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Kommt jetzt die Totalüberwachung? – A1 liefert Bewegungsdaten an Regierung

A1 liefert Bewegungsdaten an Regierung

Im Kampf gegen das Coronavirus greift die Regierung nun auf Daten des Mobilfunktkonzerns A1 zurück. Ohne Wissen der Kunden gab der Konzern Bewegungsdaten an die Behörden weiter. Ähnliches kannte man bisher nur aus China.

Wien, 17. März 2020 / Laut Bericht der “Kronen Zeitung” gibt der Telekomkonzern Bewegunsprofile seiner Kunden an die Regierung weiter. Die will damit überprüfen, ob ihre Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus Wirkung zeigen. Das Bundeskanzleramt bestätigte die Vorwürfe, betont jedoch, dass “keine indidividuellen Bewegungsprofile übermittelt worden seien.” Aus der Art der Datenübermittlung lässt sich aber sehr wohl in vielen Fällen ermitteln, wer sich wann wo aufgehalten hat. Unklar ist, ob das Vorgehen der Regierung und des teilstaatlichen Telekomkonzerns legal ist.

Gesetz für Katastrophenfall genutzt?

Ein Sprecher des Bundeskanzleramtes bezeichnete das Vorgehen als gesetzeskonform. Tatsächlich erlaubt das Datenschutzgesetz im Katastrophenfall die Weitergabe von Daten an Behörden – jedoch nur unter ganz bestimmten Bedingungen: “Auftraggeber des öffentlichen Bereiches sind im Katastrophenfall ermächtigt, Daten zu verwenden, soweit dies zur Hilfeleistung für die von der Katastrophe unmittelbar betroffenen Personen, zur Auffindung und Identifizierung von Abgängigen und Verstorbenen und zur Information von Angehörigen notwendig ist.” Welche dieser Bedinungen die Regierung erfüllt sieht, wollte man im Bundeskanzleramt nicht sagen. Der Katastrophenfall wurde in Österreich bisher nicht ausgerufen.

Ministerin Schramböck war A1-Chefin

A1 gab an, dass der Konzern die Daten zum Wohle der Allgemeinheit zur Verfügung stelle. Die Frage, ob Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck – sie war von 2016-2017 A1-Chefin – involviert war, konnten weder A1 noch das Wirtschaftministerium beantworten. A1 teilte auf Anfrage lediglich mit, dass das Thema im Rahmen des Krisentabs diskutiert worden sei. Die Regierung sagte jedenfalls, A1 habe die Daten von sich aus angeboten. Auf die Frage, warum die A1-Kunden nicht über das Vorgehen informiert wurden, sagte eine Sprecherin des Konzerns gegenüber ZackZack, das sei wegen der Anonymisierung der Daten rechtlich nicht notwendig.

A1 betonte, dass sich anhand der Daten keinerlei Rückschlüsse auf den einzelnen Handy-Benutzer ziehen ließen. Jedes Handy bekomme eine für das Tracking zufällig generierte Nummer zugewiesen. All diese Nummern würden alle 24 Stunden frisch vergeben. Damit sei es nicht möglich, nachzuvollziehen, wohin sich die anonymisierte User über längere Zeiträume hinbewegen. “Man kann in keinster Art schauen, wo sich der Einzelne aufhält”, versicherte die Sprecherin. Es können lediglich Bewegungsströme in 20er Schritten analysiert werden (zB. kann nicht ausgesagt werden, dass 3 Personen von A nach B gehen. Es kann ausgesagt werden, dass sich „bis zu 20 Personen“ bewegen. Ab 21 Personen „bis zu 40“, usw.)”

Anonymisierung könnte umgangen werden

Aus einer Stellungnahme von A1 gegenüber ZackZack geht hervor, dass der Konzern Funkmasten zur Handyortung benutzt. Diese Ortungsmethode ist im städtischen Gebeit auf wenige Meter Radius genau. Aus den Profilen geht also sehr wohl hervor, wenn sich z. B. “bis zu 20 Personen” von einem Wohnhaus zum Supermarkt, zur Arbeitsstelle und wieder zurück bewegen. Zusammen mit Meldedaten könnte die Anonymisierung also in vielen Fällen umgangen werden.

Diese Gefahr sieht auch die Bürgerrechtsorganisation epicenter.works. Die Aggregation von individuellen Daten biete nicht in jedem Fall eine verlässliche Anonymisierung, so Geschäftsführer Thomas Lohninger zur APA: “Wenn sie nicht richtig gemacht ist, kann sie immer noch einen Personenbezug erlauben.” Prüfen will man auch, ob es eine Rechtsgrundlage für die Datenweitergabe gebe.

TU Graz beteiligt

Laut Angaben von A1 ist die “Invenium Data Insights GmbH” mit Sitz in Graz an den Analysen der Bewegungsprofile beteiligt. Das Unternehmen ist ein Spin-Off der TU Graz und auf die Analyse von Bewegungsdaten spezialisiert. Laut A1 ist der Konzern mit 20% an Invenium beteiligt. Man arbeite seit vier Jahren zusammen.

Opposition übt scharfe Kritik

Die Oppositionsparteien haben das Vorgehen der Bundesregierung, mittels Handydaten des Telekomunternehmens A1 Rückschlüsse auf die Bewegung der Österreicher während der Corona-Krise zu ziehen, kritisiert. Die SPÖ sprach von einem “massiven Grundrechtseingriff”, die FPÖ warnte davor, auf Bürger- und Freiheitsrechte zu vergessen. Die NEOS kündigten eine parlamentarische Anfrage an.

SPÖ: “Vorgehensweise nicht zu akzeptieren”

“Eine solche Vorgangsweise ist selbst in so einer außergewöhnlichen Situation nicht zu akzeptieren”, sagte der stellvertretende SPÖ-Klubvorsitzende und Verfassungssprecher Jörg Leichtfried Am Dienstag in einer Aussendung. Er verwies auf die für Mittwoch und Donnerstag geplanten Sitzungen des Nationalrates und des Bundesrates: Dort werde sich die Bundesregierung auch diesbezüglich zu erklären haben. “Außergewöhnliche Situationen mögen außergewöhnliche Maßnahmen benötigen, aber diese Maßnahmen dürfen nur in rechtsstaatlich einwandfreier Form getroffen werden”, so Leichtfried.

Auch Vize-FPÖ-Chef Manfred Haimbuchner kritisierte das Vorgehen: “Auch wenn wir derzeit eine Krise erleben, in der wir alles dafür tun müssen, um die Verbreitung des Virus möglichst effizient einzudämmen, dürfen wir nicht auf die Bürger- und Freiheitsrechte vergessen. Ein intransparentes Vorgehen bei den Auswertungen von Handydaten und Bewegungsprofilen beschädigt Vertrauen in den Staat, das es in der Krise dringend braucht”, sagte er. Er wünsche sich, dass zumindest die Klubobleute “über solche weitreichenden Maßnahmen vorab informiert werden”, so seine Forderung.

NEOS: “Regierung hat viel Macht bekommen”

Der stellvertretende Klubchef der NEOS, Nikolaus Scherak, kündigte eine parlamentarische Anfrage seiner Fraktion zu diesem Thema an. “Die Regierung hat in den letzten Tagen sehr viel Macht bekommen, indem sie die Freiheit der Österreicherinnen aus nachvollziehbaren Gründen auf ein Minimum beschränkt hat. Dennoch muss sie nun verdammt verantwortungsvoll damit umgehen”, sagte er in einer Aussendung. Keinesfalls dürfe eine “Ausreizen dieser Befugnisse bis hin zu einem möglichen Missbrauch der Macht” passieren. “Hier wird massiv in die Privatsphäre der Menschen eingegriffen.”

Es habe einen “ganz faden Beigeschmack”, dass sich ausgerechnet ein teilstaatliches Unternehmen freiwillig melde, Bewegungsprofile aller Handynutzer an die Regierung zu liefern: “Wir fordern hier schnellstmögliche Aufklärung, was hinter dieser sehr irritierenden Aktion steckt und auf welcher rechtlichen Grundlage sie passiert.”

(tw/APA)

Titelbild: APA Picturedesk

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