Handy-Überwachung gegen Corona
Zwischen den beiden rechtspopulistischen Regierungschefs herrscht eine Freundschaft, die in der Coronakrise Hochkonjunktur hat. Im Mittelpunkt: die umstrittene Nutzung von Handy- und Bankdaten sowie die inszenierte Vorbereitung auf einen zweiten Lockdown.
Wien, 26. April 2020 | Groß war die Erleichterung am Rande eines Treffens in der UN-Vollversammlung zwischen Sebastian Kurz und Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu im September 2018. Man verständigte sich auf eine Versöhnung, nachdem der Unmut seitens Israels aufgrund der FPÖ-Regierungsbeteiligung anfangs groß gewesen war. Seitdem sind Kurz und Netanjahu ziemlich beste Freunde.
Mythos Corona-Helden
In der Coronakrise näherten sie sich noch mehr an. Kurz wird nicht müde zu betonen, dass ihn ein Anruf Netanjahus wachgerüttelt hätte. Dieser hätte laut Kurz dazu geführt, dass „wir in Österreich die ersten waren, die in Europa reagiert haben“. Dass das nicht stimmt, ist wohl das geringste Problem (Nach Italien folgte Belgien mit harten Maßnahmen, beide sind mit am stärksten von der Pandemie betroffen, Red.). Dass Ischgl der Erzählung des Musterschülers Österreich einen Strich durch die Rechnung macht – geschenkt. Doch was macht die Freundschaft der zwei Hardliner so interessant?
Es ist zunächst der Mythos der Corona-Helden. Niemand weiß, wie lange die Pandemie noch andauern wird, doch Kurz und Netanjahu beginnen schon jetzt die Helden-Saga dramaturgisch aufzubauen. Das Kalkül: Wer das Virus besiegt, gar „ausrottet“, wird zum Helden. Härter, schneller, wirksamer. Das ist das Corona-Credo, wie aus einem Handbuch für Populisten.
Von der „zweiten Welle“, Handys und Bankdaten
Damit diese Strategie am Ende erfolgreich ist, muss die Welt ausreichend oft davon erfahren. Einige Medien helfen fleißig mit, den Spin zu transportieren. So ist von Schlagzeilen wie „Kurz bedankt sich bei Netanjahu“, „Netanjahu bedankt sich bei Kurz“, „Lob für Kurz von Netanjahu“, bis hin zu „Kurz und Netanjahu: Sorge vor zweiter Corona-Welle“ nahezu alles zu lesen – außer Kritik. Die wäre aber angebracht, denn was die beiden im Rahmen einer kleinen, elitären Runde der selbsternannten Corona-Helden am Freitag in einer Videokonferenz besprachen, hatte es in sich.
So standen laut offiziellem Twitter-Account des Netanjahu-Büros die Risiken der schrittweisen Maßnahmen-Lockerungen im Fokus. Man habe Angst vor einer zweiten Infektionswelle und einer, wie es heißt, „Selbstgefälligkeit“ der Europäer aufgrund des Frühlingswetters. Die interessanteste Erkenntnis dieses kleinen Zirkels (Österreich, Israel, Neuseeland, Australien, Dänemark, Tschechien, Griechenland) war aber folgende:
The leaders sought to learn from Israel about digital tools especially in regard to dealing with a second wave of outbreak.
— PM of Israel (@IsraeliPM) April 24, 2020
Man bereite sich demnach nicht nur auf eine allfällige „zweite Welle“ vor, sondern auch auf die Nutzung „digitaler Werkzeuge“, zu Deutsch: Apps. Die Diskussion um die Rot-Kreuz-App spielt Kurz, der für sein Big Data-Faible berüchtigt ist, derzeit nicht in die Karten. Umso besser, wenn eine zweite Infektionswelle härtere Maßnahmen rechtfertigen könnte.
Einen solchen Lockdown nennt man in der illustren Runde nach dem Vorbild Tschechiens „smarte Quarantäne“. Laut APA sei der Vorschlag vom Bundeskanzleramt „mit Interesse aufgenommen worden“. Bestandteil seien ominöse „Gedächtnislandkarten“, die mithilfe von Daten aus Handys und – bislang noch unvorstellbar – Bankkarten der letzten fünf Tage ein Bild zusammenstellen. Wozu braucht es auf einmal sensible Bankdaten zum Schutz der Gesundheit?
Israels Geheimdienst darf auf Handys zugreifen
Voraussetzung, sagt man, sei die Zustimmung der Besitzer. Mit der Zustimmung ist das bei Apps so eine Sache, denn wie soll das Konzept einer kostenlosen App überhaupt funktionieren, wenn nicht im Gegenzug Daten preisgegeben werden?
In Israel ist man derweil schon einen Schritt weiter. Hier brauchte es keinen zweiten Lockdown, um eine Tracking-App mit dem skurrilen Namen „Schutzschild“ zum Erfassen von Bewegungsdaten einzuführen. Es darf auch offiziell der Inlandsgeheimdienst Shin Bet mitmischen. Dieser wurde ermächtigt, die Smartphones von Corona-Infizierten regelrecht zu hacken, Kontaktpersonen zu „ermitteln“ und diesen dann per SMS Quarantäne zu verordnen. Kritik gibt es nicht nur wegen der schamlosen Überwachung, sondern vor allem, weil nur die relative Nähe, nicht aber direkter Kontakt belegt werden kann. Dadurch wird Willkür bei der Verordnung von Quarantäne befürchtet.
Ob die massive Daten-Überwachung wirksam ist, wird von Kritikern bezweifelt. Die am stärksten betroffene Gruppe in Israel, ultraorthodoxe Juden, haben oft kein Handy. Jedenfalls arbeitet die Polizei eng mit dem Geheimdienst zusammen: wer in Quarantäne ist, muss stets mit einem Besuch der Sicherheitskräfte rechnen. In Schutzanzügen wird überprüft, ob die Bürger auch wirklich brav die Verordnung einhalten.
Zwischen Vorwürfen und Unantastbarkeit
Eine App könnte also auch bald hierzulande Bestandteil der Helden-Saga werden. Alles für die Gesundheit! Eine Erklärung für die Inszenierung ist auch, dass beide Politiker außerhalb der Krise unangenehmen Wahrheiten ins Auge blicken müssen. Während auf Kurz neben der Ischgl-Aufarbeitung der Ibiza-Untersuchungsausschuss wartet (der auch die Rolle der ÖVP in den Blick nehmen soll, Red.), konnte sich Netanjahu buchstäblich ins Amt retten. Der in drei Fällen wegen Korruption, Untreue und Bestechlichkeit angeklagte Ministerpräsident führt seit dem Einknicken seines Mitte-Links-Kontrahenten Benny Gantz in Jerusalem eine „Notstands-Regierung“ auf Zeit an.
Drei Wahlen hatte es gebraucht, bis die Opposition schließlich aufgab. Die Gerichtsverhandlungen sind verschoben, die Widersacher am Ende. Da seine rechtskonservative Likud-Partei den Vorsitz im Justizausschuss führt, wird Netanjahu wohl bei der Bestellung des Generalstaatsanwalts ein Wörtchen mitreden. Ein Schelm, wer Böses denkt – und ein noch größerer Schelm, wer an ein „System Pilnacek“ israelischer Ausprägung denkt. Tausende Demonstranten zogen zuletzt auf die Straßen, um trotz Corona gegen Netanjahu zu demonstrieren. Doch ähnlich wie so einige Großdemos am Ballhausplatz, scheinen diese abzuperlen. Kurz und Netanjahu sitzen fest im Sattel, angesichts der Krisensituation genießen Amtsträger weltweit einen Vertrauensvorschuss.
Derweil gibt Netanjahu zu bedenken: “Wenn es keine Impfung gibt, wird das länger dauern als wir denken”. Das Konzept der Herdenimmunität sei Stand jetzt mit zu vielen Toten verbunden. Der Preis sei zu hoch. Doch was ist der Preis der Freiheit und Demokratie?
Benjamin Weiser
Titelbild: APA Picturedesk