Donnerstag, März 28, 2024

Heuschreckenplage in Ostafrika: Millionen Menschen von Hungersnot bedroht

Millionen Menschen von Hungersnot bedroht

Während Europa im Bann des Coronavirus ist, droht in Ostafrika Millionen Menschen eine Hungersnot. Die Region wird von der seit 70 Jahren schlimmsten Heuschreckenplage heimgesucht – und kein Ende ist in Sicht. Bereits Anfang Februar wurde in Pakistan und Somalia der Notstand ausgerufen. 11 Millionen Menschen sind von Hunger bedroht. Die Maßnahmen, die ergriffen werden, reichen nicht aus – eine zweite Invasion steht bevor.

Wien, 23. März 2020 / Seit Wochen machen sich zig Milliarden Wüstenheuschrecken in Ostafrika breit und versetzen Bewohner und Behörden in Angst. Zu recht. Kenia hat seit mehr als 70 Jahren keine so schlimme Heuschrecken-Invasion gesehen, den umliegenden Ländern geht es ähnlich. Aus dem Jemen kommend über Äthiopien und Somalia haben kilometerlange Schwärme ganze Landstriche kahlgefressen. Ein Schwarm von etwa einem Quadratkilometer kann laut UN-Landwirtschaftsorganisation (FAO) an einem Tag potenziell so viel vertilgen wie 35.000 Menschen. Hunderttausende Hektar Land sind demnach schon betroffen.

Apokalyptische Invasion

Gräser, Büsche und Akazienbäume bedecken die Landschaft Samburus. Heuschrecken sind keine zu sehen. Es herrscht Stille. Wo sind die Insekten, die hier im Norden Kenias in schier apokalyptischem Ausmaß über die Landschaft hergefallen sind? Erst bei genauem Hinsehen zeigt sich: Der gelbgrüne Grasteppich ist gar keiner, es sind Wüstenheuschrecken, dicht an dicht. Zu Tausenden und Abertausenden wuseln sie über den Boden. Gelbgrün mit schwarzen Punkten bedecken sie die kahle, trockene Erde. Geht man auf den Insektenteppich zu, bricht Panik aus; die Heuschrecken hüpfen weg, retten sich auf Sträucher und unter Bäume.

Unvorstellbares Ausmaß

Ein Schwarm ausgewachsener Tiere von der Größe eines Quadratkilometers könne an einem Tag so viel fressen wie 35.000 Menschen. In Kenia wurde ein Schwarm gesichtet, der 60 Kilometer lang und 40 Kilometer breit sein soll. Der Schwarm bedeckt damit eine Fläche von 240 Quadratkilometer.

Alarmierende Lage

Und es kommt wohl noch schlimmer: Die ersten Schwärme haben auf ihrer Reise Eier gelegt, die nächste Generation ist geschlüpft. Noch können diese Heuschrecken nicht fliegen und bewegen sich in sogenannten Hopper-Banden auf dem Boden fort. Doch bald haben sie Flügel. “Neue Schwärme fangen an, sich zu bilden”, sagt Keith Cressman, der Mann bei der FAO, der sich um Heuschrecken-Ausbrüche kümmert. Genau zur wichtigsten Pflanz- und Erntezeit in der Region. “Die Lage ist extrem alarmierend.”

Schwärme verdunkeln Kenia

Für die Forscher aus Konstanz ist die beste Waffe Wissen. Es ist ein faszinierendes Phänomen, das zur Bildung der Schwärme führt, die den Himmel über Kenia verdunkeln können. Normalerweise sind Heuschrecken Einzelgänger und meiden ihre Artgenossen. Bilden sie aber doch durch bestimmte Umstände – etwa wegen Futter – eine Gruppe, werden sie schlagartig zu einem Gruppentier. Innerhalb von Stunden verändert sich ihr Verhalten: Sie bewegen sich als Kollektiv, ihre Reproduktionszeit wird kürzer, die Lebensdauer auch. Andere Einzelgänger werden vom Schwarm aufgesogen.

Viel Unklarheit

“Wir wissen, was passiert”, erklärt Einat Couzin-Fuchs, die Leiterin des Forschungsteams, die früher nach Konstanz zurückgeflogen ist. “Aber wir wissen nicht genau wie.” Wie bleiben die Heuschrecken zusammen? Über Berührung, Sicht, Gerüche? Wer gibt die Richtung an? Kann man vorhersagen, wo die Tiere hinziehen werden? Und am allerwichtigsten: Kann man die Bildung solcher Gruppen verhindern?

Letztstand der Wissenschaft: Studien vor 70 Jahren

Ein internationales Forscher-Team versucht nun, das Verhalten der Tiere zu untersuchen – um Prognosen machen zu können. “Alles, was wir über Heuschreckenplagen wissen, stammt aus zwei oder drei Feldstudien, die vor etwa 70 Jahren in Kenia durchgeführt wurden”, sagt Einat Couzin-Fuchs, die Leiterin des Forschungsteams. Seitdem sei quasi keine wissenschaftliche Forschung im Feld gemacht worden. Das liegt vor allem daran, dass Heuschreckenplagen nicht oft vorkommen und wenn, dann meist in Ländern wie dem Jemen, die schwer zugänglich sind.

Forschung wird nicht bei diesem Ausbruch helfen

Allerdings wirkt die Wissenschaft im Vergleich zur Dringlichkeit der Krise extrem langsam. Das ist dem Team bewusst. “Unser Ziel ist es nicht, bei diesem Ausbruch zu helfen”, sagt Einat Couzin-Fuchs. Sie hofft auf einen Beitrag zu langfristigen Lösungen. Etwa, die Heuschrecken davon abzuhalten, sich von einem Einzelgänger zu einem Gruppentier zu wandeln. “Wir könnten konkrete Mittel entwickeln, um diesen Mechanismus zu blockieren”, sagt sie.

Pestizide aus der Luft und vom Boden

Ein wenig können die Forscher aber doch bei der aktuellen Plage helfen. Ihre Beobachtungen in den abgelegenen Gebieten geben sie an die Behörden weiter. Etwa an Daniel Lesaigor, der für die Bekämpfung der Heuschrecken im Bezirk Samburu verantwortlich ist. Sein Team besprüht die Insekten aus der Luft und von Fahrzeugen aus mit Pestiziden. Großräumig fehlt es allerdings an Möglichkeiten, die Insekten mit Pestiziden zu bekämpfen. In Somalia stehen keine Flugzeuge zur Bekämpfung zur Verfügung. In Kenia gibt es zu wenige davon.

Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes

Die Vereinten Nationen befürchten, dass die Schwärme bis Juni um das 500-fache anwachsen könnten. Für die Landwirtschaft wäre das eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes. Schon derzeit sind in der Region elf Millionen Menschen von Mangelernährung bedroht.

Schwärme legen 100 bis 150 km pro Tag zurück

Lesaigor ist klar: Die beste Chance, die Invasion noch in den Griff zu bekommen, ist jetzt. Solange sie noch am Boden sind, sind Wüstenheuschrecken vergleichsweise langsam unterwegs. Am Tag legen sie nur wenige Kilometer zurück – fliegende Schwärme dagegen 100 bis 150 Kilometer. Und während sie jung sind, können die Tiere noch keine Eier legen. Bislang hat sein Team 74 Hopper-Banden besprüht, allerdings gibt es mindestens 164 weitere, wie Lesaigors erklärt. “Wir versuchen den Kreislauf zu durchbrechen, damit keine der Hopper wegfliegen.”

“So eine Plage kann sich mehrere Jahre halten”

Wenn sie einmal fliegen, geht alles wieder von vorne los: Die Schwärme fressen weitere Landstriche kahl, werden vom Wind kilometerweit getragen, legen Eier. “So eine Plage kann sich mehrere Jahre halten”, sagt Oberhauser. Wie und wann Ostafrika sie los wird, liegt nicht allein am Willen des Menschen. Ungünstiges Wetter würde helfen, sagt Cressman von der FAO. Damit meint er Trockenheit.

Wichtigste Erntezeit des Jahres bedroht

Doch nun steht in der Region die Regenzeit an und damit auch die wichtigste Erntezeit des Jahres. Die Heuschrecken seien eine große Bedrohung für die Lebensgrundlage und Nahrungsmittelsicherheit der Menschen, sagt Cressmann.

(apa/lb)

Titelbild: APA Picturedesk

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