Donnerstag, April 18, 2024

Notstand Türkis: Vor der zweiten Corona-Welle – Kommentar

Kommentar

Jetzt, am Beginn der Rückkehr ins normale Leben, ist es Zeit für eine Klarstellung: Corona war und ist eine der größten Krisen der letzten Jahrzehnte und damit von Gesundheit bis Wirtschaft eine der größten Herausforderungen für die Politik. Aber: Corona war kein politischer Notstand. Es gab keinen einzigen Moment, in dem es notwendig gewesen wäre, das demokratische und rechtsstaatliche System außer Kraft zu setzen. Trotzdem ist genau das passiert.

Wien, 10. April 2020 | In der Corona-Krise stellt sich uns eine große politische Frage:  Kann ein Staat wie Österreich der schnellen Ausbreitung einer gefährlichen Krankheit auf dem Boden seiner Verfassung und mit einem funktionierenden Parlament erfolgreich entgegentreten? Die Antwort der Regierung lautet offensichtlich Nein. Aber haben sich ÖVP und Grüne überhaupt die Frage gestellt?

Das Erlass-Chaos

Manfred Matzka war Präsidialchef im Bundeskanzleramt. Fundiert und detailliert beschreibt er im Standard, wie Gesundheitsminister und Bundesregierung von Betriebsschließungen, Entschädigungsstreichungen und Ausgangssperren bis zu MNS-Erlass und Ostererlass mit einem chaotischen Regime aus Anlassgesetzen und Erlässen Stück für Stück den sicheren Boden der Verfassung verlassen haben.

Das Erlass-Chaos hat einen einfachen Grund: Der Gesundheitsminister war völlig unvorbereitet, weil niemand vor ihm Österreich auf einen pandemischen Notfall vorbereitet hatte. Ein grüner Minister badet jetzt die Versäumnisse von ÖVP, FPÖ und SPÖ aus.

Notstand Türkis

Notstand hat in der Politik eine Folge: Ermächtigung. Die Regierung behauptet, sie könne nicht auf das Parlament warten – und ersetzt dessen Gesetze und gesetzeskonforme Verordnungen durch direkte Weisungen an die Verwaltung, durch Erlässe. Der Kanzler hat es auf den türkisen Punkt gebracht: Jetzt sei „keine Zeit für juristische Spitzfindigkeiten“.

Für “juristische Spitzfindigkeiten” hat Sebastian Kurz keine Zeit. Also regiert Türkis-Grün mit Erlässen. Bild: APA Picturedesk

Aber im Gegensatz zu Spitälern, Pflege, Hausärzten und Altersheimen hat es in der Politik keinen Corona-Notstand gegeben. Der Nationalrat hat getagt – und alle hätten gemeinsam haltbare und verfassungskonforme Gesetze erarbeiten können. Auf deren Basis hätte die Minister dann Verordnungen erlassen. Damit hätte sie auf breiter politischer Basis für das gesorgt, was jetzt fehlt: Rechtssicherheit.

Aber darum geht es der ÖVP nicht. Für sie ist der Notstand eine Chance. Der „Schulterschluss“ zwischen ÖVP und ihren Mitläufern in Politik und Medien hat im ersten Corona-Test gezeigt, dass Gleichschaltung in Österreich kaum offenen Zwang braucht. Und Sebastian Kurz hat oft genug klargemacht, wie gering er den Nationalrat schätzt. Jetzt kann er erstmals ohne die Spitzfindigkeit „Parlament“ fast allein regieren.

Zumindest die ÖVP hat gewusst was sie tut, als sie dem Parlament ihre Ermächtigungsgesetze diktierte. Genau in dieser Situation hat die Opposition von SPÖ bis Neos versagt. Jetzt wird vieles vor dem Verfassungsgerichtshof landen. Nach der Selbstlähmung des Parlaments ist er die letzte Versicherung des Rechtsstaats in Österreich.

Die zweite Welle

Wenn Ausgangssperren aufgehoben und Betriebe und Schulen wieder geöffnet werden, steht eines fest: Die nächste Welle kommt. Wir wissen nur nicht wann. Im Herbst als Corona 2? Oder später, in anderer viraler Form?

Bis dahin entscheiden Abgeordnete, Minister und ihre Parteien, ob sich Österreich vorbereitet: durch die Stärkung seines guten Gesundheitssystems; durch umfassende Pläne der gemeinsamen Krisenabwehr; und durch Gesetze, die dafür sorgen, dass Minister wissen, was sie zu tun haben – und was sie nicht dürfen.

Für die Grünen ist das die Chance, aus dem Notstandsschatten der ÖVP zu treten. Und Verfassung und Parlament vor dem Koalitionspartner zu schützen.

Peter Pilz

Titelbild: APA Picturedesk

Peter Pilz kommentiert

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