Mittwoch, April 24, 2024

Musikszene in der Coronakrise – “Cafe Drechsler”-Drummer Alex Deutsch im Portrait

Musikszene in der Coronakrise

Die Presse nannte Alexander A. Deutsch 2016 einmal „das Chamäleon aus der Steiermark“. Er ist Live- und Solodrummer, Musikproduzent, Production Manager in europäischen und US-Studios, freier Dozent an namhaften europäischen Musikuniversitäten sowie Mitgründer der Band ‚Café Drechsler‘. Die gilt als eine der erfolgreichsten Jazz-Bands Österreichs, die weltweit erfolgreiche Tourneen spielt, tausende von Tonträgern verkauft und 2005 den ‚Amadeus Austrian Music Award‘ gewonnen hat. Der Corona-Shutdown trifft die Kunstszene hart – Lösungen sind nicht in Sicht.

Wien, 20. April 2020 | Deutsch ist einer der Großen, nicht nur in der heimischen Musikszene, und dennoch als Freiberufler ein Teil der sehr vielen Kleinsten: Er ist auch Alleinunternehmer. „Wirtschaftlich war das ein kompletter Wahnsinn, von heute auf morgen als Freischaffender – alles gecancelt. Das war heftig. Ich habe keinen Draht zum Fatalismus, sondern das Gefühl, dass wir eine Chance haben, vieles zum Positiven zu verändern. Auch wenn’s jetzt allen wirklich schlecht geht, wirklich allen, egal, mit wem ich rede“, fasst Deutsch die momentane Situation all der Bereiche zusammen, die in der Musik- und Kulturbranche betroffen sind.

Gibt es für die Musikszene ein “danach”?

Und das sind enorm viele: Nationale und internationale Booking-Agenturen, die Konzerte und Veranstaltungen absagen, bereits bezahlte Tickets refundieren, Leute entlassen und Künstler beruhigen mussten und dabei selbst zwischen Überforderung und Verzweiflung hin und her gerissen sind. Viele große Booking-Agenturen sind sich gar nicht so sicher, ob es „danach“ überhaupt noch Großveranstaltungen geben wird. Event-Zulieferer wie Bild- und Tontechniker, Caterer, Fotografen, Kameraleute, Spezialisten für Special-Effects, und viele mehr, die ebenfalls 100% ihrer Aufträge verloren haben. Clubs und Kulturbetriebe, denen nicht nur das Eintrittsgeld, sondern auch der Konsumationsumsatz fehlt. Die allermeisten sind ebenfalls EPU oder kleine Vereine, die von einem Event und somit von einem Künstler abhängen. Wenn es um Musiker geht, sind noch sehr viele mehr betroffen: Studios, Bandmitglieder, Veranstalter. Dieser Lockdown hat nicht nur einen wirtschaftlichen, sondern wird auch einen kulturellen und sozialen Impact haben.

Künstler als Bittsteller

„Kulturveranstaltungen, nicht nur musikalische, lassen sich nicht einfach digitalisieren. Sie vermitteln sehr viel mehr beim tatsächlichen Erleben, beim
Präsent-sein in der Gemeinschaft. Man wird sich etwas einfallen lassen müssen, für das Publikum, die Künstler, die Aufführungsstätten. Und man wird sich von den bisherigen Konzepten verabschieden und etwas entwickeln müssen, das einer durch diese Krise veränderten Gesellschaft angepasst ist“, fasst Deutsch die Auswirkungen auf seine Branche zusammen. Und er vermisst Hilfe auf Augenhöhe: „Viele Künstler verzweifeln gerade am administrativen Wahnsinn, den die geltenden und angekündigten Richtlinien und Kriterien mit sich bringen und vor allem, dass sie dabei in eine Bittsteller-Position gedrängt werden.“

Deutsch selbst wurde auf jedem seiner wirtschaftlichen Standbeine getroffen. Mit seiner Band, ‚Café Drechsler‘, mit der er seit 20 Jahren arbeitet, war er gerade im Gespräch mit einem skandinavischen Label, um ein Album zu produzieren. Nationale und internationale Konzerte, die bereits für Frühjahr und Sommer gebucht waren, sind abgesagt. Das 20-jährige Band-Jubiläum, das dieses Jahr gefeiert wird, wird anders als geplant ablaufen – vermutlich ohne Publikum. Deutsch sieht all das positiv-optimistisch: „Es liegt auf Eis.“

“Kann mich immer auf die Mariahilfer Straße setzen und spielen”

Der Kontakt mit Menschen ist ein wichtiger Teil seiner Arbeit: Als Produzent ist er die Schnittstelle zwischen Künstlern, Plattenlabels und Studios. Auch wenn internationale Bands oder Künstler anrufen und fragen, ob er mit ihnen spielen will, wenn sie durch Europa touren oder als Dozent im vertrauensvollen Umgang mit Studenten. In erster Linie ist er jedoch Live-Musiker. Sogar wenn alle Stricke reißen, sieht Deutsch es relativ gelassen: „Mein lieber Freund Christopher Worth, ein großartiger Sänger und Songwriter, war drei Jahre auf der ganzen Welt als Straßenmusiker unterwegs. Ich kann mich immer mit ein paar Kumpels auf die Mariahilfer Straße setzen und spielen.“

Zu jungen Musikern hat Deutsch auch Kontakt durch seinen Sohn, der mit seiner Band ‚Origami Punani‘ bereits erste Erfolge feiert: „Die Jungen haben ein anderes Mindset, sie sind flexibler und nicht so verhaftet in lange funktionierenden fixen Strukturen. Sie sind intuitiver und machen sich nicht so viele Sorgen. Wir sollten ein Augenmerk auf die Älteren legen, die Jahrzehnte lang gewohnt waren, im System zu denken und sich zu bewegen. Den wenigsten Menschen ist bewusst, dass auch bekannte Künstler nicht in Saus und Braus leben, sondern ganz konsequent und sehr hart arbeiten müssen, um ihr Leben zu finanzieren.“

Das Virus als Chance?

Deutsch ist sicher, dass sich Musiker und Künstler wieder der Essenz und des Wesens der Branche besinnen und lernen müssen, in kleineren Strukturen zu denken. Für ihn ist diese Krise nicht nur eine Pandemie, sondern eine Krise des ganzen Systems, in dem wir verhaftet sind: „Dieses kleine bestialische Virus weckt uns alle auf und zwingt uns, still zu stehen und zu reflektieren, was wir hier überhaupt tun. Das alte System gehört überwunden. Es wird nichts mehr so sein, wie es vorher war. In keiner Branche. Und war das wirklich so toll, dass wir wieder dorthin zurück wollen? Wieder ins Hamsterrad? Wir haben jetzt eine Chance, vieles von dem zu ändern.“

Es geht im Wortsinn um eine Krisis, eine Wende. Kreative wurden immer schon als Gegenspieler der Leistungsträger gesehen. Die einen waren fleißig, die andern halt –kreativ. Jetzt geht es allerdings darum, dass alle ihre Kreativität nutzen, um einen Weg zu finden, etwas Neues und Anderes zu gestalten. Deutsch: „So ein kleines Biest wie das Corona-Virus musste uns zeigen, wie verbunden wir alle miteinander sind. Es musste uns aufwecken und uns die Chance geben, Dinge von Grund auf zu ändern. Zurück ins Alte ist die falsche Richtung. Ich habe den Eindruck, dass man jetzt Milliarden aufwendet, um „danach“ Business-as-usual zu machen. So bleiben extrem viele Chancen ungenutzt und zu viele Betroffene auf der Strecke.“

Sonja Lauterbach

http://www.cafedrechslerband.com/

Titelbild: Cafe Drechsler Band

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