Freitag, April 19, 2024

Public Health-Experte kritisiert Selbstlob der Regierung: “Irreführend”, “falsch”

Public Health Experte kritisiert Selbstlob der Regierung

Vergangene Woche nutzte die Regierung erneut eine Pressekonferenz zu Selbstlob rund um die Corona-Maßnahmen. Martin Sprenger, Ex-Mitglied des Corona-Stabs der Regierung, unterzog die Behauptungen einem Faktencheck und befindet: einiges sei irreführend, anderes schlichtweg falsch.

Wien, 02. Juni 2020 | Vergangene Woche fand wieder eine der zahlreichen Pressekonferenzen der Regierung statt Diesmal war es Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), der einige Botschaften für die Bevölkerung parat hatte. Der Grundtenor: “Es wurden die richtigen Maßnahmen zum richtigen Zeitpunkt gesetzt.” Und: Die Lockerungen hätten nicht früher stattfinden können.

„Jede Message Control schadet unserer Gesellschaft“

Die dabei aufgestellten Zahlen, die das Horrorszenario von 40.000 Infizierten zeichneten, zwingen Martin Sprenger jetzt zur Richtigstellung. Der Grazer Public Health-Experte war bis Anfang April Teil des Beraterstabs zur Pandemie-Bekämpfung im Gesundheitsministerium, wurde dann allerdings durch seinen Ausstieg aus dem Gremium bekannt:

“Es ist vieles gut gelaufen in Österreich, darauf können wir stolz sein. Es ist aber auch vieles schlecht, manches sogar katastrophal schlecht gelaufen. Das sollten wir beim nächsten Mal besser machen. Nur eine ausgewogene Darstellung hilft uns, gemeinsam zu lernen und uns zu verbessern“,

so Sprenger. Er verabschiedete sich von Sebastian Kurz‘ Kurs der Panikmache und tritt seither vermehrt als Kritiker der Maßnahmen der Regierung auf:

„Jede Message Control schadet unserer Gesellschaft. Warum die Grünen und viele Wissenschaftler dabei mitspielen, verstehe ich nicht.“

Auf seine Kritik hin, die insbesondere auf Twitter gefeiert wird, rücken gerne mal die türkisen Sprecher des Kanzlers aus:

Faktencheck: Falsch, irreführend

In seinem Offenen Brief an den Gesundheitsminister widmet sich Sprenger dem Krisenmanagement. Er könne nicht anders, als „im Sinne einer konstruktiven wissenschaftlichen Debatte darauf zu reagieren“, schreibt er eingangs. Einige der in der PK aufgestellten Behauptungen und Zahlen seien irreführend, manche sogar falsch. Bei der Pressekonferenz sei außer Acht gelassen worden, welche gesundheitlichen, psychischen, sozialen und ökonomischen Schäden durch die Maßnahmen angerichtet wurden.

Die Maßnahmen seien zum richtigen Zeitpunkt gesetzt worden, aber die Wahl des Zeitpunkts sei reiner Zufall gewesen: entscheidend seien unter anderem die Bilder aus der Lombardei, die Modellierungen, die den Kollaps des Gesundheitssystems prophezeiten, Druck aus Tirol sowie die bereits stattgefundenen Wirtschaftskammerwahlen gewesen. Spätestens ab April hätte die Regierung „alles tun müssen, um mittels Gesundheitsfolgenabschätzungen den gesundheitlichen, psychischen und ökonomischen Schaden“ so gut wie möglich zu minimieren. Der Schaden der Maßnahmen sei größer als ihr Nutzen.

Kollaps des Gesundheitssystems wäre nicht gekommen

Auch ohne Lockdown wäre es nicht zur Überlastung des österreichischen Gesundheitssystems gekommen, so Sprenger. Jetzt noch davon zu sprechen, sei „unseriös und falsch“. Außerdem komme es darauf an, wer an COVID-19 erkranke, nur ein sehr kleiner Anteil der Erkrankten müsse tatsächlich stationär behandelt werden. Durch verbesserte Hygienemaßnahmen und Absage von Großveranstaltungen sei es bereits vor dem Lockdown zur Verringerung von Kontaktzahlen gekommen.

Sprenger rechnet hart ab:

„Bewegung im Freien zu untersagen, war weder wissensbasiert, noch hat die Zwangsquarantäne das Infektionsgeschehen günstig beeinflusst.“

Eher das Gegenteil sei der Fall, die Nebenwirkungen des überlangen Lockdowns vor allem auf Kinder seien „sicher beträchtlich“,

„Was ethisch eine unnötige und massive Verletzung der Menschenrechte und medizinisch eine Katastrophe darstellt.“

Sprenger zerlegt auch die bedrohliche Zahl von 40.000 Infizierten, hätte man erst eine Woche später reagiert: „Diese Aussage ist eher falsch.“ Er bringt die Schweiz mit 8,6 Millionen Einwohnern als Beispiel: Obwohl es dort nie Ausgangssperren gab, sei die Zahl der offiziell Infizierten auf nicht mehr also 30.000 angestiegen. Auch Schweden hatte mit 10,2 Millionen Einwohnern keinen Lockdown – und die Zahl von 40.000 Infizierten bis heute nicht erreicht.

Nicht nur dieses Virus fährt nicht auf Urlaub

In der Pressekonferenz wurde auch betont, das Virus sei „nicht auf Urlaub gefahren“. Sprenger erwidert in seinem Offenen Brief: Ja, aber auch alle anderen sehr ernst zu nehmenden Viren seien genauso wenig auf Urlaub, nur würde auf diese nicht getestet:

„Auch alle anderen Gesundheitsrisiken, die zu einer vorzeitigen Behinderung oder vorzeitigem Tod führen, fahren niemals auf Urlaub. Das sollte ein Gesundheitsminister wissen und ebenfalls immer betonen.“

Ebenso stellt er den prognostizierten Bedarf an Intensivbetten in Frage: Irreführend, sein Urteil – denn es hinge immer davon ab, wie gut die Hochrisikogruppen geschützt würden.

(lb)

Titelbild: APA Picturedesk

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