Donnerstag, März 28, 2024

Nationales Schulterklopfen – Kommentar

Kommentar

Die Coronazeit ist keine Zeit für Selbstdarstellung und “Ich hab’s immer besser gewusst”. Das muss auch noch bei Sebastian Kurz ankommen. Statt einem nationalen Schulterschluss will der Kanzler ein nationales Schulterklopfen.

Wien, 07. April 2020 | Beinahe täglich kommen wir in den „Genuss“ einer Regierungspressekonferenz. An sich keine schlechte Sache, Information ist in Zeiten wie diesen ein wichtiger Faktor. Jedoch werden Pressekonferenzen und Interviews der Regierung kaum zur Informationsverbreitung genutzt. Dominiert werden die Botschaften an die Bevölkerung von kollektivem Eigenlob. Besonderer Vorreiter im eigenem Schulterklopfen: Sebastian Kurz.

Anti-solidarische Haltung

Das gestrige Interview in der ZIB 2 bei Armin Wolf zeigte ein egozentrisches Bild des Kanzlers. Angesprochen auf den letztwöchig angekündigten Corona-Sturm, der über Österreich hereinbrechen würde, erwiderte Kurz: „Der Sturm findet statt. Gott sei Dank nicht in Österreich, sondern in anderen Ländern“. Es ist zwar schön, dass Österreich bis jetzt Großteils verschont von überfüllten Krankenhäusern und zerrüttenden Einzelschicksalen ist, solidarisch mit hart getroffenen Ländern wie Italien oder Spanien ist diese Haltung jedoch nicht.

Staatliche Zwangsisolation

Die vorgegebene Marschroute, das Virus auszurotten, sofern dies überhaupt geht, kann man mit so einer Haltung nicht schaffen. Ein Virus eindämmen kann man nicht als einzelnes Land, es sei denn man will in den nächsten Jahren in staatliche Zwangsisolation. Man braucht keinen nationalen Schulterschluss, es braucht einen globalen Schulterschluss.

Wer braucht schon Experten

Da hilft auch kein kollektives Eigenlob des Kanzlers, der selbstgefällig hausieren geht, Meinungen von Experten ignoriert zu haben. Vergleiche von Grippe und Corona? Hat der Kanzler immer abgewiesen. Seltsam, dass es zur europäischen Virenschleuder Ischgl kam. Die Behörden hatten doch schließlich „alles richtig gemacht“. Dafür gibt es nur zwei Erklärungen: Verharmlosung der Krankheit oder Vertuschung. Kurz hat auch „Gott sei Dank keinem geglaubt, der gesagt hat Masken bringen nichts“. Das steht jedoch im krassen Gegensatz zu dem, was Kurz noch am 28. Februar in der ZIB 2  über den Einsatz von Masken gesagt hat: „Das bedeutet schon gar nicht, dass es sinnhaft ist, mit irgendwelchen Schutzmasken herumzurennen“.

Kurz Meinung über Masken. Vegleich: 06. April und 28. Februar

Juristerei eine Nebensächlichkeit

Dass Kurz sich momentan um juristische Meinungen über Verordnungen und Erlässe relativ wenig scherrt, wie im Interview gestern, klingt zwar schön für das Publikum, denn der Kanzler stellt Gesundheit vor alles andere. In der alltäglichen Situation ist das allerdings verheerend und blauäugig. Denn das momentane Strafenchaos aufgrund rechtlicher Unklarheiten sorgt für Verwirrung in der Bevölkerung.

Österreich schneller als alle anderen

Ja, Österreich war früh dran mit den Maßnahmen die gegen das Coronavirus gezogen wurden. Aber die deklarierte Vorreiterstellung, dass wir die schnellsten waren und alle anderen Länder auf uns schauen, stimmt schlichtweg nicht. Dänemark, vergleichbar mit Österreich, initierte einen Lockdown vor uns. Maskenpflicht? Tschechien hat die schon seit Wochen. Es ist kein Wettlauf gegen andere Staaten, es ist ein Rennen gegen das Virus.

Die Selbstbeweihräucherung von Sebastian Kurz braucht in dieser Zeit niemand. Die Rückkehr zum Normalleben schaffen wir auch ohne besserwisserisches Ich-Denken und ohne nationales Schulterklopfen.

Benedikt Faast

Titelbild: APA Picturedesk

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1 Kommentar

  1. […] Nationales Schulterklopfen, so lautet der Titel des gestrigen Kommentars. Die Frage, die sich damit stellt, ist: Wofür? Ja, das Schlimmste wurde bisher verhindert. Italienische Verhältnisse sind (noch) nicht da. Das Wort „noch“ steht bewusst in Klammern, denn statt uns in einer der vielen täglichen Statements im Regierungsfunk über die langfristige Perspektive zu informieren, passiert tägliches politisches Sackhüpfen von einem Ort zum nächsten, mit ungewissem Ausgang. […]

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