind, sind ganz ganz wichtig, um zu verhindern, dass eine Überlastung des gesamten Systems eintritt. Teilüberlastungen werden nicht zu verhindern sein, und deshalb ist es so wichtig, dass wir uns möglichst dezentral in der Nachbarschaft selbst organisieren und helfen. Dazu versuche ich auch gerade mit ein paar Fachleuten Hilfestellungen aufzubereiten. Wir hatten als Österreichische Gesellschaft für Krisenvorsorge eigentlich ein anderes Ziel, nämlich die Vorsorge zu adressieren.

Aber jetzt sind wir bereits mitten in der Krise und müssen auch selbst improvisieren und uns neu organisieren. Es geht jetzt darum, die Menschen abzuholen und zu unterstützen:

Was machen sie jetzt mit der Freizeit auf der einen Seite, wie schützen sie sich selbst, und auf der anderen Seite: wie tragen sie dazu bei, dass sie das mental gut überstehen – weil wenn sie nur daheim hocken und verzweifeln, wird das ziemlich schnell unschöne Nebenwirkungen hervorrufen. Und auf der anderen Seite: Wie schaffen wir den Umgang mit der Widersprüchlichkeit zwischen Sozialkontakte einschränken und gleichzeitig Hilfe leisten zu müssen, wo Hilfe benötigt wird. Da bin ich gerade dabei, mit ein paar Kommunikationsexperten und Psychologen dabei, einfache Hilfestellungen zu erarbeiten, um Zuversicht zu geben –

denn diese Krise ist nicht nächste oder übernächste Woche aus, sondern beginnt dann erst richtig. Und wir wissen nicht, wo das Ende ist.

Wir müssen den Schalter in unserem Kopf finden, um von unserem normalen, gewohnten Modus in den Krisenmodus umzuschalten. Nicht, um dann hektisch zu werden, sondern einfach um anzunehmen und zu akzeptieren, dass die Welt ab jetzt anders ist – und sie wird auf längere Sicht anders bleiben bzw. werden. Das kennen wir nicht mehr, weil wir schon lange keine Krisen mehr erlebt haben, vor allem in dieser Dimension.

ZackZack: Es wird sich viel verändern – und wir müssen uns neu organisieren.

Herbert Saurugg: Dass es so weitergehen wird wie bisher, ist eher unwahrscheinlich, weil es sehr viele Unternehmen wahrscheinlich nicht mehr geben wird, es wird auch viele EPUs treffen, den Kommunikations- und Event-Bereich zum Beispiel. Bevor die Menschen jetzt verzweifeln wäre es gut, diese zu mobilisieren, ihre Fähigkeiten im Sinne aller, also unserer Gesellschaft, einzubringen. Die Regierung und offizielle Stellen sind derzeit mit Akutmaßnahmen und der Bewältigung der Krankheit beschäftigt. Da sind keine Ressourcen und kaum Know-how da, drei Schritte weiter zu denken. Das ist ja auch ein Grundproblem in der Krisenkommunikation, warum weitere Eskalationen drohen, wenn man nur salamitaktikmäßig etwas bekannt gibt. Jetzt ist es natürlich schon zu spät, weil wenn ich jetzt sage, was in drei Wochen wahrscheinlich droht, dann werden die Menschen das wahrscheinlich nur schwer verkraften. Wir sind bereits mitten in der Krise – das hätte vorher passieren müssen, oder am Anfang, wo man sagt: Das wäre unsere Planung, wenn es so weiter eskalieren würde, dann würden wir diese Maßnahmen setzen – dann könnten sich alle drauf mental einstellen. Aber für das ist es schon zu spät, wenngleich ich nicht sicher bin. Vielleicht ist es doch besser, jetzt noch mit der harten Wahrheit an die Öffentlichkeit zu gehen und Transparenz zu schaffen, auch wenn es vielmehr Fragen als Antworten gibt. Aber besser, wir stellen uns auf etwas Heftigeres ein und werden dann positiv überrascht, als umgekehrt: Es wird jeden Tag schlimmer, obwohl man am Vortrag noch gehört hat, es ist alles unter Kontrolle. Bei einem solchen Extremereignis gibt es aber keine Kontrolle mehr. Besser wir akzeptieren das frühzeitig und beginnen mit der Anpassung, also wir verlassen uns weiterhin auf Scheinsicherheiten, die sich in Luft auflösen werden.

ZackZack: Eigentlich kann man nicht von Krisenmanagement reden – Troubleshooting machen wir. Aber nicht Krisenmanagement.

Herbert Saurugg: Viele konzentrieren sich in einer Krise nur noch auf das, was akut brennt. Das ist eigentlich Notfallmanagement. Krisenmanagement sollte sich mit dem auseinandersetzen, was übermorgen und danach kommen könnte. Da haben wir ein Problem mit unserem Denkrahmen. Wir haben bisher sehr kurzfristig geplant und betrachtet und das wird sich nun rächen. In allen Bereichen. Das habe ich auch in der Blackout-Vorsorge immer wieder erlebt. Überall sind die Ressourcen knapp und die Leute waren mit so vielen Themen eingedeckt, dass sie sich nicht auch damit noch beschäftigen wollten. Jetzt holt uns die Realität ein und es wird wohl eine sehr bittere Erfahrung, für uns alle. Wir werden uns neu organisieren müssen oder untergehen. Evolution in gewisser Weise, auch wenn das jetzt eine Zuspitzung ist. Aber so, wie wir derzeit als Gesellschaft aufgestellt sind – mental, kommunikationsmäßig, vorsorgemäßig – um mit weitreichenden Krisen umzugehen, steht wirklich sehr viel auf der Kippe. In der Evolution hatten nur jene eine Chance, die sich rechtzeitig anpassen konnten. Das wird wohl auch diesmal so sein. Das müssen wir nicht mögen, aber danach werden wir nicht gefragt werden. Es liegt daher an uns allen, wie die Zukunft weitergehen könnte. Und es könnte noch schlimmer kommen. Würde da jetzt auch noch ein wirkliches Blackout dazukommen, stünde unsere Gesellschaft wie wir sie kennen binnen weniger Tage auf der Kippe. Das mag zwar übertrieben klingen, ist es aber alles andere als das. Wir wissen – derzeit stimmt das auf Grund der Einkäufe der letzten Tage wahrscheinlich nicht ganz – dass sich rund ein Drittel der Bevölkerung maximal vier Tage und zwei Drittel maximal sieben Tage selbst versorgen kann. Das heißt, wir haben nach einer Woche sechs Millionen Menschen in Österreich, die sich nicht mehr ausreichend selbst versorgen können. Wie gesagt, wir brauchen mindestens eine, wahrscheinlich eher zwei Wochen, bis nach einem Blackout wieder was anläuft. Es verhungert keiner, aber es wird auch nicht dazu beitragen, dass man vernünftig handeln wird. Weil das ja nicht nur die Bevölkerung betrifft, sondern auch das Personal der Einsatzorganisationen, Krankenhäuser, oder egal wohin man schaut: In jeder Organisation mit wenigen Ausnahmen ist das der Durchschnittswert. Das heißt, wenn das Personal zu Hause in der Krise ist, weil die Kinder Hunger haben, dann kommt es nicht in die Arbeit, nicht in die Einsatzorganisation, nicht ins Krankenhaus, um die Systeme weiter hochzufahren oder überhaupt am Leben zu halten.

 ZackZack: Es wird immer betont, dass die Lebensmittelversorgung gesichert ist.

Herbert Saurugg: Was soll man sagen – es stimmt heute und es stimmt morgen, ob es übermorgen noch stimmt, das wird die Realität zeigen. Meine Einschätzung ist, wir werden nicht so wie beim Blackout sofort den Kollaps haben. Aber es wird sukzessive zu mehr und mehr Ausfällen kommen. Jedes Land schottet sich ab und macht einen gesellschaftlichen Shutdown. Das hat auch zur Folge, dass Personal in der Produktion oder in den Lieferketten ausfallen wird. Wenn ein wichtiges Glied in der Lieferkette ausfällt, fällt die ganze Kette aus. Kann der Joghurtbecherdeckel nicht mehr geliefert werden, gibt’s kein Joghurt mehr, als ganz banales Beispiel. In anderen Bereichen haben wir viel mehr Abhängigkeiten. Das heißt, wir müssen damit rechnen, dass es auch hier zunehmend zu weiteren Problemen kommen wird.

Was auch noch zu erwarten ist: Die Medikamentenversorgung wird in wenigen Wochen kritisch werden, weil sehr viele aus Indien und China kommen.

Indien ist der größte Generica-Hersteller der Welt und bezieht 70 Prozent der Grundstoffe für diese Generica aus China. Da wissen wir, dass in den letzten Wochen kaum bis wenig produziert wurde, bzw. dass die Produktion erst wieder anläuft. Das kommt aber bei uns erst über mehrere Wochen verzögert an, oder auch nicht, weil der Transport so lange dauert. Wir steuern daher in absehbarer Zukunft auf massive Versorgungsprobleme zu und müssen uns darauf einstellen, dass es schlimmer wird. Trotzdem müssen wir einen kühlen Kopf behalten. Es rächt sich halt jetzt, dass wir die Vorsorge ignoriert haben. Aber noch funktioniert alles und wir können diese noch angehen. Aber bitte nicht auf einmal und nach dem Motto, soviel wie möglich. Denn das halten auch die noch funktionierenden Lieferketten nur schwer aus. Zum anderen hat man dann vielleicht viel zu viel und muss das entsorgen, was ein Horror wäre. Daher mit Köpfchen einkaufen gehen. Es wird zu Engpässen kommen, aber es wird nicht alles ausfallen. Daher muss man sich halt auch hier vielleicht beim einen oder anderen umstellen. Als Ziel gilt weiterhin, sich zwei Wochen autark versorgen zu können. Mit allem, was man so für einen Notbetrieb braucht und was man auch im Alltag umwälzen kann.

Es wäre alles leichter gegangen, hätten wir uns vorher mit diesen Dingen beschäftigt. Aber das ist jetzt verschüttete Milch. Daher gilt es, das Beste daraus zu machen, ohne noch mehr Schaden anzurichten. Wir müssen diese Krise oder wohl besser Krisen, die jetzt auf uns zukommen, gemeinsam bewältigen.

ZackZack: Seit Ende 2019 wissen wir vom Ausbruch in China. Da hätte Österreich schon aufrüsten können.

Herbert Saurugg: Im Nachhinein ist das natürlich völlig logisch und nachvollziehbar. Natürlich hätte man können, aber das war in dieser Dimension nicht wirklich absehbar und greifbar, weil wir diese Erfahrung nicht hatten – das ist das Problem: Wir Menschen, und auch die Entscheidungsträger, orientieren uns an dem, was wir bereits erlebt haben. Obwohl international Experten bereits seit Jahren davor warnen, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Pandemie bei 100 Prozent liegt und die Anzahl mit dem Klimawandel steigen wird. Also:

Ja, wir haben’s gewusst, aber wir haben’s weiterhin ignoriert.

Und das ist leider unser normales Verhalten in vielen Bereichen, etwa auch beim Finanzsystem: Wir wissen, dass es implodieren wird und wir keinen Rettungsschirm mehr haben, und wir haben trotzdem weitergemacht. Das wird jetzt wahrscheinlich auch noch schlagend. In einer hoch vernetzten Welt führt eine vernetzte Krise wie wir sie gerade erleben zu nicht absehbaren Folgen. Aber es gibt kein System, das nur durch Wachstum überleben kann. Das Hauptproblem ist die fehlende Bildung im Bereich der Komplexität. Daher versuchen wir diese auch mit den falschen Werkzeugen zu steuern. Der Kollaps von komplexen Systemen ist kein Fehler, sondern ein Designmerkmal. Nur haben wir das leider im technischen Bereich übersehen. Daher sind wir derzeit auch so verwundbar.

ZackZack: Das Wissen, dass es kein System geben kann, das nur durch Wachstum überleben kann, ist denke ich schon da.

Herbert Saurugg: Ja, aber wir schaffen‘s nicht, rechtzeitig die Kurve zu kratzen. Das ist zunehmend irritierend auch für mich – überall, wo ich mit Leuten über das spreche, erhalte ich volle Zustimmung. Natürlich bin ich nicht in allen Gesellschaftskreisen drinnen – aber dort wo ich es bin, ist das selbstverständlich, dass das passieren wird – aber wir schaffen es nicht, konkrete Handlungen zu setzen, um das abzuwenden oder zumindest abzumildern. Daher fahren wir sehenden Auges weiter, bis es bumm macht.

ZackZack: Sie sagen, es werden Versorgungsengpässe kommen – sowohl Lebensmittel als auch Medikamente betreffend, aber vielleicht noch viel wichtiger: Die Verpflegung …

Herbert Saurugg: In allen Bereichen. Es hängt natürlich davon ab, wieviel Personal wirklich ausfällt und welche sonstigen Kaskaden losgetreten werden. Es wird nicht so abrupt sein wie bei einem Blackout, aber es ist zu erwarten, dass es zunehmend mehr Probleme geben wird.

Wir müssen mit noch Schlimmerem rechnen, mit noch mehr Einschränkungen, weil wir nicht wissen, wie lange das Ganze weitergeht.

Das Wichtigste ist: Die meisten Menschen starren auf das Virus-Thema, das ist aber nur das Trigger-Ereignis – wenn der Gesundheitsbereich überlastet ist, wirkt sich das nicht nur aus auf die Infizierten aus, es bedeutet, dass auch alle anderen, die zum Beispiel einen Unfall oder einen medizinischen Notfall haben, wahrscheinlich nicht mehr in der gewohnten Form versorgt werden können. Das heißt, es kann jeden von uns treffen, auch ohne Infektion.

Das betrifft auch den ganzen Pflegebereich: Es gibt über 60.000 Pflegerinnen aus den osteuropäischen Ländern, die in Österreich tätig sind. Die haben genauso eine Familie und werden wohl bald ausbleiben. Was machen wir dann? Es gibt keine Versorgungsplätze. Daher brauchen wir auch hier unbedingt eine dezentrale Selbstorganisation und Notversorgung: Wir können wie bei einem Blackout nur auf der lokalen Ebene Stabilität erhalten. Alles andere ist bei so einem so großen Ereignis unmöglich.

 ZackZack: Derzeit versuchen österreichische Behörden und die Wirtschaftskammer mit den Behörden der Nachbarländer Lösungen zu finden, damit die Pflegerinnen ohne Probleme über die Grenzen kommen. Ergebnisse gibt es aber noch nicht. Sollten 24 Stunden-Pflegekräfte nicht mehr nach Österreich kommen dürfen – was dann?

Herbert Saurugg: Eine Regelung mit den Pflegerinnen – wie naiv ist denn das? Versuchen soll man es natürlich. Und nachdem eine der letzten Regierungen dafür gesorgt hat, dass die Leistungen gesenkt wurden, wird die Motivation wohl nochmals ein bisschen gesunken sein, würde ich vermuten.

ZackZack: Wenn man es konsequent weiterdenkt, werden dann die Kinder der Pflegefälle zu Hause bleiben müssen – zusätzlich zu denen, die auf ihre eigenen Kinder aufpassen müssen – das führt zu noch mehr Ausfällen und ist ein Teufelskreis.

Herbert Saurugg: Ja, es ist eine Kettenreaktion, die das auslöst, wie ein Mikado: Egal, wo ich hingreife, es wackelt. Es geht daher bei weitem nicht nur um die Versorgung von Virus-Patienten: Unsere gesamte Gesellschaft gerät gerade aus den Fugen. De facto bleibt nichts davon unberührt. Und das, glaube ich, unterschätzen wir noch völlig.

 ZackZack: Damit kommen wir zu den sogenannten Selbsthilfe-Basen.

Herbert Saurugg: Wir haben das Selbsthilfe-Basen Konzept für den Blackout-Fall konzipiert, damit, wenn keine Kommunikation mehr funktioniert, die Menschen trotzdem noch irgendwie einen Notruf absetzen können. Zum anderen soll damit ein lokaler „Marktplatz“ sichergestellt werden: Hilfe anbieten, Hilfe suchen. Wenn es zu einer großflächigen Störung kommt, funktioniert nur mehr eine dezentrale Selbstorganisation vor Ort, also im Häuserblock, im Grätzel oder im Dorf. Da geht es nicht nur um die Erkrankten, sondern auch um die, die jetzt mega Stress haben, weil sie wie die meisten völlig überrascht wurden. Die einen können das lockerer wegstecken, für andere bricht eine Welt zusammen.

Es geht daher jetzt auch vor allem darum, die Menschen psychisch zu stabilisieren. Im Alltag haben das Profis gemacht. Aber so viele haben wir nicht. Daher müssen wir das jetzt auch selbst in die Hand nehmen. Zuhören und den Blick auf etwas Positives lenken. Und wichtig wäre auch, in Bewegung zu bleiben, also raus an die frische Luft zu gehen. Das schadet auch dem Virus und aktiviert die Psyche. Aber, immer mit Bedacht, keine Gruppenbildungen zu machen. Also zwei Meter Abstand.

ZackZack: Ihr Konzept für Selbsthilfe-Basen hat das alles schon erarbeitet?

Herbert Saurugg: Es steht für den Extremfall Blackout zur Verfügung. Aber die Grundidee kann man jetzt nutzen: In der südsteirischen Stadt-Gemeinde Feldbach hat der Bürgermeister das bereits in die Wege geleitet: Dort gibt’s bereits eingeteilte Verantwortliche bei den Selbsthilfe-Basen. Die bekommen jetzt von den Pflegediensten die Namen jener, die versorgt werden müssen, damit jemand vorbeischaut. Wenn das nicht vorbereitet ist, muss ich es anders organisieren, aber ich kann das Konzept jetzt auch noch hernehmen und umsetzen.

Wir haben eine große Chance: Wir haben jetzt viele Leute, die Zeit haben, die können sich genau mit solchen Dingen auch in Hinblick auf die nächste Katastrophe auseinandersetzen und schauen, wie können wir uns in Zukunft besser aufstellen, damit es uns nicht mehr so hart treffen kann. Auf meiner Homepage gibt es jede Menge Leitfäden für die Blackout-Vorsorge. Nutzen wir die Zeit für wichtige und sinnvolle Projekte.

ZackZack: Sie rufen gerade aktiv dazu auf, gemeinsam Konzepte zu erarbeiten.

Herbert Saurugg: Ja. Wenn man den Leuten erklärt, um was es geht, was das Szenario wirklich bedeutet, welche Folgen damit verbunden sind, werden die Menschen kreativ und finden einfache Lösungen. Das wäre die Intention, zu sagen: das dauert jetzt länger, das sind die Nebenwirkungen – dann gibt man den Leuten irgendetwas in die Hand, wo sie weitersuchen können. Es geht vor allem um Aktivierung.

ZackZack: Weil sonst?

 Herbert Saurugg: Weil sonst die Leut‘ nix zu tun haben und erstmals in der Familie länger zu Hause hocken müssen. Das wird wahrscheinlich schnell auch Eskalationen hervorbringen. Zunächst im familiären Bereich und auch im Umfeld. Was mich bereits bisher im Bereich der Blackout-Vorsorge irritiert hat ist: Menschen, die Vorsorge betrieben haben oder betreiben, fürchten sich: „Ich habe vorgesorgt, das Umfeld nicht, daher bin ich dann wahrscheinlich Ziel von Übergriffen – daher muss ich mich bewaffnen und mich und meine Familie beschützen und darf nicht zeigen, dass ich vorgesorgt habe.“ Das ist mehrfach gefährlich: Wenn das die erste Handlungsoption ist, ich muss mich bewaffnen und verteidigen, dann haben wir als Gesellschaft nicht viel Spielraum, um solche Krisen positiv zu bewältigen.

Unser Ziel muss es sein, derartige Krisen möglichst lange gemeinsam zu bewältigen. Es ist schon klar, dass es irgendwann einen Kipppunkt gibt, wo alles auseinanderbricht. Aber diesen müssen wir so lange als möglich hinausschieben. Sonst haben wir als Gesellschaft versagt.

Daher ist es so wichtig, die Menschen jetzt zu mobilisieren und für eine gemeinsame Krisenbewältigung zu gewinnen. Auch wenn es in der derzeitigen Situation schwieriger ist, da wir die sozialen Kontakte einschränken müssen, müssen wir im Gespräch bleiben. Sonst kriegen wir noch viel schlimmere Probleme. Also: Wir müssen im Kontakt und Austausch bleiben, aber mit zwei Meter Sicherheitsabstand, um Übertragungen zu verhindern. Am besten, man stellt sich vor, man ist selbst infiziert und möchte niemanden anstecken. Das gelingt besser, als wenn man sich vor anderen schützen möchte. Oder via Telefon, Chat etc. Wir haben ja jetzt das Glück, dass die Kommunikationsmittel noch funktionieren. Wobei wir auch hier achtsam mit dieser Ressource umgehen sollten. Denn wenn alle Streamen und Home-Office machen, könnte das durchaus Probleme schaffen.

ZackZack: Also, anstatt streamen: In Kontakt bleiben, seine Zeit nutzen, sich Gedanken über mögliche Problemlösungen machen und Initiative ergreifen.

Herbert Saurugg: Ja – und nicht warten, bis irgendwer etwas sagt oder macht, sondern versuchen selbst aktiv zu werden und damit auch andere mitziehen.

Wir sind gewohnt: es ist eh immer wer verantwortlich / schuld, und irgendwer macht das schon. Nein, wir haben es selbst in der Hand.

ZackZack: Sie werden sich nicht erst jetzt in den letzten Tagen auf das vorbereitet haben, was kommt. Wie haben Sie selbst angesichts der Situation vorgesorgt / sich vorbereitet?

Herbert Saurugg: Ich habe ja den berühmtesten Vorsorge-Keller in Österreich, der schon mehrfach in den Medien war: Ich habe schon vorher für mehrere Wochen Lebensmittel eingelagert gehabt und auch sonstige Dinge – Stirnlampen, Taschenlampen, Camping-Kocher, Radio: Ich und meine Familie haben vorgesorgt und wir sind darauf eingestellt, dass sowas kommen wird. Meine Familie weiß das auch, auch wenn sie das manchmal belächelt hat. Aber nun wird ihnen schon klar, dass das sinnvoll war. Es sind zwei wichtige Dinge: Vorsorgen zu treffen, damit man zwei Wochen zu Hause sein kann, ohne Einkaufen gehen zu müssen und die mentale Einstellung: Es ist jetzt so, und wir müssen das Bestmögliche draus machen, und wir müssen was Neues draus machen.

ZackZack: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Larissa Breitenegger

Herbert Saurugg finden Sie auf Twitter, LinkedIn oder hier: www.saurugg.net

Titelbild: APA Picturedesk

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