Freitag, März 29, 2024

Es war einmal – Ein Abgesang auf die Autoindustrie

Ein Abgesang auf die Autoindustrie

Der Wind hat sich gedreht. 2020 ist nicht 2008. Der deutsche Altar der Nation, das Auto, wird nicht mehr unreflektiert angebetet. Der Widerstand gegen eine staatliche Prämie, von den Lobbyisten liebevoll als Neustartprämie gehandelt, wächst. Wie systemrelevant ist die Automobilindustrie und vor allem wie zukunftskompatibel ist das Automobil in Zeiten von Coronakrise und Klimaerhitzung?

Wien, 09. Mai 2020 | Die Coronakrise hat den Niedergang der Automobilindustrie, wie wir sie kennen, rapide beschleunigt. Die grundlegenden Schwächen und die gewaltigen Zukunftsherausforderungen, hier nachzulesen, sind nicht neu. Große Teile der Autobranche haben den Knall aber noch nicht gehört.

Too-big-to-fail war gestern – mit bösen Folgen?

Die deutsche Politik ist dabei, sich von der Too-big-to-fail-Falle zu verabschieden, in die sie die Jahrzehnte lange bedingungslose Unterstützung der Autoindustrie getrieben hat. Doch wie wirkt sich das aus? Jeder siebente deutsche Arbeitsplatz hängt an der Autoindustrie, in Österreich ist das jeder neunte.

Wie sieht ein Szenario aus, in dem nicht mehr 90 Millionen Autos pro Jahr verkauft werden, sondern womöglich nur mehr 64 Millionen, also 30% weniger?

Tatsache ist, dass laut einer aktuellen Infratest-Umfrage von dieser Woche eine deutliche Mehrheit von 63% der Bundesbürger eine Kaufprämie ablehnen. 22% waren der Meinung, es sollte Kaufanreize nur für klimafreundliche Autos geben. Das ist ein klares Signal, dem sich weder Politik, noch die Branchenvertreter kaum entgegenstellen können.

Crash am Automarkt

Die Bilanzen der Monate März und April 2020 sind verheerend. Wurden im November 2017 noch 581.000 PKW in Deutschland produziert, so liefen im März 2020 gerade noch 288.000 PKW vom Band. Das sind fast genau 50% weniger. Die Neuzulassungen sind weltweit im Keller. Einen unglaublichen Rückgang von über 97% verzeichnete dabei Großbritannien im April. Doch auch in Italien und Frankreich sieht es nicht besser aus. In Deutschland beträgt der Rückgang der Neuzulassungen 61%. Selbst im Autoland USA wird mit einem Rückgang, je nach Region, von 50-70% gerechnet.

Einzig in China überrascht der Automarkt im April und beschert VW ein Rekordergebnis. Man darf sich aber nicht täuschen lassen. Es waren viele Erstkäufer dabei, die in Coronazeiten von den Öffentlichen Verkehrsmitteln auf das Auto umgestiegen sind. Kann also gut sein, dass es sich dabei um ein kurzzeitiges Strohfeuer handelt. Der Coronaeffekt wirkt wie ein Verstärker für eine Krise, in der sich die Automobilindustrie schon seit mehr als zwei Jahren befindet.

Hat die Politik womöglich aus der Finanzkrise gelernt?

Schon einmal vor zwölf Jahren sah es für die Automobilindustrie nicht so rosig aus. Die Wirtschafts- und Finanzkrise hatte die Welt erfasst und mit ihr den Autoabsatz. Die deutsche Politik suchte das Heil für die Autoindustrie in der Abwrackprämie und schon schreiben die Konzerne wieder Gewinne. Doch halt, so einfach ist es nicht. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Abwrackprämie zu Vorziehkäufen geführt hat und viele Verbraucher haben gar keine deutschen Autos gekauft, sondern Koreaner und Japaner.

Ähnlich wurde bekanntlich mit den Banken verfahren, auch sie wurden großflächig mit Staatsgeld gerettet. Doch der Kater der Bankenrettung dazu ist noch nicht vorbei. Vielen Politikern stößt dabei sauer auf, dass Verluste verstaatlicht und damit dem Steuerzahler aufgebürdet wurden, die folgenden Gewinne wieder brav in den Taschen der Aktionäre und Manager landeten.

Der Dieselskandal wirkt nach

Es gibt also auch einen Widerstand von Seiten der Politik. Selbst das konservativ-liberale Lager in Deutschland lässt sich nicht mehr ohne weiteres zu einer staatlichen Prämie hinreißen. Das hat sich die Automobilindustrie selbst zuzuschreiben. Der Dieselskandal ist noch nicht vergessen. Selbst Bundeskanzlerin Merkel war angeblich „entsetzt“ und „verärgert“, als sie von den Machenschaften der deutschen Konzerne erfuhr. Arroganz und Überheblich der Autobosse in den letzten Jahren wirken nun nach.

Darüber hinaus wirkt nach, dass Deutschland schon einmal Millionen von Arbeitsplätzen in der Kohle- und Stahlindustrie verloren hat und sich davon sehr gut erholen konnte. Too-big-to-fail und das berühmte Totschlagargument „Verlust von 1,8 Millionen Arbeitsplätzen“ ziehen nicht mehr so wie früher bei vielen bundesdeutschen Politikern. Finanzminister Olaf Scholz ist mit seiner Meinung nicht unbedingt alleine, wenn er sich zur Primetime im deutschen Fernsehen bei Anne Will aufregt:

„Staatshilfe fordern und Dividende auszahlen? Es war nicht sehr klug, was wir in den letzten Tagen gehört haben.“

Technologisch am Abstellgleis

Die deutsche Automobilindustrie ist technologisch auf dem Abstellgleis, so beschreibt es der deutsche „Club of Logistics“, eine Dortmunder Logistik-Think-Tank. „Ob Elektroantrieb, Brennstoffzelle oder LNG – die Konkurrenz fährt voran“, so geht es weiter im Ton. Das ist auch das, was unabhängige Beobachter schon länger wahrnehmen. Während in Japan seit fast zwei Jahren Wasserstoff-PKW durch Tokyo fahren, wird in den Autozentren in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachen nostalgisch der Diesel gepredigt.

Auch wenn diese Denkweise rein rational betrachtet nicht völlig unsinnig ist, so gibt es keine Bereitschaft, sich auf eine andere Brückentechnologie einzulassen. Die Autokäufer wären wahrscheinlich bereit dazu. Es wird aber eine Begeisterung der Produzenten für die kommenden Mobilitätstechnologien nötig sein. Die bisherige Orientierung ausschließlich am Autogeschmack eines betuchten Publikums ist dabei völlig fehl am Platz. Henry Ford hat dieses Szenario einmal so umschreiben:

„Wenn ich meine Kunden nach ihren Wünschen gefragt hätte, dann hätten sie mir gesagt, dass sie gern stärkere Pferde für ihre Kutschen hätten.“

Dienstleistung Mobilität

Die Mobilität der Zukunft wird in den Ballungsräumen ohne die Vorherrschaft des Automobils auskommen müssen. Die Digitalisierung ist auf dem Weg aus dem „Besitzstand Auto – für meine persönliche Mobilität“ eine Dienstleitung zu machen. In diesem Szenario spielen Automarken nur mehr eine ungeordnete Rolle. Das Ideal der Autostadt aus den 1950er und 1960er ist sowieso von der Politik bereits beerdigt worden. Die Coronakrise hat den rasanten Ausbau der Radwege in vielen Städten plötzlich möglich gemacht. Berlin zum Beispiel spendierte an vielen Stellen plötzlich eine Autospur den Radfahrern. Es ist kaum anzunehmen, dass diese so einfach wieder verschwinden.

In den Ballungszentren dieser Welt wächst eine Generation von jungen Menschen auf, die sich fragt, ob ein Führerschein noch eine sinnvolle Investition ist. Am Land, das überall mit der Abwanderung zu kämpfen hat, ist das natürlich noch etwas anderes. Aber auch hier hat die Coronakrise gezeigt, dass Homeoffice kein reines Teufelszeug ist. Viele Fahrten zur Arbeit lassen sich auch künftig dadurch vermeiden. Mobilitätsforscher rechnen langfristig mit 20-40% weniger Fahrten ins Büro, wenn das Recht auf Homeoffice in Deutschland ins allgemeine Arbeitsrecht einfließt. Aber es gibt auch Rebound-Effekte in der Coronakrise, wie das Beispiel China beweist. Die Leute fahren aus Ansteckungsangst allein mit dem Auto zur Arbeit. Das bedeutet dann aber mehr Verkehr. Nur die Straßen, die bisher schon überlastet waren, werden aber nicht mehr.

Österreichs Automobilindustrie vor ungewisser Zukunft

Das Autocluster Graz, als das Produktionszentrum in Österreich gehört sicherlich nicht zu den Gewinnern der Krise. Sie hat sich schon länger angekündigt. Die Politik steht dabei schon länger unter Druck. Die AVL, der größte unabhängige Antriebsstrang- und Motorenentwickler der Welt, hat ihren Hauptsitz ebenfalls in Graz. 1.700 Mitarbeiter, ein Drittel der Grazer Belegschaft, sind derzeit in Kurzarbeit. CEO Helmut List äußerte sich gegenüber dem ORF Steiermark sehr verhalten, als er um seine Prognose für die Zukunft gefragt wurde.

Bei Opel in Wien sollten eigentlich Mitte des Jahres die Lichter der Motorenproduktion erlöschen. Der Shutdown im März hat dann zum vollkommenen Werksstillstand geführt. In Wien Aspern sollen ab Herbst nur mehr Getriebe für GM und PSA gefertigt. Für 200 Mitarbeiter wurde ein Sozialplan erarbeitet. Wie die Zeit nach der Krise aussieht ist derzeit ungewiss.  PSA will die Produktion fortführen, rechnet aber mit einem Umsatzeinbruch von 25%.

De-Globalisierung als weitere Folge der Coronakrise

Niemand scheint so richtig zu wissen, wie es weitergeht. Fallen Automobilindustrie und Tourismus aus, dann könnte es für Österreichs wirtschaftliche Zukunft sehr düster aussehen. Doch es gibt auch einen Hoffnungsschimmer. Die Coronakrise hat uns allen die Verletzlichkeit der weltweiten Lieferketten vorgeführt. Das könnte in vielen Branchen zu einem Umdenken führen. Denn das Virus sind wir wohl so schnell nicht los.

Roboter sind weltweit seit einigen Jahren auf dem Vormarsch, nicht nur in Volkswirtschaften mit hohen Lohnkosten, sondern selbst in China. Ob diese Roboter nun in China produzieren oder aber in Europa, dürfte ziemlich egal sein. Nicht egal aber dürfte die dadurch viel kürzeren Lieferketten sein. Mittelfristig könnte damit ein Teil der Industrie wieder von China zurückwandern. Ob sich das aber auf den Arbeitsmarkt durchschlagen wird, das bleibt nicht nur in der Autobranche abzuwarten.

Millionen Arbeitslose werden keine Neuwagen kaufen

Wenn die Produktionen in den Autowerken langsam wieder hochgefahren werden, sind die Neuwagen noch lange nicht verkauft. In Österreich sind derzeit rund 600.000 Menschen arbeitslos, 1,1 Millionen sind in Kurzarbeit. Diese Menschen werden sich in den wenigsten Fällen in den nächsten 12 Monaten einen Neuwagen kaufen. Das ist wohl das eigentlich größte Problem der Autoindustrie für die kommende Zeit. In Zeiten mit düsteren wirtschaftlichen Aussichten stehen Investitionsgüter wie ein Automobil nicht unbedingt ganz oben auf der Prioritätenliste.

Sag, wie hast du es mit der Ökologie?

Nach der Coronakrise ist mitten in der Klimakrise. Das ist mittlerweile vielen Menschen bewusst und auch wenn uns die wirtschaftlichen Nachwehen von Corona noch länger begleiten werden, die Automobilindustrie wird sich um ihren Beitrag zur Verzögerung der Klimaerhitzung kaum drücken können. Das bedeutet aber neue Fahrzeugkonzepte und deren Anpassung an eine neue Mobilität in Ballungsräumen, denn es wird immer klarer, dass die Luftverschmutzung ein wesentlicher Krankheitsfaktor ist. Auch der Ressourcenverbrauch und die damit verbundenen Umweltschäden werden immer mehr zum Thema für viele Industriezweige. Die Autoindustrie scheint hier derzeit nur sehr unzureichend gerüstet zu sein.

Mobilität wird wohl nach der Krise anders aussehen als jetzt, das scheinen zumindest die Fluglinien zu wissen. Deren Planungen deuten darauf hin, dass es Jahre, zumindest aber bis etwa 2023 dauern wird, bis eine Luftverkehrsdichte wie vor der Krise erreicht wird. Gut möglich, dass eine ähnliche Entwicklung auch beim Autoverkehr beobachten werden könnte.

(sm)

Titelbild: APA Picturedesk

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