Großbritannien und Niederlande wachen auf
Während in vielen Ländern weltweit zu harten Anti-Corona-Maßnahmen gegriffen wurde, brauchten UK und NL etwas länger Bedenkzeit. Sie setzten zunächst auf das höchst umstrittene Konzept der Herdenimmunität, ZackZack hat bereits berichtet. Ein Shutdown sollte verhindert werden, um die Wirtschaft zu schützen. Offenbar wurde den jeweiligen Premierministern das Experiment im großen Stil dann doch zu heiß.
Wien, 24. März 2020 / Andere Staaten setzten strenge Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus, noch lange bevor es erste Tote in Verbindung mit dem Coronavirus gab. Großbritannien verzeichnete am Montag bereits 335 Tote, als der konservative Premierminister Boris Johnson via “BBC” nach wiederholt harter Kritik endlich strenge Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus auf dem Inselstaat setzte.
Auch der rechtsliberale Premierminister der Niederlande, Mark Rutte, setzte zunächst auf Herdenimmunität: Die junge Bevölkerung sollte sich kontrolliert, aber flächendeckend anstecken, um so immun gegen das Virus zu werden. Ältere Teile der Bevölkerung sollten durch Isolierung geschützt werden. Ein Shutdown sei hierfür nicht notwendig. Rutte ist mittlerweile kräftig zurückgerudert.
Herdenimmunität ade
Das Konzept der Herdenimmunität angesichts der Corona-Krise stammt aus Großbritannien. Patrick Vallance, der wissenschaftliche Berater der britischen Regierung, hat sich dafür lebhaft eingesetzt. Auch Premier Boris Johnson hing dem Konzept zunächst an. Dieser ist nun allerdings auf Distanz gegangen. Denn: Ob das mit der Herdenimmunität so funktioniert, ist höchst umstritten. Die WHO und Experten warnen vor dieser Art der Immunisierung, die viele Menschenleben riskieren könnte – und normalerweise mit Impfungen hergestellt wird. Die WHO-Sprecherin Dr. Margaret Harris hatte bereits Wochen zuvor klargestellt:
„Wir wissen nicht genug über die Logik dieses Virus, es war nicht lange genug in unserer Bevölkerung, um zu wissen, was es in immunologischer Hinsicht tut. Außerdem wissen wir nicht, wie häufig eine Immunität nach einer Infektion mit diesem Virus auftritt und wie stark diese Immunität ist, und wie lange sie anhält.“
Niederlande: Premier rudert zurück
Mit der Idee der Herdenimmunität wollte der Rechtsliberale Rutte monatelange Ausgangsbeschränkungen vermeiden, vor allem aber die wirtschaftlichen Kosten der Krise eindämmen. International und vonseiten der eigenen Bevölkerung hagelte es heftige Kritik an seinem Vorgehen, ähnlich wie in Großbritannien. Schließlich ruderte er zurück und dementiert jetzt, diese Strategie fahren zu wollen. Es handle sich bloß um einen Effekt, der mit der Ausbreitung des Virus automatisch eintreten würde, so der Premierminister nach seinem Sinneswandel. Es gibt derzeit ein Einreiseverbot für Nicht-EU-Bürger, die Schließung von Schulen, Bars und Restaurants seit 15. März und seit Montag hat die Regierung alle Veranstaltungen und Zusammenkünfte bis zum 1. Juni verboten. Rutte ist nach wie vor gegen einen vollständigen Lockdown von Geschäften oder anderen Dienstleistungsbetrieben. Das ziehe eine zu starke Schwächung der Wirtschaft mit sich. Auch eine Ausgangssperre hat die Regierung bisher noch nicht ausgesprochen.
Italienische Verhältnisse in den Niederlanden?
In den Niederlanden ist die Infektionsrate innerhalb eines Tages um 545 neue Fälle gestiegen. Am heutigen Dienstag verzeichnet das Land damit über 4.700 bestätigte Fälle und 213 Tote. Welche Konsequenzen die verspäteten Maßnahmen haben werden, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Es könne zu “italienischen Zuständen” kommen, warnte Mikrobiologe Roel Coutinho. Die Niederlande haben derzeit etwas mehr als 1.000 Intensivbetten bei einer Bevölkerung von 17 Millionen Einwohnern. Zum Vergleich: Österreich mit 8,22 Millionen Einwohnern hat 2.547 Intensivbetten.
Stay home and save lifes: Shutdown in Großbritannien
Der lasche Anfangskurs im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus wurde in Großbritannien mit Montagabend beendet. Die Kehrtwende in London kommt wenig überraschend: Eine Studie des Imperial College London hatte ergeben, dass die Strategie der Herdenimmunität nach Schätzungen zu 250.000 Toten führen könnte. London wollte mit dem Kurs, ebenso wie Den Haag, die Wirtschaft schützen. Nun greift Briten-Trump Boris Johnson zu härteren Maßnahmen anstelle von Empfehlungen.
Please join me for an important update on #coronavirus #StayHomeSaveLives pic.twitter.com/QSlIOIaYsF
— Boris Johnson #StayHomeSaveLives (@BorisJohnson) March 23, 2020
Boris Johnson twitterte seine Rede zu den neuen Corona-Maßnahmen. Sein Profilname ist jetzt übrigens mit dem Hashtag #stayhomesavelifes versehen.
Es gilt – wie in Österreich – dass Bürger ihr Zuhause nur in dringenden Fällen verlassen sollen: Zur Arbeit, wenn es absolut nötig ist, zum Einkaufen etwa oder aus gesundheitlichen Gründen. Kurze Ausgänge, um sich zu bewegen, sind erlaubt – unter Einhaltung des Sicherheitsabstands. Alle Geschäfte, die nicht-essentielle Waren verkaufen, schließen. Öffentliche Zusammenkünfte mit mehr als zwei Personen, wenn diese nicht zusammen in einem Haushalt leben, sind verboten. Auch hier wird sich erst in wenigen Wochen zeigen, wie weitreichend die Auswirkungen der im Vergleich spät umgesetzten Maßnahmen sein werden.
(lb)
Titelbild: APA Picturedesk