Wird der Ibiza-Untersuchungsausschuss zur Farce?
Im Ibiza-Untersuchungsausschuss wollen die meisten Auskunftspersonen nichts sagen. Ob sie dazu das Recht haben, wird heiß diskutiert. Ein Problem ist es allemal – für die Auskunftspersonen wie für das Parlament
Wien, 11. Juni 2020 | „Führt jemand eine Stricherlliste?“, fragte SPÖ-Fraktionsvorsitzender Kai Jan Krainer, als sich bei der Befragung am Mittwoch FPÖ-Mann Markus Tschank wieder einmal der Antwort entschlug. Keiner der anwesenden Journalisten war weiter als bis 47 gekommen, bevor sie es aufgegeben hatten.
Die glorreichen Sieben
Die Geschäftsordnung des Untersuchungsausschusses zählt sieben Gründe auf, warum eine Auskunftsperson die Aussage verweigern kann. Die wichtigsten: Ein Zeuge muss nichts sagen, was einer Verschwiegenheitspflicht unterliegt, zum Beispiel als Anwalt oder Journalist. Tschank trat absurderweise als sein eigener Anwalt auf und erklärte, er habe sich selbst nicht von seiner anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht entbunden. Dass diese Ausrede durchging, ist kaum zu fassen.
Der zweite Grund: Niemand kann gezwungen werden, sich selbst zu belasten. Hier wird es schwierig. Wer in Österreich einer Straftat beschuldigt wird, darf darüber lügen, dass sich die Balken biegen. Das ist wichtig und richtig so, denn niemand soll gezwungen werden, an seiner eigenen Verfolgung mitzuwirken.
Wer einmal lügt… geht ins Gefängnis
Für Auskunftspersonen im Untersuchungsausschuss gilt aber Wahrheitspflicht. Wer dort lügt, macht sich strafbar. Deshalb ist es problematisch, Beschuldigte in Strafverfahren zum selben Thema im Ausschuss zu befragen. Sie wären gezwungen, sich selbst zu belasten und genau das verbietet die österreichische Strafrechtsordnung.
Die Verfahrensrichter im Ibiza-U-Ausschuss – besonders die ehemalige Höchstrichterin Ilse Huber – stellten die Beschuldigtenrechte bisher immer über die Verpflichtung, dem Ausschuss Rede und Antwort zu stehen. Darin könnte man eine gewisse Bevorzugung strafrechtlicher Fragen gegenüber parlamentarischen Kontrollrechten sehen – no na, es handelt sich um Berufsrichter, nicht um Politiker.
Der Einser-Schmäh
Sobald auch nur die entfernteste Möglichkeit bestand, dass ein Zeuge irgendetwas sagen könnte, das im Ermittlungs- oder Strafverfahren gegen ihn verwendet werden könnte, ließen die Richter Aussageverweigerungen zu. Bei der Befragung von Harald Neumann sagt der Novomatic-Manager sinngemäß auf jede Frage: Keine Ahnung, was der Staatsanwaltschaft noch einfällt; könnte ja sein, dass das irgendwann einmal im Verfahren gegen mich eine Rolle spielt. Selbst die harmlosesten Fragen wurden so abgebogen.
Entsteht im Ausschuss erst einmal eine Kultur der Aussageverweigerung, wird die Entschlagung zum Normalfall, und dann bekommen wir ein Problem. Der Untersuchungsausschuss ist kein Gericht. Er ist ein Instrument des Parlaments, politische Vorgänge im Land zu untersuchen. Weil er von einer Minderheit eingesetzt werden kann, ist er eines der wichtigsten Kontrollrechte der Opposition. Verwandelt sich der Untersuchungsausschuss in einen zahnlosen Papiertiger, wäre das ein schlimmer Rückschlag für den Parlamentarismus.
Die Kunst des Möglichen
Deshalb müssen sich die Abgeordneten an der Nase nehmen. Schuld an dem Schlamassel ist nämlich auch die Ladungspolitik des Ausschusses. Es gibt einen Grund, warum Untersuchungsausschüsse bisher eher keine Beschuldigten luden: Das Entschlagungsrecht. Immer schon war deshalb das Recht des Ausschusses auf Akteneinsicht das mächtigere Instrument. Über den Umweg der Ausschussprotokolle können die brisantesten Aktenbestandteile sogar veröffentlicht werden. Die Akteneinsicht erzeugt aber viel weniger Medieninteresse als der spektakuläre Theaterdonner der Befragungen.
Im aktuellen Ausschuss sind ungewöhnlich viele Zeugen mit guten Entschlagungsgründen geladen. Was haben die Abgeordneten sich dabei gedacht? „Vielleicht sagen die Zeugen ja trotzdem etwas,“ hieß es auf diesbezügliche Journalistenfragen. Tun sie aber bisher nicht. Jetzt hat der Ausschuss den Scherben auf. Wenn Politik die Kunst des Möglichen ist, laufen Abgeordnete, die mit dem Kopf durch die Wand wollen, Gefahr, politisch zu scheitern.
Trotz alledem hat der Auschuss bisher auch sehr wichtige Erfolge zu verbuchen. Insbesondere die Befragungen von Minister Nehammer und Staatsanwalt P. waren aufschlussreich. Das ist vor allem den Abgeordneten Krainer und Krisper und ihren Ausschussmitarbeitern zu verdanken. Die Arbeit Letzterer – darunter bestens informierte und vernetzte Juristen und Rechercheexperten – sieht man öffentlich nicht, ist aber unersetzlich.
Räuber und Gendarm
Doch da geht noch mehr, allen Widrigkeiten zum Trotz. Dass der Vorsitzende Wolfgang Sobotka für jeden offensichtlich befangen ist und auch so handelt, macht die Sache zusätzlich schwierig, ist aber nicht das Grundproblem. Die Oppositionsabgeordneten müssen sich überlegen, was sie mit ihren Befragungen eigentlich erreichen wollen. Nicht im Einzelnen, sondern strategisch. Welche politischen Ziele verfolgt der Ausschuss? Die Abgeordneten agierten bisher oft wie Polizisten, die herausfinden wollen, wer was angestellt hat. Dazu sind aber die Strafverfolgungsbehörden da.
Im Untersuchungsausschuss geht es um politische Verantwortung. Die konnte bisher nicht klar herausgearbeitet werden.
Thomas Walach
Titelbild: APA Picturedesk