Donnerstag, März 28, 2024

“Dummheit oder Inkompetenz allein ist dafür nicht ausreichend” – Alleinunternehmerin zu Maßnahmen der Regierung

Alleinunternehmerin zu Maßnahmen der Regierung

Für die Maßnahmen der Regierung und der Wirtschaftskammer für Selbstständige sei „Dummheit oder Inkompetenz allein nicht ausreichend“: Sonja Lauterbach ist Alleinunternehmerin und spricht im Interview mit ZackZack über die Situation der Ein-Personen-Unternehmen in der Krise.

Wien, 23. Mai 2020 |

Sie setzen sich derzeit sehr intensiv als Ein-Personen-Unternehmen für deren Wahrnehmung in der Krise ein. Diese sind eine besondere Gruppierung innerhalb der Selbstständigen.

Sonja Lauterbach: EPU sind als Unternehmensform einzigartig und nicht vergleichbar mit anderen Unternehmensformen. Die Privat- und Wirtschaft-Sphäre mischt sich bei ihnen sehr stark. Es sind Einzelkämpfer und Individualisten, deshalb haben sie bisher auch keine Lobby. Die Branchen-Breite ist enorm, wodurch sie innerhalb der WKO-Fachgruppen zerspargelt sind.

Es mangelt also auch an Vertretung innerhalb der Wirtschaftskammer?

Sonja Lauterbach: Ganz klar. Zusätzlich sind in den letzten 10, 15 Jahren viele neue Branchen entstanden, während sich die Struktur der Fachgruppen in der WKO nicht geändert hat– die neuen Branchen wurden irgendwie in die Fachgruppen eingegliedert, in denen sie weder vertreten sind, noch verstanden werden. So sind zum Beispiel die Personenbetreuerinnen in der Sparte „Handel und Gewerbe“ – die bräuchten ganz andere Ansprechpartner und Rahmenbedingungen. Diese Strukturen führen dazu, dass sie keiner vertritt – und dass sie angesichts der Krise vergessen werden.

Es gibt jetzt in der Krise einige Hilfsleistungen, die man als Alleinunternehmer beziehen kann – den Härtefallfonds, den Fixkostenzuschuss, den Familien-Härtefonds und Bankkredite.

Sonja Lauterbach ist Betriebswirtin und Expertin für Marketing- und Kommunikationsstrategie. Als Unternehmensberaterin für Change-Management hat sie das Angewandte Neuro-Leadership entwickelt und dazu auch ein Buch veröffentlicht: “Erfolg mit Hirn – Die Neuro-Leader-Strategie” . Derzeit setzt sie sich intensiv für die Wahrnehmung und Vernetzung von Ein-Personen-Unternehmen in der Krise ein.

Sonja Lauterbach: Die Richtlinien zu diesen Töpfen ergeben keinen Sinn für jemanden, der in der Praxis steht. Grundsätzlich gehen die Maßnahmen, die jetzt von der Regierung versucht werden, in die falsche Richtung – insbesondere für Allein- und Kleinstunternehmer, die im wesentlichen Einnahmen-Ausgaben-Rechner sind. Die Verantwortlichen haben sich mit Treffsicherheit die zwei sinnlosesten Kennzahlen aus der Einnahmen-Ausgaben-Rechnung gesucht, um den Härtefallfonds drum herumzubasteln: Die Umsatzrentabilität und das, was am Jahresende unterm Strich übrigbleibt. Diese Kennzahlen haben nichts mit der Tragfähigkeit eines Geschäftsmodells oder der Qualität eines Unternehmens zu tun – sie sind irrelevant und gehen meilenweit an der Praxis vorbei. Die Richtlinien zum Fixkostenzuschuss sind so schwammig formuliert, dass man nur den Kopf schütteln kann. Beim Familienhärte-Fonds braucht es tatsächlich eine Bestätigung der WKO! Und was sollen Unternehmen mit einem nicht-betriebsbedingten Kredit? Das führt nur zu einer Überschuldung, die Unternehmen gefährlich nahe an die Insolvenz bringt.

Überhaupt an die Leistungen zu kommen, soll ein großer bürokratischer Aufwand sein.

Sonja Lauterbach: Es ist eine Impertinenz, dass jedem Unternehmer unterstellt wird, dass er betrügt oder etwas missbraucht. Diese ganze Helferei wird vor lauter Panik, dass es zu einem systematischen Missbrauch kommt, so absurd umgarnt, dass das Geld gar nicht fließen kann. Kein Einziger der Verantwortlichen hat sich die Überlegung erlaubt, wie man mit einer Einnahmen-Ausgaben-Rechnung überhaupt systematisch Missbrauch betreiben kann.

Das ganze bürokratische Prozedere hat schon fast paranoide Züge.

Es erfordert großes Durchhaltevermögen, an die Gelder aus den genannten Töpfen zu gelangen. Gelder, die Ihnen als Schadenersatz zustehen.

Sonja Lauterbach: Es ist grotesk, den Härtefallfonds als „Förderung“ zu titulieren. Es ist weder eine Förderung, noch eine Hilfszahlung – es ist eine Entschädigung für einen verursachten Schaden.
Mit dem Mascherl „Förderung“ haben wir keinen Rechtsanspruch. Gleichzeitig setzen sich WKO und Ministerium über geltendes Recht hinweg.

Inwiefern?

Sonja Lauterbach: Indem die WKO zum Beispiel Anträge ablehnt, weil ein kürzlich abgelaufener Reisepass als Identitätsnachweis beim Antrag zum Härtefallfonds hochgeladen wurde. Es gibt einen Entscheid vom Verwaltungsgerichtshof, der besagt, dass abgelaufene Reisepässe als Identitätsnachweis im Behördenverkehr noch viele Jahre gültig sind. Auf Anfrage bei der WKO heißt es, das hätte das Ministerium verlangt. Aber das Ministerium dementiert dies und sagt, nichts davon stünde in den Richtlinien – und das stimmt auch.

Oder das inländische Konto, das vorhanden sein muss. Nach Zahlungsdienstegesetz 2018 ist das nicht rechtens.

Angenommen, Sie sitzen mit Blümel und Schramböck am Tisch, die möglicherweise keine Ahnung haben, wie es den EPU geht. Was wollen Sie ihnen sagen?

Sonja Lauterbach: Ich würde ihnen gerne das Wesen der EPU erklären und einen Ausflug ins erste Semester BWL mit einer Einführung zur Einnahmen-Ausgaben-Rechnung machen. Ich würde versuchen zu vermitteln, dass die Kennzahlen, auf denen sie herumtanzen, die falschen sind. Und dass diese mutwillig aufgebaute Bürokratie ihresgleichen sucht und das „Rasch“ verhindert.

Was würden Sie fragen?

Ich würde gerne wissen, warum sie mit dem Härtefallfonds und dem Fixkostenzuschuss die Gesamtwirtschaft ruinieren. Da sind so praxisferne Absurditäten drin, die keinem einzigen Unternehmen nützen.

Sonja Lauterbach: Auch bei der WKO würde ich einige Fragen deponieren: Was passiert mit den Daten? Wer hat Zugriff, wo werden sie gespeichert? Das ist sehr schwammig formuliert in den Richtlinien. Wer kontrolliert das? Wer kontrolliert die Milliarden in diesem Topf? Wer schaut der WKO auf die Finger bei dem, was sie tut?

Das Finanzministerium schickt Daten über alle WKO-Mitglieder und Nicht-Mitglieder, und versetzt damit die WKO in die Lage, allen ins Nachtkastl zu schauen. In den Richtlinien zum Härtefallfonds ist es so formuliert, dass die WKO die Daten bis zu 10 Jahre nach Beendigung der Geschäftsbeziehung aufbewahren kann und erst dann anonymisiert und auf Antrag löscht – das stimmt mich sehr nachdenklich.

Was würden Sie fordern?

Sonja Lauterbach: Macht es praxisnah und schaut, dass das Geld zu den Unternehmen kommt. Weil nachkorrigieren oder glätten kann man nach der Krise. Im Moment geht es nicht darum, allen zu unterstellen, dass sie das System missbrauchen, sondern darum, zu sagen – da habt’s einmal. Das ganze würde ich kalkulierbar machen – deshalb meine Forderung, das Ganze übers Finanzamt abzuwickeln, und zwar auf Branchenumsatz-Basis.

Wie würden Sie das Vorgehen der Regierung hinsichtlich Unternehmen in Österreich beschreiben?

Sonja Lauterbach: Unternehmen werden in den Ruin getrieben. Man darf nicht vergessen: Die Umsätze brechen seit März ein, während die Fixkosten laufen. Das frisst Eigenkapital. Die Unternehmer brauchen jetzt nicht Stundungen oder Kredite, sie brauchen Eigenkapital, und zwar dringend. Außerdem: Jedes Klein- und Mittelunternehmen (KMU) nimmt im Konkursfall sämtliche Arbeitsplätze mit – KMU haben zwischen einem und 249 Mitarbeitern. Da EPU und Selbstständige Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einer Person sind, werden diese Arbeitsplätze auch vernichtet.

Die Unternehmer leben derzeit vermutlich von ihrem Eigenkapital – und das hat ein Ablaufdatum.

Sonja Lauterbach: Es wird aus Dilettantismus Eigenkapital und Vermögen zerstört. Und auch Kaufkraft. Die Alleinunternehmer überbrücken jetzt irgendwie die Zeit aus Privatvermögen. Da wird jetzt gerade bei Selbstständigen Alterskapital verbraucht – was machen wir, wenn die in Pension gehen? Die Hauptaltersgruppe der Alleinunternehmer in der EPU-Österreich-Gruppe ist 45 plus. 45 – das ist eine weite Distanz bis zur Pension und eine viel zu kurze Distanz, um nach der Krise noch einmal ordentlich durchzustarten. Das ist vor allem die Gruppe, die man auch nicht so einfach im Arbeitsmarkt unterkriegt – in der Krise schon gar nicht. Danach auch nicht.

Die Auswirkungen der Krise bzw. der getroffenen Maßnahmen werden wir noch viele Jahre nach Aufkommen des Virus spüren – bzw. auch dann erst in vollem Ausmaß erfahren.

Sonja Lauterbach: Was jetzt krampfhaft versucht wird ist, die „alte Normalität“ zu erhalten. Das ist absurd, weil man nicht weiß, wie die Welt nach Corona ausschaut. Rückblickend wird das Virus das geringste Problem gewesen sein: In dem Moment, wo wir nicht mehr mit Masken rumlaufen und Baby-Elefanten mit uns herumführen müssen, ist die Welt ja noch nicht okay. Dann kommt die Wirtschaftskrise – und die Klimakrise bleibt sowieso.

Wirtschaft ist zu komplex für ein „Probier‘ma mal, und wenn es nicht klappt, dann korrigieren wir halt nach.“ Aber jede Nachkorrektur vergrößert nur den Pfusch. Sie haben es womöglich gut gemeint – aber auch ein gut gemeinter Pfusch bleibt ein Pfusch.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Larissa Breitenegger

Titelbild: APA Picturedesk

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