Freitag, März 29, 2024

Ausbeutung in Corona-Zeiten: Medizin-Studierende begehren auf

Medizin-Studierende begehren auf

Den Medizin-Studierenden im Klinisch-Praktischen Jahr fehlt die rechtliche Absicherung, wenn sie unterstützend als medizinisches Personal tätig werden. Jetzt reicht’s den Helfern, die anpacken wollen, aber trotz Überstunden mit etwa 650 brutto abgespeist werden. Sie fordern die Regierung zum Handeln auf. Ein Betroffener schildert ZackZack die Lage.

Wien, 19. März 2020 / Das Klinisch-Praktische Jahr (KPJ) ist im Rahmen des Medizin-Studiums für die Studierenden im letzten Jahr vorgesehen. Im Vordergrund steht dabei die Betreuung von Patienten unter Anleitung in einem der rund 150 Lehrkrankenhäuser in Österreich. Derzeit befinden sich rund 1400 Studierende im KPJ. Angesichts der Corona-Krise wollen die Studierenden einen wichtigen Beitrag leisten – sie sind allerdings kaum abgesichert.

Keine Rechte, viele Pflichten

In den 48 Wochen KPJ erhalten die Studierenden eine kleine Entschädigung von im Schnitt 650 Euro brutto monatlich (550 Euro netto). Dabei handelt es sich allerdings um ein freiwilliges Agreement der Krankenhäuser, eine Verpflichtung zur Mindestbezahlung gibt es nicht. Pikant: Die Studierenden werden zwar bei den jeweiligen Sozialversicherungsträgern als Arbeitnehmer angemeldet und sie müssen Krankenversicherung zahlen,  haben aber gemäß Universitätsgesetz kein Arbeitsverhältnis mit den Krankenhäusern – und gelten daher nicht als Arbeitnehmer mit dem dazugehörigen Schutz. Für Ihren Einsatz im Rahmen des KPJ fehlen die arbeitsrechtlichen Grundlagen. Es gibt keinen Anspruch auf Krankenstand oder Urlaub, lediglich zehn „Fehltage“ alle vier Monate sind genehmigt. Die Angst, abgemeldet und mit leeren Händen kurz vor Abschluss des Studiums dazustehen, ist laut einem Studierenden riesig. Er will anonym bleiben. Das Uralt-Epidemie-Gesetz von 1950 regelt den Einsatz von Studierenden im Krisenfall ebensowenig wie das neue Corona-Gesetz.

„Corona-Kanonenfutter“

Viele der Studierenden möchten gerade angesichts der Corona-Krise helfen. Ihr Fachwissen könnte gut gebraucht werden. Allerdings fordern sie auch eine deutlich bessere Absicherung. Der KPJ-Studierende empört sich im Gespräch mit ZackZack über die Ausbeutung und die schwierige Situation:

„Die KPJ-ler werden als Corona-Kanonenfutter benutzt. Auf manchen Abteilungen stehen sie sich die Beine in den Bauch und haben kaum etwas zu tun, da die Abteilungen auf Notbetrieb laufen – auf anderen werden sie zum Triagieren eingesetzt – und das ohne die notwendige Schutzausrüstung. Die ist weder fürs ärztliche Personal ausreichend da, geschweige denn für die Studierenden. Das ist die Misere, in der wir uns befinden: Man will als Student kein Super-Spreader sein und ohne gesetzlichen Schutz arbeiten müssen. Wir haben die Option ohne Schutzausrüstung arbeiten zu müssen oder unsre finanzielle Existenzgrundlage zu verlieren, da viele Abteilungen ein „Nein“ nicht akzeptieren. Dann wird man einfach gekündigt und steht vor dem Nichts.“

Er berichtet ZackZack zudem von Entlassungen: Einige KPJ-Studierende wurden von Einrichtungen entlassen, noch mehr damit bedroht: Viele Abteilungen seien der Ansicht, dass sie Studierende als günstige Arbeitskräfte missbrauchen können und spielten mit Existenzängsten. Der KAV wollte zu diesen Vorwürfen nicht Stellung nehmen.

Auf der anderen Seite schicken Krankenhäuser und andere Einrichtungen im Gesundheitswesen gezielt Hilferufe an die Studierenden aus, sich bei ihnen zu engagieren, da mit Personalnot gerechnet wird. Insgesamt wurden österreichweit bereits rund 15 Studierende nicht angemeldet, so die Auskunft der MedUni Wien. Diese interveniert nun und versucht, Lösungen für die jeweiligen Betroffenen zu finden. Das Engagement der Studierenden sei groß, sie wollen sich angesichts der Epidemie einbringen und helfen.

Die Studierenden haben nun via ÖH ein Schreiben an Bundeskanzler Kurz und Gesundheitsminister Anschober verfasst, in dem sie auf ihre Situation aufmerksam machen:

Appell der ÖH der MedUni Wien.

Studierende verunsichert, Druck vonseiten der Krankenanstalten?

Brisant ist zudem, dass aufgrund unterschiedlicher Kommunikation seitens Medizinische Universität auf der einen und Krankenanstalten auf der anderen Seite eine Anwesenheitspflicht trotz der aktuell prekären Situation zumindest am vergangenen Montag bestand. Studierende berichten von zwei widersprüchlichen Mails. So schreibt die Medizinische Universität Wien von einer Wahlmöglichkeit:

„Für das KPJ besteht für Sie eine persönliche Wahlmöglichkeit, in dieser Zeit auch in diesem zu verbleiben. Es werden für diese Zeit keinesfalls Fehlzeiten angerechnet. Stimmen Sie bitte mit der Krankenanstalt und der Abteilung bzw. der Lehrordination und Hospitationsstellen Ihre Anwesenheit ab. Voraussetzung für einen Verbleib im KPJ ist jedenfalls ein hohes Maß an Eigenverantwortung, insbesondere das strenge Einhalten von Hygieneregeln, das private Meiden von Veranstaltungen und das Fernbleiben von der Krankenanstalt bei Symptomen.“

Doch der Krankenanstalten-Verbund sieht das anders. So betont die KAV-Generaldirektion im ZackZack vorliegenden Mail zwar die Wahlmöglichkeit im selben Wording wie die MedUni. Doch eine echte Wahl haben die Studis nicht, denn:

„Nur KPJ Studierende, die den Dienst am 16.03.2020 antreten, können ihr Tertial absolvieren. Bei nicht erscheinen wird der Studierende nicht bei der MA 2 angemeldet. Dienstfreistellungen werden analog den Dienstfreistellungen der Mitarbeiter des KAV behandelt.“

Das heißt, dass die KPJ-Studierenden trotz der unzureichenden Situation am Montag zur physischen Anwesenheit verpflichtet wurden, da sie ansonsten ihren Studienfortgang aufs Spiel gesetzt hätten.

ZackZack bleibt dran.

Ein Bericht von Larissa Breitenegger und Benjamin Weiser

Titelbild: APA Picturedesk

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