Freitag, März 29, 2024

Coronavirus: Der Kalte Krieg der Supermächte

Der Kalte Krieg der Supermächte

Das Coronavirus ist auch ein Kampf der politischen Systeme und markiert eine historische Zeit. Die Großmächte, allen voran China und die USA, versuchen, die Pandemie mit ihrer politischen Erzählung zu verknüpfen. Es geht um nichts weniger als um globale Hegemonie.

Wien, 21. März 2020 / Im Westen dominiert der Markt und das Profitinteresse Einzelner. In China dagegen bestimmt der Staat die Wirtschaft, er kann sie ein- und ausschalten, wie es der Führung beliebt. Kein großer Konzern, oder gar der Besitzer einer Skihütte, könnte intervenieren, wenn der Staat die Schließung verlangt.

China – der optimistische Führer

Das ist auch ein Grund, warum das Zentrum der Pandemie nur wenige Wochen in China war. In knapp 2 Monaten brachte man das Virus unter Kontrolle, aber unter einem enormen Aufwand. Die Bevölkerung Wuhans sitzt noch immer in Quarantäne, eine Runde laufen oder kurz raus in die Sonne gehen ist verboten. Verstößt man dagegen, bedeutet das in den meisten Fällen zwei Wochen Zwangsquarantäne. Aber das Virus scheint zu verschwinden.

China war ab Ende Jänner im Krieg. Die Medien stellten auf Kriegsberichterstattung um, forderten die nationale Einheit und die Hingabe jedes Einzelnen im Kampf gegen das Virus. Vom Politbüro rund um Xi Jinping aus agierte China ab dem Lockdown von Wuhan so, als wäre die Epidemie eine militärische Operation. Doch zugleich säte man Optimismus: China werde den Krieg gegen „das tödliche Virus“ gewinnen und danach stärker sein als zuvor.

Eine der letzten Schlachten: Die Arbeiter desinfizieren den Bahnhof von Wuhan, das Epizentrum der Corona-Pandemie.

China festigt Einfluss in Europa

Aber seitdem Europa das Epizentrum in der Corona-Krise ist, positioniert sich China neu. Es stellt den Führungsanspruch, um die Welt durch diesen Kampf zu führen. Der Fokus rückte nach Europa, das sich, nachdem jahrzehntelang der Sozialstaat und das öffentliche Gesundheitssystem totgespart wurde, mit einer extremen Herausforderung konfrontiert sieht. Am Beginn des Ausbruchs schreibt die chinesische „Global Times“ – neben CGTN das Medium, mit dem China ins Ausland kommuniziert:

„Europa ist das Zentrum der Globalisierung. Wie die Epidemie sich in Europa entwickelt, wird bestimmen, welche Konsequenzen sich aus der Epidemie ergeben und wird das Verständnis der Menschen in Hinblick auf viele Themen grundlegend erneuern. Die Welt sollte Europa helfen, um den Kampf gegen das Virus zu gewinnen.“

China pachtet Solidarität

Im gegenwärtigen Klima der Supermächte, ist es einzig China, das auf internationale Solidarität und auf einen gemeinsamen, globalen Kampf hinweist. In Europa ist China willkommen, denn die EU ist nicht vorhanden, jeder Staat setzt seine eigenen Maßnahmen. Serbiens Präsident Vucic stellte einen exemplarischen Satz, der die Reaktion der einzelnen europäischen Länder recht deutlich macht: „Niemand darf nach Serbien, bis auf Chinesen, ihr sollt kommen.“

Richtung Welt präsentiert sich China als der selbstloser Führer, der uns durch die Krise bringt. Man verschickt Hilfsmittel nach Italien, Serbien, Spanien, Venezuela, Iran – und in den letzten Tagen lobt man auch europäische Staatschefs. Je drastischer die Maßnahmen der einzelnen Staaten sind, umso mehr Lob gibt es aus China. Nachdem Frankreichs Präsident Macron den „Krieg gegen das Virus“ ausrief, wurde er von der chinesischen Presse mit Anerkennung überhäuft.

Neben Hilfsmaterial schickt China auch medizinisches Personal in andere Länder. Hier das chinesische Ärzteteam, das nach Serbien geschickt wird.

Es gibt ein Land, das China aus der internationalen Gemeinschaft ausschließt: Die USA.

USA: „Das China-Virus“

Der US-Präsident, der Covid-19 anfangs noch verharmloste, bleibt bei seinem Wording „China-Virus“. Er betont, die Gegenerzählung des kommunistischen Regimes, wonach US-Soldaten es nach Wuhan gebracht haben sollen, sei ein Fake. Solange er Präsident sei, könne das nicht passieren.

„Weil es aus China kommt. Das ist überhaupt nicht rassistisch, überhaupt nicht. Es kommt aus China, das ist der Grund. Ich möchte präzise sein.“

Krieg der Erzählungen

Das ständige Wiederholen eines Fakts, nämlich des örtlichen Ursprungs des Virus, macht natürlich etwas mit der Wahrnehmung der eigenen Bevölkerung. Gewiss: Nahezu jeder Amtsträger versucht, die eigene Bevölkerung hinter sich zu scharen. Manche machen das mit einer umarmenden Rhetorik, wie Deutschlands Kanzlerin Merkel, manche mit einer pathetisch-patriotischen Sprache, wie Frankreichs Präsident Macron.

Doch Trump setzt ganz auf „Wir gegen Die“. Natürlich geht es auch um seine Wiederwahl. Dieser Krieg der Erzählungen wird uns in der internationalen Politik noch häufiger begegnen. Der bekannte US-Politologe Joseph Nye hatte dies schon vor einem guten Jahrzehnt erkannt: Politik im Informationszeitalter heißt nicht mehr, wessen Armee die stärkere ist, sondern wessen Story. Wenn man keine eigene hat, dann zerstört man eben die des Kontrahenten. Dennoch geht es selbstverständlich weiterhin um knallharte Interessen.

Der Heiler im Weißen Haus

Beim Kampf um den möglicherweise bald verfügbaren Impfstoff der deutschen Firma CureVac zog das Raubein im Weißen Haus zwar den Kürzeren. Der Impfstoff werde allen weltweit zur Verfügung stehen, hieß es vonseiten CureVac. Doch Trump gibt nicht auf: wenn schon kein Impfstoff, dann eben ein Wirkstoff, also ein Medikament. Er setzt dabei auf ein Mittel gegen Malaria. Doch einer seiner Experten, der ihn in der Corona-Krise schon öfter kritisiert hat, ist skeptisch.

Das Malariamittel habe womöglich schon Patienten mit anderen Sars-Viren geholfen, aber dies sei keine ausreichende Grundlage, so Amerikas oberster Immunologe Anthony Fauci. Er sagt spöttisch, es gebe lediglich „anekdotische Evidenz“. Im Klartext: wissenschaftlich ist das Ganze viel zu dünn. Während eines Pressebriefings des Weißen Hauses fasste sich Fauci kopfschüttelnd an die Stirn. Bislang hält er sich noch in seinem Job als Nationaler Direktor für Allergien und Ansteckungskrankheiten. Wie lange, bleibt abzuwarten.

Russland: Futter für die (Des-)Informationsstrategie

Russlands mediale Strategie in Sachen Coronavirus ist komplex. Seit 2016 gilt in Russland eine neue „Informationssicherheitsdoktrin“. Information, Propaganda und Cyber-Security werden in dieser Doktrin nicht als getrennte Bereiche, sondern als Elemente einer komplizierten Maschinerie verstanden, die ineinandergreifen müssen, um zu funktionieren.

Weder die USA noch die EU haben dieser Doktrin viel entgegenzusetzen. Das haben nicht zuletzt die Brexit-Kampagne und die US-amerikanischen Präsidentschaftswahl gezeigt. Beide waren von russischen Hackern, Staatsmedien und Kreml-nahen Medien beeinflusst worden, ohne dass westliche Regierungen ein Gegenmittel gefunden hätten.

Fake News

Ähnliches spielt sich nun auch im Zuge der Corona-Krise ab. Der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) beklagt in einem internen Memorandum vom 16. März, dass Russland in vielen europäischen Staaten und über unterschiedliche mediale Kanäle Fake News über das Virus streue. Ziel sei, die Krise in Europa durch gezielte Desinformation und die Erzeugung von Panik zu verschärfen.

Kampfposter und Bots generieren und verbreiten in den Sozialen Medien Verschwörungstheorien, Falschnachrichten oder faktisch korrekte, aber betont russlandfreundliche Nachrichten. Besonders die Verschwörungstheorie, der zufolge das Coronavirus eine US-amerikanische Biowaffe sei, ist weit verbreitet. Damit unterstützt man indirekt Putins Freund: Xi Jinping.

Russia Today

Eine wesentliche Rolle spielt „Russia Today“ (RT), ein 2005 gegründetes staatliches Konglomerat an Medienkanälen, über das Ausländer Nachrichten „aus russischer Perspektive“ erfahren sollen – und das in mittlerweile sieben Sprachen, darunter auch Deutsch.

Verunsicherung ist das Ziel der Berichterstattung:

„Wie sooft, herrscht auch beim Thema Corona großes Misstrauen unter der Bevölkerung. Wem kann man glauben? Selbst renommierte Wissenschaftler und Virologen sind sich nicht einig, Dutzende Fragen sind ungeklärt.“

Unter dem Titel „Alles Panikmache?“ heißt es zum Beispiel: „Der erfahrene Internist Dr. med. Claus Köhnlein aus Kiel will darüber aufklären, dass die Tests eine hohe Fehlerquote aufweisen, und zweifelt insgesamt an der außerordentlichen Gefahr durch das Virus.“

„Pentagon als Drahtzieher“

Anders als Kampfposter und Bots, behauptet RT nicht selbst, das Virus wäre eine amerikanische Waffe. Es gibt aber z. B. „offiziellen Stimmen aus Teheran und Peking“ breiten Raum, die „das Pentagon als Drahtzieher“ vermuten. „Corona und der Tod aus dem Labor“ – eine typische RT-Schlagzeile. Als Folge der Corona-Krise sei sicher:

„China und Russland werden USA als Supermacht ablösen“,  denn: „Russland ist besser vorbereitet“.

EU und Großbritannien – “Kopflos in die Pandemie”

Und die EU? Der stärkste Wirtschaftsraum der Welt findet bei weitem keine gemeinsame Linie, wie mit der Pandemie umzugehen ist. Statt europäische Solidarität und Zusammenarbeit gibt es 28 Einzelstrategien und Exportstopps. Erst als Italien lichterloh brannte und radikale Maßnahmen im Land durchsetzte, zogen weitere europäische Länder mit. Österreich war eines der ersten – aber auch erst, nachdem man monatelang mit Grippe-Vergleiche beschäftigt war.

Um 28 Einzelstrategien darzustellen, ist hier zu wenig Platz. Stattdessen beschränken wir uns auf Großbritannien, das obwohl nicht mehr EU-Land, die fehlende Koordination und das europäische Dilemma exemplarisch am besten darstellt.

Die Wirtschaft siegt: Herdenimmunität

Die Lage in Großbritannien ist prekär. Premierminister Boris Johnson verfolgt einen Zick-Zack-Kurs gegen das Coronavirus. Zwar verkündet Johnson stets, dass man sich im „Krieg gegen das Virus“ befinde, seine bisher getroffenen Maßnahmen zeigen jedoch keinen kontinuierlichen Schlachtplan.

Statt auf Ausgangssperren oder Social Distancing zu setzen, gab es von Johnson zunächst lasche Maßnahmen. Auf der Website des britischen Gesundheitsministeriums wurde der Bevölkerung nur geraten: „Wenn Sie sich krank fühlen, für sieben Tage in Selbstisolation begeben“. Getestet wurde so gut wie gar nicht. Das britische Zauberwort hieß lange: Herdenimmunität.

Dabei infizieren sich größere Teile der Bevölkerung mit dem Coronavirus, erkranken jedoch nicht an der Lungenkrankheit Covid-19, die Verbreitung soll so verlangsamt werden. Wissenschaftler, waren empört über Johnsons Vorschlag. Das renommierte Londoner Imperial College zeigte anhand einer Studie, dass durch Johnsons Plan mehr als 250.000 Briten sterben würden. Doch die andere Seite dieser Strategie: Es braucht keinen Shut-Down, der der Wirtschaft massiv zusetzt.

Dann doch eine Kehrtwende

Johnson, aufgrund der Kritik von Virologen und der Medien aufgerüttelt, änderte diese Woche seinen Kurs. Nun rät er der Bevölkerung von sozialen Kontakten ab, die Schulen wurden am Freitag geschlossen und alle, die der Risikogruppe angehören, sollen in eine dreimonatige Isolation.

Sogar die den Briten heiligen Pubs wurden geschlossen, eine Ausgangsperre für die Millionenstadt London wird für nächste Woche erwartet. Für viele Experten kamen diese Schritte jedoch zu spät, Johnson habe mit seinem undurchsichtigen Plan wertvolle Zeit verschwendet. Und ein weiteres Problem steht den Briten bevor.

Das Schlimmste verhindern

Das zu Tode gesparte staatliche Gesundheitssystem NHS steht marode da. Laut eigenen Angaben haben britische Krankenhäuser nur 4.000 Beatmungsgeräte für Erwachsene und 900 für Kinder zur Verfügung. Experten sind der Ansicht, dass jedoch noch einmal 20.000 zusätzliche benötigt werden.

Intensivbetten sind zu wenige vorhanden, medizinisches Personal fehlt ebenfalls an allen Ecken und Enden. Johnsons ursprünglicher Herdenimmunitätsplan, hätte NHS wohl zur heillosen Überlastung geführt. Die Frage wird sein, ob Großbritannien noch rechtzeitig das Ruder herumgerissen hat.

In diesem Chaos bleibt der Politik keine Chance, eine eigene Erzählung über das Virus durchzubringen. In Europa versucht man, das Schlimmste zu verhindern. Politik machen derweil die Anderen.

(ot,wb,tw,bf)

Titelbild: APA Picturedesk

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