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Grüne: Lunacek geht, das Problem bleibt – Analyse

Analyse

Der „Schwarze Mond“ Ulrike Lunacek agierte als Kulturstaatssekretärin glücklos. Doch die Verantwortung für ihr Versagen lastet auch auf den Schultern jener, die bleiben.

Wien, 15. Mai 2020 | Ulrike Lunacek ist eine kompetente Politikerin – aber nicht in den Bereichen, in denen sie in jüngerer Zeit Verantwortung übernommen hatte. 2017 führte sie die Grünen in das historische Wahldebakel, das die Partei aus dem Parlament beförderte. Die versierte Europapolitikerin und Balkan-Spezialistin Lunacek war nicht die geeignete Spitzenkandidatin, aber angerichtet hatten die Niederlage andere.

Als Staatssekretärin ist Lunacek nun ein zweites Mal gescheitert. Wieder trägt sie einen Teil der Verantwortung. Wie sie selbst wusste, war Lunacek auf dieser Position eine Fehlbesetzung. Ihr ist vorzuwerfen, dass sie den Versorgungsposten dennoch annahm und so an der Existenzkrise vieler Kulturschaffender mit schuld ist.

Warum nur Lunacek?

Wenn fachliche Inkompetenz ein Rücktrittsgrund wäre, dürfte eine ganze Reihe türkiser Minister nicht mehr im Amt sein: Christine Aschbacher, Karoline Edstadler, Susanne Raab, Klaudia Tanner – in Fragen der Schulpolitik wohl auch Heinz Fassmann. Doch die Frage von Rücktritten ist für österreichische Politiker nicht eine der inhaltlichen Leistungen, sondern der politischen Stärke. Zurücktreten musste in der Krise bezeichnenderweise eine Grüne und keine türkise Politikerin. Innerhalb der schwächeren Koalitionspartei traf es das schwächste Mitglied der Spitzenriege.

Die Personaldecke der Grünen für Spitzenjobs ist erstaunlich dünn. Rudi Anschober und Leonore Gewessler wirken in der grünen Führungsmannschaft isoliert. Die Gelegenheit, die Regierungsbildung zu nutzen, um kompetentes Spitzenpersonal an Bord zu holen, haben die Grünen versäumt.

Koalitionstreue: Bedingungslos

In diesem Zusammenhang muss gefragt werden, warum Eva Blimlinger nicht Lunaceks Job bekommen hatte. Dass sie gerne Kulturstaatssekretärin geworden wäre, sagt sie offen. Die ehemalige Rektorin der Angewandten wäre deutlich qualifizierter gewesen. Sie ist aber auch unabhängig und lässt sich keine Meinung vorschreiben. Maulkorb und Leine hätte sich Blimlinger nicht überstreifen lassen. Um die Kulturschaffenden zu retten, wollte sie sogar den Vizekanzler „in die Pflicht nehmen“.

Genau an dieser Eigenständigkeit ist sie gescheitert. Bei den Grünen von heute wird Widerspruch nicht gerne gesehen, schon gar nicht, wenn er sich gegen den türkisen Koalitionspartner richtet. Wächter über die bedingungslose Koalitionstreue der einstigen Revoluzzer-Partei ist jener Mann, der auch Architekt der grünen Niederlage 2017 war: Dieter Brosz, graue Eminenz der Partei und derzeit machtbewusster Kabinettschef bei Vizekanzler Kogler, ist parteiintern für seinen autoritären Führungsstil bekannt. Unter der strategischen Ausrichtung, die Brosz vorgibt, gibt es keine grüne Emanzipation und folglich auch keine potenziellen Quertreiber an wichtigen Positionen. Unabhängigkeit – das ist nicht nur bei den Türkisen, sondern auch bei den Grünen zum No-Go geworden.

Twitter-Kabale (und Liebe)

Insider sagen, Blimlinger sei auch am Widerstand von Heute-Herausgeberin Eva Dichand gescheitert. Die richtete Blimlinger über Twitter aus, sie solle sich nicht so wichtig nehmen. Das sagt einiges über das Selbstbewusstsein einer Zeitungsherausgeberin im Vergleich zu einer Abgeordneten aus. Tatsache ist: Blimlinger und Dichand sind sich nicht grün. Blimlinger hatte schon vergangenes Jahr die Bestellung Dichands zur Uni-Rätin kritisiert. Spannend ist, dass Dichand für ihren Angriff auf Twitter Beifall von Petra Ramsauer, Spitzenjournalistin und Lebensgefährtin von Gesundheitsminister Anschober, bekommt; da schließt sich der Kreis.

Das Problem der Grünen heißt nicht Lunacek. Es besteht darin, dass es im Beiwagerl zur türkisen Kanzlerschaft eben kein Lenkrad gibt. Und dass alle, die auf diesen Zustand hinweisen, den Zorn jener zu fürchten haben, die das grüne Projekt schon einmal aus dem Parlament geführt haben.

Thomas Walach

Titelbild: Kabinettschef Dieter Brosz; Bild: APA Picturedesk

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