Donnerstag, März 28, 2024

Engpässe bei Arzneimittelversorgung in Österreich?

Engpässe in der Arzneimittelversorgung haben in Österreich auch schon vor Corona bestanden – das Thema wird angesichts der Ausbreitung des Virus und des steigenden Bedarfs an Arzneimitteln allerdings um einige Grad heißer. Ein Schreiben der EU-Gesundheitskommissarin an einige europäische Verbände der Arzneimittelindustrie sorgte nun für Beunruhigung.

Wien, 10. April 2020 | Mit steigender Zahl von Corona-Infizierten wächst auch die Angst, dass die Medikamente in Österreich knapp werden könnten. Viele der Wirkstoffe werden in China hergestellt, wo das Virus erstmals ausgebrochen ist und der Shutdown daher auch Einfluss auf die Produktion vor Ort nahm. Außerdem breitet sich das Virus auch in Europa immer weiter aus – die Sorge um die Stabilität europäischer Lieferketten wächst.

Doch Arzneimittelengpässe an sich sind keine Seltenheit. Bereits im Jänner wurde vermehrt von Medikamentenengpässen in Österreich berichtet. Zuletzt sorgte eine Veröffentlichung der deutschen Zeitung „Die Welt“ für Aufsehen: In einem Brief soll die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides an mehrere europäische Verbände der Arzneimittelindustrie in einer „Angelegenheit extremer Dringlichkeit“ appelliert haben: Diese sollten die Produktion von Medikamenten für Covid-19-Patienten in der Intensiv-Versorgung massiv hochschrauben. Aus diesem Schreiben geht weiters hervor, dass den Kliniken in mehreren europäischen Ländern – darunter Österreich – jetzt schon Mittel für die Behandlung von schwerkranken Patienten ausgegangen seien.

Verband der Pharmazeutischen Industrie: Keine Lieferengpässe

Das Schreiben der EU-Kommissarin ging auch an den Verband der Pharmazeutischen Industrie Österreichs. Alexander Herzog, Generalsekretär des Verbands, gab auf ZackZack-Anfrage aber Entwarnung:

Das spiegelt die Situation nicht richtig wider. Den Brief der Kommissarin Kyriakides gibt es. Es steht allerdings nicht drin, dass es akute Engpässe gibt. Dem ist auch nicht so. Vielmehr fordert die Kommissarin die pharmazeutische Industrie auf, dass sie ihre Produktionskapazitäten hochfahren soll – und das hat einen ganz speziellen Hintergrund”

Die Verbände produzieren daher auf Hochtouren, fordern aber eine Absicherung hinsichtlich etwaiger Überproduktion und Arbeitsrecht, denn nicht in jedem Land ist eine 24/7-Produktion so einfach möglich. Die Kommissarin erteilte mit dem Brief den pharmazeutischen Verbänden und Unternehmen quasi die notwendige rechtliche Absicherung für die Produktion. Herzog betonte gegenüber ZackZack weiters:

“Die Kurzfassung ist: Wir haben keine zusätzlichen, durch Corona bedingten Lieferengpässe, die Industrie produziert kontinuierlich und hat sogar einzelne Produktionslinien umgestellt, um den akuten Mehrbedarf zumindest teilweise decken zu können. Wir sind aber darauf angewiesen, dass die Grenzübertritte funktionieren – die funktionieren und sind gut etabliert. Auch die Zwischenlager sind derzeit in ausreichendem Maße gefüllt.”

Auf die Frage hin, ob die Produktionskapazitäten auch für die nächsten Monate ausreichend sein würden, sagte Herzog:

“Wir versuchen, so weit wie möglich vorauszuplanen. Wir wissen, was in den nächsten zwei bis drei Wochen passiert. Wenn die Kurvenentwicklung so weitergeht wie bisher, dann ist das gut und stimmt uns weiter zuversichtlich, dass die Sondersituation gut gemeistert werden kann. Wenn es so wie in den USA läuft, dann wäre das sicherlich weit herausfordernder.”

Intensivmediziner Tirol: Keine Engpässe bisher

Auch im Bereich der Intensivmedizin komme es zu keinen Engpässen, die nicht durch Ersatzpräparate wettgemacht werden könnten. Univ.Prof.Dr. Michael Joannidis, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Internistische, Allgemeine Intensivmedizin und Notfallmedizin sagt:

 „Seit einiger Zeit nehmen Arzneimittelengpässe weltweit zu, dies wurde auch von der WHO als globales Problem anerkannt. Auch in Österreich hat dies spürbare Auswirkungen. Bislang konnten alle Tiroler Patienten in den Krankenhäusern durch die Anstaltsapotheke des Landeskrankenhauses Innsbruck entsprechend ihrem Bedarf versorgt werden. Ein Präparat zur Analgosedierung war für kurze Zeit nicht lieferbar, aber für diesen Zeitraum konnten wir ein Ersatzpräparat beziehen.“

Auch Verband der Arzneimittelgroßhändler zuversichtlich

Laut dem Verband der Österreichischen Arzneimittelgroßhändler steigt die Nachfrage bei bestimmten Arzneimitteln in den letzten Wochen um bis zu 100 Prozent. Insbesondere Schmerzmittel werden verstärkt gekauft, aber auch Blutdruck regulierende Medikamente oder Antidiabetika. Die Frage ist: Hält die Versorgung auch bei bis zu verdoppelter Nachfrage? Die Auskunft vom Verband auf ZackZack-Anfrage:

„Es gibt tatsächlich Lieferengpässe bei einzelnen Produkten. Zum einen können aber kurzfristige Lieferausfälle und Lieferverzögerungen durch die 23 Lagerstandorte der Vollgroßhändler abgefangen werden. Zum anderen gibt es im Moment für die Arzneimittel, die in der Apotheke nicht mehr verfügbar sind, Alternativpräparate für die betroffenen PatientInnen“,

so Dr. Monika Vögele, Generalsekretärin des Verbands gegenüber ZackZack. Durch die Corona-Krise sei die Anzahl an Engpässen derzeit aber nicht gestiegen:

„Es gab und gibt durch die Corona-Krise fallweise Verzögerungen bei der Belieferung aufgrund der erschwerten Transportwege. Die Menge der von Engpässen betroffenen Arzneimitteln sind aber durchaus vergleichbar mit den Zeiten vor der Krise.“

Meldung von Vertriebseinschränkungen seit April verpflichtend

Um zu wissen, wie es um den Arzneimittelbestand in Österreich bestellt ist, hilft ein Blick in das Register für Vertriebseinschränkungen, das das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) führt. Bis vor kurzem erfolgte die Meldung von Lieferschwierigkeiten auf freiwilliger Basis, die Corona-Pandemie hat allerdings die Verpflichtung zur Meldung rasch möglich gemacht: Seit 1. April 2020 muss der Zulassungsinhaber dem Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen „jede Einschränkung der Vertriebsfähigkeit einer verschreibungspflichtigen Arzneispezialität im Inland unverzüglich“ melden.

Screenshot aus dem Bundesgesetzblatt. Diese Regelung gilt ab 1. April: Meldungen von Vertriebseinschränkungen müssen beim BASG gemacht werden.

Allein seit Mitte März sind insgesamt rund 150 neue Meldungen über die eingeschränkte oder Nicht-Verfügbarkeit von Arzneimitteln beim Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen eingegangen. Insgesamt sind über 300 Vertriebseinschränkungen zu Arzneimitteln aus unterschiedlichsten Bereichen beim BASG gemeldet.

(lb)

Titelbild: APA Picturedesk

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