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2 Jahre Bürgermeister Ludwig – Catenaccio als politische Tugend – Analyse

Analyse

Am Sonntag feiert Wiens Bürgermeister Michael Ludwig zweijähriges Amtsjubiläum. Seiner Amtsübernahme war ein offenes Rennen um den Bürgermeistermeistersessel voraus gegangen. Am 11. Oktober muss Ludwig seine erste Gemeinderatswahl als Bürgermeister schlagen. Für seine Partei gerät sie zur Schicksalswahl.

Wien 24. Mai 2020 | Wenn einer nach zwei Jahren im Amt immer noch der „Neue“ ist, muss es sich um einen Landeshauptmann handeln. Keine anderen Spitzenpolitiker Österreichs sind so lange im Amt. Das gilt auch und gerade für Wiens Bürgermeister. Ludwigs Amtsvorgänger Michael Häupl war ein knappes Vierteljahrhundert Hausherr am Rathausplatz und damit längstdienender Bürgermeister seit dem 18. Jahrhundert.

Die Kampfabstimmung

Als Häupl ging, war nicht klar, wer sein Nachfolger werden sollte. Diverse vermeintliche Kronprinzen hatte der Bürgermeister sozusagen ausgesessen. Es geschah etwas, das in der österreichischen Politik nicht alle Tage vorkommt: Die Nachfolgekandidaten Michael Ludwig und Andreas Schieder machten sich die Sache in einer Kampfabstimmung aus.

Das Ringen um den Bürgermeistersessel wurde als Richtungsstreit in der Wiener SPÖ verstanden, mit Strahlkraft weit über die Stadtgrenzen hinaus. Rechts gegen links, Flächenbezirke gegen Gürtelinneres, „Liesinger Partie“ gegen Sektion Acht, Simmering gegen Sievering – auf diese Formeln wurde das Match verknappt und der viel komplizierteren Wirklichkeit damit wie immer unrecht getan.

Fairer Verlierer: Von Andreas Schieder (re.) gab es für Michael Ludwig keine Hackln ins Kreuz. Bild: APA Picturedesk

Häupl hielt sich heraus. Sein Wohnbaustadtrat Michael Ludwig gewann mit Respektabstand, der aus altem Stadtparteiadel stammende Konkurrent Andreas Schieder wurde Spitzenkandidat für die EU-Wahl.

Offene Gräben

Bundesweit zitterte die SPÖ. Eine offene Auseinandersetzung um Häupls Nachfolge hielten viele nicht für ein Zeichen basisdemokratischer Gesinnung, sondern für ein Symptom innerer Zerrissenheit der Sozialdemokratie. Die erste Nagelprobe für den neuen Bürgermeister Ludwig wurde sogleich zur Schicksalsfrage der SPÖ erklärt: Würde Ludwig das Kunststück schaffen, die konkurrierenden Gruppen innerhalb der Wiener SPÖ zu einen? Zwei Jahre später lautet die Antwort: ja.

Das Wiener Schattenkabinett

Entgegen mancher Befürchtungen blieb die Nacht der langen Messer in Rathaus und Löwelstraße weitgehend aus. Ludwig ging bei der Besetzung seines Teams mit Fingerspitzengefühl vor. Dass er selbst lange Mitglied von Häupls Stadtregierung gewesen war, half. Ludwig scharte bewährte Leute mit politischer und fachlicher Erfahrung um sich: Von Peter Hacker und Peter Hanke über Jürgen Czernohorszky bis Veronika Kaup-Hasler bildete Ludwig eine Stadtregierung, deren Mitglieder ein veritables Schattenkabinett zu den größtenteils fachfremden türkisen Bundesministern darstellen – auch wenn niemand in der Wiener SPÖ das jemals so sagen würde.

Michael Ludwig und die SPÖ-Stadträte: Jürgen Czernohorszky (Bildung), Peter Hanke (Finanzen und Wirtschaft), Veronica Kaup-Hasler (Kultur und Wissenschaft), Kathrin Gaal (Wohnen), Peter Hacker (Gesundheit und Soziales), Ulli Sima (Umwelt). (v. li. n. re.) Bild: APA Picturedesk

Ähnliches gilt auch für die Akteure hinter dem Vorhang. Viele der besten Manager und Strategen, die die SPÖ aufzubieten hat, werken derzeit nicht für die Bundespartei, sondern für die Stadt-SPÖ oder das Rathaus. Wo für die SPÖ die Prioritäten liegen, sieht man erst bei genauem Hinschauen, denn die Stadtpartei scheint Theodor Roosevelts Motto verinnerlicht zu haben: „Speak softly and carry a big stick.“

Politik der leisen Töne

Überhaupt sind laute Töne aus Wien selten geworden, sieht man von gelegentlichen Bonmots des streitbaren Stadtrats Peter Hacker einmal ab. Für das Wiener Publikum ist das nach den Unterhaltungswerten charismatischer Langzeitbürgermeister wie Michael Häupl oder Helmut Zilk ein bisserl fad. Im Vergleich zu seinen Vorgängern wirkt Ludwig still, bescheiden, fast schon bieder. Kaum vorstellbar, dass er eines Tages als Wiener Original gelten wird.

Gut möglich, dass es genau dieses Auftreten gebraucht hat, um nach der Kampfabstimmung 2018 die Wogen zu glätten. „Wer hätte gedacht, dass Ludwig die bessere Wahl als Bürgermeister war?“, ist aus linksintellektuellen Kreisen in den Bobovierteln am Karmelitermarkt oder am Yppenplatz zu hören. „Einer von den Unsrigen ist er ja nicht…“

Zwischen Brünner Straße und Rathausplatz

Tatsächlich sind die Flächenbezirke die persönliche und politische Heimat des Floridsdorfers Michael Ludwig, seine Hausmacht liegt am linken Donauufer. Weil es kaum einmal Studenten, Arbeitssuchende und andere Zugereiste auf diese Seite der Donau verschlägt, sind die großen Bezirke dort jene mit dem höchsten Anteil geborener Wiener. Aus Transdanubien kommt auch der neue SPÖ-Klubchef im Gemeinderat, Joseph „Joe“ Taucher, der mit Ludwigs Amtsübernahme Christian Oxonitsch ablöste.

Der promovierte Politikwissenschaftler Ludwig arbeitete sich im Wiener Volksbildungswesen – einem der letzten Überbleibsel des alten „Roten Wien“ – nach oben. Seilschaften und Vernetzungen zum Parteiadel finden sich vergleichsweise wenige. Dass Ludwig, der im Gemeindebau aufwuchs, Bundeskanzler Werner Faymann als Wohnbaustadtrat nachfolgte, passt. Ludwig versuchte, den kommunalen Wohnbau wiederzubeleben, was ihm trotz aller Skandale und Skandälchen um die Mammutorganisation Wiener Wohnen gelang. Im Sonnwendviertel hinter dem Hauptbahnhof, in der Asperner Seestadt, in Donaufeld und in Penzing entstehen neue Stadtviertel. Ein historischer Wurf, ein Karl-Marx-Hof für das 21. Jahrhundert, ist nicht dabei und steht auch nicht zu erwarten.

Wenn die vergangenen Jahre eine Prognose auf Ludwigs künftige Amtsführung zulassen, dann wird die wohl leise und effizient. Evolution statt Revolution ist bei den Wiener Genossen angesagt.

Kann Ludwig Wahlkampf?

Die Frage ist: Kann einer wie Ludwig überhaupt wahlkämpfen? Während Zilk das Rampenlicht genoss und Häupl eine qualtingerhafte Präsenz entwickelte, wird Ludwig leicht übersehen. Ganz anders sein Hauptgegner im Oktober: ÖVP-Spitzenkandidat Gernot Blümel gehört zum innersten türkisen Machtzirkel einer „Neuen Volkspartei“, die Politik als ununterbrochene PR-Offensive versteht. Dank der Implosion der FPÖ und der türkisen Stärke im Bund wird die Wiener ÖVP ordentlich zulegen. Dass sie 2015 nur bei einem einstelligen Ergebnis gelandet war, spielt Blümel nun sogar in die Hände. Von neun und ein paar zerquetschten Prozentpunkten kann es nur aufwärts gehen – weit aufwärts.

Was auch immer passiert, Blümel wird sich dank der zu erwartenden Zuwächse am 11. Oktober von türkisen Groupies umringt zum Wahlsieger erklären und dann ins Finanzministerium zurückkehren, von wo aus er die türkise Übernahme der Staatsunternehmen erfolgreich und die Bewältigung der Corona-Wirtschaftskrise blamabel dirigiert.

Und Ludwig? In der Auseinandersetzung um die Öffnung der Bundesgärten oder die aktive Teststrategie des Wiener Gesundheitsamts hat die Stadtregierung erstmals wirklich Zähne gezeigt. Die öffentliche Rollenverteilung dabei ist klar: Gute Nachrichten gehören zum Bürgermeister, das Grobe erledigen andere.

Damit alles bleibt, wie es ist

In Krisenzeiten wählen die Menschen konservativ und in Wien bedeutet konservativ im eigentlichen Wortsinn rot. Die Zwei-Millionen-Stadt ist herausragend verwaltet (wofür unter anderem Magistratsdirektor Erich Hechtner, der einen ähnlich zurückhaltenden Stil wie sein Chef pflegt, verantwortlich zeichnet). Dass Wien Jahr für Jahr den Titel lebenswerteste Stadt der Welt redlich verdient hat, kann wohl jeder, der schon einmal woanders gelebt hat, bestätigen. Warum etwas ändern, wenn doch alles gut ist? Diese Strategie ist Ludwig wie auf den Leib geschneidert.

Die Catenaccio-Strategie der Wiener SPÖ ist Ludwig auf den Leib geschneidert. Bild: APA Picturedesk

Die Stadt-SPÖ braucht dafür vor allem eines: Ruhe. Dass die Personaldiskussion um Bundesparteichefin Pamela Rendi-Wagner erst einmal beendet ist, war für die Wiener SPÖ wichtig. Umgekehrt ist es der Bundes-ÖVP ein Anliegen, in Wien nicht das Gefühl von Normalität aufkommen zu lassen. Dazu benutzt sie die Coronakrise. Sollte sich das erschöpfen, wird sie die Ausländerkarte spielen, um den Resten der FPÖ möglichst viele Wählerstimmen abspenstig zu machen. Derzeit testet sie die Kombination beider Themen mit wechselndem Erfolg aus.

Polit-Catenaccio als Wahlkampfstrategie

Ludwig wird seine Erfolge als Bürgermeister dagegen halten: Die Wirtschaftsleistung der Stadt übertrifft die aller anderen Bundesländer mit Abstand und ist größer als die vieler EU-Staaten. Trotz aller Unkenrufe aus der ÖVP hat Wien seine Schulden gut im Griff. Der kommunale Wohnbau und der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel gehen zügig voran. Im Februar ließ Ludwig aufhorchen, als er allen Wienern einen Lehr- bzw. Pflegeplatz garantierte und den Ausbau kostenloser Ganztagsschulen versprach.

Wiens Schulpolitik ist gleichwohl eine offene Flanke, denn im Umgang mit Brennpunktschulen hat die Stadt Nachholbedarf: Der Mangel an Unterstützungspersonal für überlastete Lehrer ist ein bisher ungelöstes Problem. Die ansonsten souveränen Verantwortlichen – Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorsky und Bildungsdirektor Heinrich Himmer – täten gut daran, in dieser Frage mehr Entschlossenheit zu zeigen.

Dafür sammelt die Stadtregierung Pluspunkte in der Bewältigung der Coronakrise. Die Hilfen der Stadt kommen einfach schneller an als jene der Bundesregierung. Die Idee, Gastronomiegutscheine an alle Haushalte zu versenden, musste sogar Kanzler Kurz zähneknirschend loben.

1:0

Bisher geht die Strategie einer starken Defensive auf. In den Umfragen liegt die SPÖ nah am letzten Ergebnis unter Michael Häupl. Der erste Platz ist abgesichert, das Gespenst einer türkis-grün-pinken Koalition kaum realistisch. Rot-Grün ist bei den Wienern mit großem Abstand die beliebteste Koalitionsvariante. Die Bundehauptstadt ist das einzige Bundesland mit stabiler Mehrheit links der Mitte, noch jeder demokratisch gewählte Bürgermeister der Stadt kam aus der SPÖ. Das gilt es jetzt heimzuspielen.

Das mehrheitsfördernde Wahlrecht, das sich die Wiener SPÖ über die Jahre gezimmert hat, ist sicher beruhigend, wurde bisher aber eigentlich noch gar nicht gebraucht. Wenn überhaupt, dann könnte die SPÖ ohne Herausforderung durch die FPÖ ein Mobilisierungsproblem bekommen. Die ÖVP scheint aber wild entschlossen, das durch ihre dauernden Angriffe auf Wien zu lösen. Klar ist: Verliert die SPÖ Wien, ist das eine existenzielle Bedrohung für die Partei. Fährt Ludwig hingegen im Oktober einen Sieg ein, könnte das der SPÖ insgesamt Auftrieb geben.

Gekommen, um zu bleiben?

Ludwig ist angekommen als Bürgermeister; nach „nur“ zwei Jahren im Amt keine geringe Leistung. Der Amtsinhaber kann sich über sehr gute Vertrauenswerte freuen. Über 45 Prozent würden Ludwig direkt zum Bürgermeister direkt wählen. Bei Kanzler Kurz sind es laut aktuellen Umfragen nur 33 Prozent. Zudem scheint es, dass Ludwig zunehmend an Profil gewinnt. Photo-Ops und perfekt durchkomponierte Medieninszenierungen werden wohl niemals seine Stärke werden. Aber bei Interviews und öffentlichen Auftritten punktet Ludwig in den vergangenen Wochen durch souveräne Sachlichkeit.

Dass Ludwig bei den Wählern quasi-religiöse Verehrung im Stil eines Sebastian Kurz verursachen könnte, ist schlicht nicht vorstellbar. Dass er noch das eine oder andere Jahrzehnt unaufgeregt sein Amt versieht hingegen schon.

Thomas Walach

Titelbild: APA Picturedesk

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