Samstag, März 16, 2024

EPU in der Krise – Schlechte Aussichten für Fremdenführer

Schlechte Aussichten für Fremdenführer

Der österreichische Tourismus steht mit seinen 16% am BIP unter besonderem Schutz. Auf die Kleinen wird in der Krise doch auch in dieser Branche gerne vergessen. Dies zeigt sich deutlich am Beispiel der Fremdenführer in Österreich: Die Ein-Personen-Unternehmen gehen leer aus. Die Berufsausfallversicherung will nicht zahlen und das nächste Einkommen liegt mit März 2021 in sehr weiter Ferne.

Wien, 16. Mai 2020 | Die heiligste aller österreichischen heiligen Kühe, der Tourismus, steht zu Recht in dieser Krise unter besonderem Schutz. Immerhin erwirtschaften Gastronomie, Hotellerie, Gesundheitsbetriebe, Reisebüros, Kino-, Kultur-, Vergnügungs- sowie Freizeit-und Sportbetriebe über 16% des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das sind etwa 60 Milliarden Euro.

Diese Sparte ist auch für die Regionen von besonderer Bedeutung, wenn man bedenkt, dass viele Vorleistungen von Kleinstunternehmern vor Ort erbracht werden: Tischler, die das Mobiliar herstellen, Schneider, die adrette Kleidungsstücke anfertigen, Gärtner, Floristen oder Dekorateure, die mit ihren Waren und Dienstleistungen für eine gemütliche Atmosphäre sorgen. Auch die vielen Landwirte, die heimische Produkte höchster Qualität liefern, die in den Küchen zu Köstlichkeiten verarbeitet werden, die Österreich bei Touristen als Reiseziel so beliebt machen. Installateure, Elektriker, Techniker und viele weitere Fachleute sorgen für Wartung und Unterhalt, damit in diesem so bedeutenden Bereich alles reibungslos läuft.

Völlig übersehene Branche: Fremdenführer

Doch auch in dieser Schlüsselbranche gibt es Ein-Personen-Unternehmen (EPU), die von den Verantwortlichen offenbar völlig übersehen werden: Die Fremdenführer. Gestatten, darf ich vorstellen: Martha Tretter.

Martha Tretter ist Magistra der Philosophie, hat Universitätsabschlüsse in vergleichender Literaturwissenschaft und Portugiesisch und ist eine der knapp 1.500 zertifizierten Austria-Guides. Ihre Agentur ‚artemezzo‘ wurde 2009 gegründet und zählt zu den Top-10 für Touren und Events in Wien.

Sie schildert ihre Lage:

„Corona hat den Anlauf der Saison komplett abgeschnitten. Ich hätte heuer am 22. März meinen ersten großen Auftrag gehabt, der natürlich nicht stattgefunden hat. Diese eine Woche hätte mir 90% meines März-Umsatzes eingebracht, weil es eine sehr aufwendige und spezielle Gruppe gewesen wäre.“

Ab April ist für den Großteil der Guides Hochsaison. Vor allem in Wien, Salzburg und Innsbruck. Und die Perspektiven sind alles andere als rosig. Vor allem der Ausfall der amerikanischen Gäste bedeutet für Fremdenführer einen enormen Umsatzentgang. Auch Kongresse und Incentive-Events großer internationaler Firmen, für die gerade Wien ein beliebtes Ziel ist, fallen aus.

Naivität der Verantwortlichen

Es ist auch naiv von den Verantwortlichen, anzunehmen, dass sich ein Aufbau dieses so wichtigen Teils der Wirtschaft einfach verordnen lässt. Selbst wenn die Reisebeschränkungen aufgehoben werden, wird es sehr lang dauern, bis der Tourismus wieder in Schwung kommt. Besonders die planungsintensiven Kongresse und Incentive-Events, die bis zu zwei Jahre Vorlauf benötigen. Wobei auch noch nicht sicher ist, ob die darauf spezialisierten Agenturen oder ihre Kunden diese Krise überstehen.

Keiner hilft wirklich

„Es war ein Schock für uns alle, als die Meldung kam, dass die internationale Reisetätigkeit erst wieder in Schwung kommt, wenn ein Impfstoff gefunden worden ist“,

meint Tretter betroffen. Vor allem ist sie empört darüber, dass keiner wirklich hilft: „Seit 20 Jahren dachte ich, ich bin gut und sicher aufgestellt –auch hinsichtlich Versicherung. Ich warte jetzt auf eine Antwort meiner Berufsausfallversicherung seit Mitte März. Die zahlt offenbar nur, wenn ich selbst in Quarantäne bin.“

Schlechte Aussichten

Da Tour-Guides zu den letzten zählen, die wieder arbeiten dürfen, ist auch die Frustration über die vollmundig angekündigte „Koste-es-was-es-wolle-Soforthilfe“ der Regierung sehr groß:

„Manchmal greift man sich ans Hirn und denkt sich: wie stellt ihr Euch das vor? Es wird einfach ein Stichtag X angesetzt, es ist nicht klar, ob es um Einkommen, Umsatz oder um Einnahmen geht und welche Kosten man genau davon abziehen kann oder muss. Das sind für mich abstruse Geschichten. So läuft Selbstständigkeit einfach nicht. Das lässt mich zweifeln und verzweifeln. Mir ist bewusst, dass man sich nicht um jeden Einzelfall kümmern kann, und selbst wenn ich noch zwei Mal diese angekündigten 2.000 € erhalten sollte: Bei mir wird im Herbst immer noch kein Geschäft sein.“

Fremdenführer sind wichtige Multiplikatoren

Wenn man bedenkt, dass gerade Fremdenführer wichtige Multiplikatoren im Empfehlungsmarketing für sehr viele Branchen sind, wird es noch unverständlicher, dass sie dank des Gießkannen-Hilfsprinzips der Regierung von Insolvenz bedroht sind. Sie sind jene, denen Touristen vertrauen, wenn sie nach „Geheimtipps“ fragen. Sei es, wo es interessante Kulturveranstaltungen gibt, die coolsten Shops zu finden sind, die „Einheimischen“ essen gehen – oder was man beim Erkunden von Land und Leuten auf keinen Fall verpassen sollte. Und sie sind jene, die die Geschichten liefern, über die Touristen zu Hause begeistert erzählen und so dafür sorgen, dass Jahr für Jahr noch mehr Menschen dieses Land persönlich erleben wollen. Sehr nachdenklich wird Tretter, wenn es um ihre Zukunft geht.

Digitalisierung keine Lösung

„Ich erhalte jetzt täglich Stornos und Kunden schreiben mir, ‚wir planen im September oder Oktober zu kommen‘. Das freut mich total, aber ich kann mich dann, wann auch immer das Geschäft wieder losgeht, nicht teilen und ich kann mein Geschäft nicht verschieben. Wenn ich von einer Incoming-Agentur einen Auftrag erhalte, werde ich für drei, vier oder fünf Tage quasi durchgebucht. Wir Guides sind dann vom Frühstück an fürs Funktionieren des Programms verantwortlich – bis zum Abend beim Heurigen. Das sind lange Tage in der Saison. Ich kann dann nichts zusätzlich machen.“

Auch die Digitalisierung von geführten Touren wird keine Lösung sein, sondern kann höchsten als Ergänzung oder Teaser funktionieren. Gäste wollen mit echten Menschen in Kontakt kommen. Sie wollen Fragen stellen, Wissen abholen, staunen und unterhalten werden. Trockene Fakten finden sie ohnehin im Internet zur Genüge. Fremdenführer bieten Infotainment im besten Sinn.

Wirtschaftlicher Schaden unermesslich

Den gesamtwirtschaftlichen Schaden, der in einer Stadt wie Wien oder Salzburg entsteht, wenn der Tourismus wegfällt, kann man sich gar nicht ausmalen. Die Auswirkungen gerade auf Allein- und Kleinstunternehmer sind enorm und wahrscheinlich viel größer, als wir sie im Moment fassen können. Vor allem, weil das Ende nicht absehbar ist. Tretter ist ratlos:

„Die Aufträge, die mir für Juni abgesagt wurden, passieren nicht einfach im Juli. Wenn ein Kongress, bei dem ich das Rahmenprogramm hätte machen sollen, ein Jahr verschoben wird, bedeutet das, dass dieser Umsatz verloren ist. Wenn der Herbst auch ins Wasser fällt, hätten wir, die davon leben, erst Mitte März oder Anfang April 2021 wieder unser erstes Einkommen.“

Sonja Lauterbach

Titelbild: APA Picturedesk

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