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Obdachlosenhilfe: Offener Brief prangert Missstände an

Offener Brief prangert Missstände an

Mitarbeiter der Wohnungslosenhilfe wenden sich aufgrund der aktuellen Corona-Krise in einem Offenen Brief an die Verantwortlichen und prangern Missstände an: Von fehlenden Krisenplänen über zu wenig Platz bis hin zu mangelnder Schutzausrüstung. Der Fonds Soziales Wien sieht die Versorgung ausreichend sichergestellt.

Wien, 15. April 2020 | Die Corona-Krise trifft die Ärmsten am härtesten: Darunter wohnungslose Menschen. Die ohnehin prekäre Lage von Obdachlosen wird nun noch deutlicher, zum Beispiel wenn es um ein Aufenthaltsverbot im Öffentlichen Raum geht. Auch die Einrichtungen haben zu kämpfen: Sicherheitsabstände, Hygienemaßnahmen oder gar Isolation sind in Obdachloseneinrichtungen teils nur sehr schwer möglich. Die Verantwortlichen haben seit Beginn der Corona-Krise entsprechende Maßnahmen gesetzt und das Angebot erweitert – dennoch richtet sich eine Initiative an Mitarbeitern nun mit Fragen zur Sicherstellung der Versorgung und des Schutzes an die Verantwortlichen, beschreibt Missstände und fordert eine Ausweitung der Kapazitäten durch Nutzung leerstehender Hotels.

Initiative macht auf Missstände aufmerksam

Die „Initiative Sommerpaket“ ist ein Zusammenschluss von Basismitarbeitern der Wohnungslosenhilfe. Sie setzt sich für die Rechte von Wohnungslosen ein, damit einhergehend auch für bessere Arbeitsbedingungen in der Wohnungslosenhilfe. Sie wendet sich nun in einem Offenen Brief an die Verantwortlichen: Caritas, Rotes Kreuz, Fonds Soziales Wien, Johanniter, ASB und Sozialstadtrat Hacker. Die Situation für Wohnungslose in Wien habe sich seit Beginn der Corona-Krise nur geringfügig gebessert. Durch die ganztägige Öffnung von sonst nur nachts offenen Notschlafstellen habe sich die Lage etwas entspannt, in einigen Bereichen mangele es jedoch an Grundlegendem. Während Supermärkte und Co. zum Beispiel mit Atemschutzmasken ausgestattet werden, kämpfen die Mitarbeiter der Wohnungslosenhilfe mit mangelnder Schutzausrüstung, ist in dem Brief zu lesen.

Steigende Nachfrage, zu wenig Platz

Der Tenor, den die Initiative in ihrer Aussendung bietet, macht zumindest den Eindruck fehlender Krisenpläne, mangelnder Schutzausrüstung und fehlender Information bei gleichzeitig steigendem Andrang in den Unterbringungen. Massive Verschlechterungen gäbe es angesichts der Krise insbesondere, was die gestiegene Nachfrage nach Schlafplätzen betrifft. Auch verstärkt auftretende häusliche Gewalt führe zu einem Anstieg an akutem Unterbringungsbedarf, dem die Einrichtungen nicht nachkommen könnten. Verheerend sei die Situation besonders für obdachlose Frauen, für die es „de facto gar keine Notbetten mehr“ gäbe, so der Offene Brief. Ein anonymer Mitarbeiter der Initiative erklärt die steigende Nachfrage gegenüber ZackZack:

“Zu Beginn der Krise sind plötzlich zahlreiche zusätzliche Menschen in der Wohnungslosenhilfe aufgetaucht, die sonst nicht da waren: Jene mit prekären Jobs und Wohnsituationen. Vielen von ihnen sind ihre prekären Existenzgrundlagen weggebrochen, die meisten davon sind Menschen mit Fluchthintergrund, die jetzt weder Einkommen noch Dach über dem Kopf haben.”

Kein Krisenplan, keine Schutzmaßnahmen, keine Kapazitäten?

Der Offene Brief wirft viele Fragen betreffend Grundversorgung mit Plätzen und Betten auf, aber auch betreffend Schutzmaßnahmen für diese durch das Virus besonders gefährdete Gruppe: So sei das Krisenmanagement bei Verdachtsfällen nicht klar, es wird nach einer Vorgehensweise bei positiven Covid-19-Fällen gefragt, nach Schutzmaßnahmen für Hochrisikogruppen und vieles mehr. Es entsteht jedenfalls der Eindruck, dass dieser Bereich bisher völlig außer Acht gelassen wurde – oder den Basismitarbeitern schlichtweg nicht mitgeteilt wurde.

“Menschen schlafen lieber auf der Straße als im Notquartier”

Im Gespräch mit einem der Initiatoren wird klar: Die Quartiere, die noch Kapazitäten haben, können weder den Wohnungslosen, noch den Mitarbeitern ausreichend Schutz bieten:

“Kleinere Quartiere haben in den letzten Wochen ihre Kapazitäten heruntergeschraubt, um Sicherheitsmaßnahmen gewährleisten zu können. Wo es noch Kapazitäten gibt, sind große Notschlaf-Quartiere, in denen die KlientInnen in Schlafsälen untergebracht sind und sich mit vielen anderen die Sanitärräume teilen müssen. Das führt dazu, dass viele Menschen lieber draußen auf der Straße schlafen, um sich keinem erhöhten Ansteckungsrisiko auszusetzen”

Die Initiative fordert die Freigabe von derzeit leerstehenden Hotels, wie dies auch in anderen Ländern bereits der Fall ist:

“In den großen Quartieren ist Social Distancing für MitarbeiterInnen und NutzerInnen einfach nicht möglich. Es braucht daher dringend mehr Kapazitäten: Wir fordern, dass leerstehende Hotels zur Verfügung gestellt werden, um den benötigten Platz zu schaffen.”

Fonds Soziales Wien: Versorgung sichergestellt

Das Kommunikationsbüro des Fonds Soziales Wien, der für die Wohnungslosenhilfe in Wien zuständig ist, sieht die Lage im Gespräch mit ZackZack anders – es seien ausreichend Kapazitäten vorhanden:

„Es wurde bereits vor Wochen ein Bündel an Maßnahmen gesetzt, um die Versorgung sicherzustellen und den Schutz der Kundinnen und Kunden sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewährleisten. Zentral ist etwa der Ausbau der Nachtquartiere zu einem 24-Stunden-Betrieb oder auch die Verlängerung der Winter-Quartiere um drei Monate bis in den Sommer hinein. Wir schauen uns auch laufend gemeinsam mit unseren Partnerorganisationen an, ob es weitere Maßnahmen braucht. Derzeit haben wir genug freie Kapazitäten, aber wir evaluieren täglich, ob weitere Anpassungen notwendig sind. Immer mit dem Augenmerk die Versorgung sicherzustellen und Ansteckungsmöglichkeiten zu minimieren.“

Es gäbe ebenso zusätzliche Quarantäne-Angebote für Menschen, die kein eigenes Zuhause hätten, also auch für Verdachtsfälle oder positive Fälle sei entsprechend vorgesorgt.

Caritas bietet zusätzliche Angebote

Die Caritas ist einer der Träger von Obdachloseneinrichtungen in Wien. Sie reagierte auf die Krise laut eigener Aussage mit zusätzlichen Maßnahmen: So wurde ein zusätzliches Notquartier geöffnet, Hygienepakete an obdachlose Menschen ausgegeben, die Lebensmittel-Notausgaben ausgeweitet, Streetwork sei aufrechterhalten worden und zusätzliche Wärmestuben hätten eröffnet, erläutert Pressesprecher Martin Gantner gegenüber ZackZack.

Einblick von der Basis

Die Mitarbeiter der Initiative Sommerpaket sind allerdings an der Basis und erleben etwaige Missstände aus nächster Nähe. Der Brief scheint auf blinde Flecken hinzuweisen, vor allem aber auf eines aufmerksam zu machen: Auf mangelnde Kommunikation zwischen den einzelnen Hierarchien, denn die Einschätzungen der Basis und jene der Verantwortlichen liegen weit auseinander. Offensichtlich fühlen sich die Mitarbeiter weder ausreichend geschützt, noch ausreichend informiert. Einer der anonymen Initiatoren bestätigt im Gespräch gegenüber ZackZack:

“Was sich in der Wohnungslosenhilfe gerade trägerübergreifend manifestiert: Wir bekommen zu wenig Information. Die Kommunikation funktioniert gerade von oben nach unten nicht, was gerade in Krisenzeiten wichtig wäre für die Basis, weil die sind sehr unmittelbar mit Situationen konfrontiert, wo sie sehr schnell drauf reagieren müssen.”

Auf Anfrage beim Fonds Soziales Wien, ob und wie auf den Offenen Brief eingegangen werde, konnte das Kommunikationsbüro versichern, dass das Gespräch mit der Initiative selbstverständlich gesucht würde.

(lb)

Der Artikel wurde am 15. April um 17:00 Uhr aktualisiert

Titelbild: Pixabay

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