Freitag, März 29, 2024

Die andere Welt der SOKO Ibiza – Wo sind die Beweismittel?

Wo sind die Beweismittel?

Die sogenannte “SOKO Tape” steht unter heftiger Kritik. Dramaturgisch optimal, dass gerade heute der Leiter der SOKO in den Ibiza-Ausschuss geladen wurde. Es war der erste brisante Höhepunkt. Die Befragung lässt nur ein Urteil zu: Die SOKO lebt in einer anderen Welt als die WKStA. Ein Protokoll explosiver Stunden im Parlament.

Wien, 10. Juni 2020 | Die SOKO „Tape“, gemeinhin SOKO Ibiza bezeichnet, könnte eigentlich eine SOKO „Fake“ sein. Zumindest, wenn sich die aktuellen Vorwürfe bewahrheiten. Derlei Vorwürfe gibt es einige, akut sind gerade drei:

Nur drei Vorwürfe, ganz ohne Schredderman

  1. Die gescannte Seite aus dem Notizbuch von Walter Rothensteiner (ÖVP-naher CASAG-Aufsichtsratsvorsitzender), genauso gescannt, dass der Vermerk über ein Treffen zwischen Sebastian Kurz und Josef Pröll nicht lesbar war. „Unvermögen oder Absicht?“, fragte  Jan Krainer (SPÖ). Die WKStA konnte per Photoshop jedenfalls wieder die ganze Seite lesbar machen.
  2. Das Schmid-IPhone. Die WKStA schaffte, woran die SOKO scheiterte: Die Wiederherstellung der Daten am beschlagnahmten IPhone von ÖBAG-Chef und Kurz-Intimus Thomas Schmid. Als die WKStA die Daten wiederhergestellt hatte, verlangte die SOKO plötzlich von der Staatsanwaltschaft die Daten. Zuvor begründete die SOKO: Man kann die Daten am IPhone nicht wiederherstellen. Die WKStA widerlegte das.
  3. Das ganze Ibiza-Video. Warum ging das ganze Ibiza-Video erst 6 Wochen nach der Beschlagnahmung an die WKStA?

Dementsprechend elektrisiert wirkte der Ausschuss während der Belehrung des SOKO-Tape-Leiters Andreas Holzer. Ohne Zweifel ein erster brisanter Höhepunkt im Ibiza-Ausschuss. Holzer hatte sich jedenfalls darauf vorbereitet.

Seine einleitende Stellungnahme liest er ab. Er beginnt mit seinem Lebenslauf, um dann zu sagen, er sei „immer bedacht, mögliche Befangenheit zu klären.“ Und er sei stolz, „umfangreiches Ton- und Videomaterial sichergestellt“ zu haben. Das sei der „größte Erfolg seiner Karriere“ – gemeint ist das ganze Ibiza-Video.

Der Strache-Fan als SOKO-Ermittler

Alle „Auffassungsunterschiede (zwischen Behörden und Staatsanwaltschaft, Anm.) konnten ausgeräumt werden“, versicherte Holzer schon zu Beginn der Befragung. Aber was ist mit der Befangenheit mancher seiner Ermittler? N. R., Beamter der SOKO Tape, soll Strache SMS geschrieben haben, nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos. Holzer habe die „Befangenheit geprüft“ und keine festgestellt. Er versichert, besonders auf die „Qualität der Beamten“ geachtet zu haben.

Beim Bewerbungsgespräch mit SOKO-Chef Holzer sagte R. schon, dass er ein „Kopf-Hoch-SMS“ an Strache geschrieben habe. Auf Nachfrage habe Holzer aber festgestellt, dass R. kein freundschaftliches Verhältnis mit Strache pflege. Aufgrund dieser Transparenz sei sich Holzer sicher, dass bei R. keine Befangenheit vorliege. Daraufhin habe er ihn dann in die SOKO geholt, wobei er bei Strache ohnehin nicht eingesetzt worden sei. Das von Holzer bezeichnete „Kopf-Hoch-SMS“ liest sich allerdings etwas anders als ein bloßes „Kopf-Hoch“:

“Lieber HC, ich hoffe auf einen Rücktritt vom Rücktritt … die Politik braucht dich! Alles Gute für alles Weitere! LG N.“

Seit wann weiß Holzer, dass N. R. auch für einen Gemeinderat in Niederösterreich, auf der Liste der ÖVP, kandidierte? Das wisse er nicht.

Eine andere Wirklichkeit

Alles gut für Holzer, aber andere sehen das ganz anders. Stephanie Krisper (NEOS) erkennt das Gegenteil: Sie mache es „fassungslos“, dass Holzer gegen eine Befangenheit von R. argumentiert. Ebenso fassungslos scheint sie beim „Schreddergate.“ Aber Holzer erkennt auch hier keinerlei Verfehlungen:

„Die Oberstaatsanwältin hat sich sogar für das umsichtige Vorgehen im Laufe der Untersuchungen von Arno M. bedankt.“

Dass keine Geräte vom Schredderman beschlagnahmt wurden, sei ordnungsgemäß gewesen.

Was er dazu sagt, dass die Ermittler von keinem Erfolg ausgingen, weil Kurz-Nummer1-Berater Stefan Steiner die Beamten vor der Durchsuchung gesehen hatten? „Die Staatsanwaltschaft hat sich bedankt“, antwortet Holzer. Krisper aber meint, sie lese kein einziges Wort des Dankes im Akt der WKStA. Holzers Wirklichkeit scheint ganz anders zu sein, als jene Wirklichkeit, die den Akten zu entnehmen ist.

Wie sieht’s mit dem brisanten Rothensteiner-Notizbuch aus, und zwar mit jener Seite, die ein Treffen zwischen Pröll und Kurz vermerkt? Es sei „im Original der WKStA übergeben.“ Eine Kopie sei für die SOKO angefertigt worden. In einem Aktenvermerk der WKStA, sowie in einem Amtsvermerk des Staatsanwalt P. steht aber etwas ganz anderes. Zuerst machte man den Scan leserlich, erst danach kam die WKStA an das Original-Dokument. Bei der Digitalisierung der Unterlagen durch SOKO Tape sei man massiv “unsorgfältig” vorgegangen.

Deshalb sind dem Staatsanwalt P. ja „fast die Augen rausgefallen“, als der Scan wieder lesbar gemacht wurde. Das sagte er gestern im U-Ausschuss. Holzer aber sieht nur, „kleinere Differenzen“ im Zuge der Ermittlungen, aber diese seien stets ausgeräumt worden. Leaks aus der WKStA habe Holzer übrigens niemals angenommen.

Der brisante Schatten über dem Namen Kurz. Hier schon bearbeitet: der Name wurde vor den Schatten geholt.

Warum schaffte die WKStA die Wiederherstellung des Schmid-IPhones und die SOKO nicht? „Nach unseren Standards war das nicht möglich.“ Solche Auswertungen dürften nicht mit Informationsverlust einhergehen. Das ist eine äußerst interessante Logik: Die SOKO konnte keine Daten des Schmid-Handys wiederherstellen – aufgrund von möglichen Informationsverlust. Welche Informationen verliert man, wenn man gar keine hat? Seltsam.

Und wo sind die Strache-Kurz-SMS? Holzer kennt sie nicht.

Das ganze Ibiza-Video und andere Beweismittel

Was Beweismittel angeht, auf die die WKStA warten soll, zeigt sich ein ähnliches Bild. „Wir haben keine Daten, die die WKStA nicht hat.“ Gestern sagte die WKStA etwas anderes.

Und das ganze Ibiza-Video? Man habe am 20. April die zuständige Staatsanwaltschaft informiert. Im Laufe der Woche auch Minister-Kabinette und Generalsekretäre. Aber an die WKStA nicht.

Warum ist das Video nach 6 Wochen noch immer nicht transkribiert – die „Süddeutsche Zeitung“ brauchte laut Falter-Chefredakteur Florian Klenk nur drei Tage? Man arbeite einfach „sehr sorgfältig, Vieraugenprinzip, Sechsaugenprinzip.“ Das brauche eben alles Zeit, „die Leute arbeiten alle unter Hochdruck.“

Eine Neuheit kommt dann aber noch: Es gibt noch andere Szenen, weitere Videos. Wie viele weiß Holzer aber nicht. „Im Wesentlichen geht es dabei um dieselben Protagonisten“, an die WKStA seien diese noch nicht übermittelt worden. Pikant: Zuvor sprach Hafenecker (FPÖ) von einem „ähnlichen Video, das einen ÖVP-Granden beim Verkauf der Krone zeigen soll.“

“Aufgrund der Entwicklungen im Vorjahr sei Anordnung ergangen, dass aus Verschlussakten andere Behörden nicht zu informieren sei”. Was Krainer (SPÖ) dazu sagt? „Das ist eine Ausrede.“

Detektiv H.

Abschließend: Ob man eigentlich zum Detektiv H. Kontakt aufgenommen habe, um zum ganzen Video zu kommen? SOKO-Chef Holzer will das nur geheim beantworten. Krisper will keine geheime Befragung, Sobotka interessanterweise schon – sie bleibt öffentlich, aber die Frage wird nicht beantwortet. Ob H. mit dem Bundeskriminalamt früher zusammenarbeitete? Das weiß Holzer nicht.

Man ist verblüfft, als Beobachter. Es zeigt sich, dass die Realität der SOKO offenbar ganz anders aussieht als jene des Justizministeriums oder jene der WKStA. In der Welt von Holzer bleibt jedenfalls nichts übrig von den schweren Anschuldigungen gegen seine SOKO. Bis auf einzelne Auffassungsunterschiede würde alles nach Recht und Ordnung ablaufen.

NEOS-Fraktionsführerin Krisper formulierte es via Twitter so:

“Holzer flüchtet immer, wenn es eng wird, in angebliche mündliche Anordnungen, Übereinkünfte etc. Aktenkundig ist davon nichts und rechtlich sind sie nicht gedeckt. Das ist der Leiter der SOKO, die im derzeit brisantesten Korruptionsverfahren ermittelt!”

Zu Beginn der nächsten Sitzung in zwei Wochen wird mit Andreas Holzer fortgesetzt. Doch diesmal in einer nicht-öffentlichen Sitzung. Gefragt wird er zu den neu bekanntgewordenen Videos werden, zu Ermittlern und dem Ibiza-Video.

(ot)

Titelbild: APA Picturedesk

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