Freitag, März 29, 2024

“Frauenmord ist kein Beziehungsdrama” – Katrin Biber über die Ermordung ihrer Schwester

Katrin Biber über die Ermordung ihrer Schwester

Vor sieben Jahren wurde Katrin Bibers Schwester Larissa von ihrem Partner ermordet: Heute wäre sie 28 Jahre alt geworden. Im Interview mit ZackZack gibt Katrin Biber Einblick in ihr Leben nach dem schrecklichen Verlust ihrer Schwester – und rechnet mit den Medien ab: Was sich an der Berichterstattung über Frauenmorde ändern muss.

Wien, 19. Juni 2020 | Seit dem Verlust ihrer Schwester wurden Trauer und heftige körperliche Symptome zu Katrins Begleitern – aber auch Bewegung und Sport, die sie zurück ins Leben gebracht haben. Katrin Biber spricht mit ZackZack darüber, was es bedeutet, einen sehr engen Menschen so brutal zu verlieren, was in dieser schweren Zeit hilfreich für sie war, und was nicht. Die Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen macht sie bis heute noch wütend.

ZackZack: Katy, diesen Samstag findet der Seelenlauf statt – Du organisierst ihn jedes Jahr. Heuer sind es 28 Kilometer, weil Deine Schwester am 20. Juni 28 geworden wäre. Du möchtest damit Aufmerksamkeit herstellen – es geht dabei um Trauer. Warum mit Laufen?

Katy Biber: Bewegung und Sport war das Mittel, warum ich heute überhaupt noch lebe. Sport hat mein Leben gerettet und mir geholfen, mit meiner Trauer umzugehen. Ich darf so sein, wie ich mich gerade fühle – Sport war für mich ein Ventil für meine Gefühle.

Meine Schwester war gern joggen, die war fast jeden Tag nach der Arbeit joggen, und sie wollte mich immer mitnehmen. Ich hab immer nein gesagt. Das tut mir heut noch weh. Auch heute muss ich beim Laufen immer wieder dazwischen weinen.

Bei Trauer ist es ähnlich, wie beim Sport: mal geht es schwerer, dann wird es wieder leichter.

ZackZack: Unsere Gesellschaft bietet keinen Platz für Trauer. Mit Deiner Arbeit versuchst Du auch, diesem Gefühl in der Gesellschaft mehr Raum zu geben.

Katy Biber: Es geht mir darum, wie wir die Trauernden in unserer Gesellschaft behandeln. Dafür braucht es Verständnis, es gibt wirklich Menschen, die glauben, dass nach drei Monaten wieder alles gut ist. Trauern braucht Zeit. Und Raum: Wenn mir einmal im Büro eine Träne runterläuft, muss das in Ordnung sein. Wenn ich lächle, sagt ja auch niemand, was ist denn los.

Wir wissen nicht, wie wir mit einem Trauernden und mit Trauer generell umgehen. Das Sterben hat früher auf der Straße oder zu Hause stattgefunden, heute ist es isoliert, dadurch fehlt der Umgang damit: Es muss schnell wieder zu Ende sein, wir müssen schnell wieder funktionieren und unsere Leistung erbringen. Aber der Trauerprozess läuft einfach nicht so ab. Und es ist fatal, was ich in meiner Trauerzeit an verletzenden Aussagen erlebt habe.

Katrin Biber (34) ist Trainerin, Buch- und Blogautorin. Sie veranstaltet jährlich den Seelenlauf am 20. Juni, am Geburtstag ihrer ermordeten Schwester. In ihrem Buch „Larissas Vermächtnis – der schreckliche Mord an meiner Schwester und mein Weg zurück ins Leben“ – gibt sie Einblicke in ihre tiefsten Abgründe, und wie sie zurück zur Lebensfreude gefunden hat. Sport und Bewegung haben ihr Leben dabei grundlegend beeinflusst. Mit ihrem Konzept „Seelensport“ möchte sie ihre Erfahrungen weitergeben und unterstützt Menschen in deren eigenen Trauerprozessen.

ZackZack: Wenn eine geliebte Person stirbt, stirbt auch ein Teil von Dir. Das beschreibst Du auch in Deinem Buch. Und Du hast am eigenen Körper heftige gesundheitliche Folgen zu spüren bekommen.

Katy Biber: Es stirbt ein Teil von jemandem, der einen großen Raum in Deinem Leben eingenommen hat. Aber es stirbt auch ein Teil von Dir selbst. Zuerst habe ich meine Haare verloren. Ich konnte mir zusehen dabei, wie ein Teil von mir gestorben ist. Ich konnte nichts mehr essen, meine Menstruation ist ausgeblieben, ich hatte monatelang starke Schmerzen in der Brust und konnte kaum atmen, ich habe bis heute noch Probleme mit meinem Kiefer, das sich durch Panikattacken verschoben hat. Wenn über Jahre hinweg so viel Verspannung in Deinem Körper ist und Du so viele Panikattacken hast, dann dauert das halt auch Jahre, bis Du da wieder raus bist.

ZackZack: Bewegung hat Dir dabei geholfen, zurück ins Leben zu finden.

Katy Biber: Das alles hat sich erst gebessert, als ich begonnen habe, mich zu bewegen, mich zu strecken. Meine Schwester Larissa wollte immer, dass ich nach meiner Knie-OP wieder fit werde. Ich habe begonnen, zu trainieren. Alle meine Gefühle sind durch die körperliche Bewegung plötzlich ausgebrochen. Trauer, Wut, ich musste schreien, weinen, und befreit lachen am Ende, und ich sagte: Hej Larissa, das ist ja wirklich nicht so übel! Ich bin seither dabeigeblieben und unterstütze auch andere damit in ihrem Trauerprozess.

ZackZack: In Deinem Buch sprichst Du auch die Rolle der Medien in Fällen von Gewalt gegen Frauen an.

Katy Biber: Das war richtig schlimm. Man muss sich vorstellen, bei einem Mord passiert ja die Tat einmal, dann wird sie aufgeklärt. Bei uns wurde ja erst einmal zwei Wochen lang gesucht. Dann wurde der Körper gefunden, dann findet ein langer Prozess der Beweisführung statt, wo Details ans Licht gelangen, wie es abgelaufen ist.

Ich habe der Kriminalpolizei gesagt, ich möchte noch nicht alle Details wissen. Ich wusste, meine Schwester war erwürgt und im Inn entsorgt worden. Mehr konnte ich zu dem Zeitpunkt nicht verkraften. Die Medien haben aber alle Details veröffentlicht – von Bodylotion in den Hals, bis hin zu Socke nachstopfen, alles wurde abgedruckt. Ich habe bewusst keine Nachrichten gelesen, aber ich habe das trotzdem alles mitbekommen, über die Sozialen Medien oder Begegnungen mit Bekannten auf der Straße, die mit allem einfach rausplatzten.

Es hat nie aufgehört. Ich frage mich: muss jedes Detail jede Woche neu berichtet werden? Es heißt ja immer, man sollte auf die Angehörigen auch Rücksicht nehmen. Das ist aber nicht passiert. Es war richtig schlimm.

ZackZack: Selbst bei der Beerdigung Deiner Schwester hat sich ein Fotograf hinter einem Grabstein versteckt für ein Sensationsfoto von Dir, das dann groß rauskam in den Medien.

Katy Biber: Das war so schlimm – und es hilft niemandem.

Ein Interview mit meiner Mama erschien, das sie nie gegeben hatte: Alles Wortfetzen, die jemand von Facebook oder Infos von Leuten zusammengesammelt hatte. Das war unfassbar. Und dann hieß es, ich kann das ja anzeigen. Du hast aber einfach keine Kraft für so etwas.

Ständig, immer wieder, sind Falschinformationen gekommen – nur drei Schwestern, Name falsch, Alter falsch, Wohnorte falsch,… Das ist durch die Bank passiert, fast in jedem Artikel. Ich sag’ nichts, wenn mal ein Druckfehler passiert, aber da ist einfach ganz, ganz schlechte Recherche passiert. Das ist für Betroffene wirklich unangenehm.

ZackZack: In einem Deiner Videos sprichst Du selbst von einer Eifersuchtstat. Viele Frauen setzen sich dafür ein, diesen Begriff nicht zu verwenden, weil er verharmlosend wirkt. Siehst Du das anders?

Katy Biber: Das ist ein älteres Video – damals habe ich mich überhaupt nicht mit solchen Themen auseinandergesetzt. Ich habe die gängigen Begriffe übernommen und weiterkommuniziert: Beziehungstat, usw. – aber mit einem seltsamen Gefühl. Im ersten Jahr war mir das noch alles egal, da war nur Schmerz da. Ist doch scheißegal, wie man es benennt, sie ist tot. Dann erst wurde mir langsam klar: da stimmt etwas nicht, durch „Beziehungstat“ oder „Eifersuchtstat“ hätte ja meine Schwester auch eine Mitschuld. Die Leute fragen dann, was hat sie denn gemacht, dass er so reagiert hat? Bis ich zu dem Punkt gelangt bin: Es war Mord.

Die Begriffe „Tragödie“ oder „Drama“ habe ich als Historikerin sogar schlimmer gefunden als Eifersuchtstat. Es klingt so, als wäre es nicht echt, als wäre es ein Film. In der Literaturgeschichte behandelt man die Tragödien von Shakespeare usw. – und dann liest man das in der Zeitung bei einem Mord.

ZackZack: Ein anderes wichtiges Thema, auf das Du mit dem Seelenlauf aufmerksam machen möchtest, ist Gewalt gegen Frauen. Was ist Dir dabei ein besonderes Anliegen?

Katy Biber: Man muss endlich strukturell hinschauen. Gewalt beginnt im Kleinen, bei Worten, bereits im Kindesalter. Buben dürfen nicht weinen, sie reagieren mit Wut, die dann zu Aggression wird. Wir müssen unseren Kindern beibringen, wie sie mit Gefühlen umgehen. Wir müssen auf allen Ebenen aktiv werden gegen Gewalt.

Opfer müssen geschützt werden. Und dann müssen wir schauen: Wie können wir Täter verhindern? Wie können wir Täter zu Nicht-Tätern machen? Dort, wo Gewalt beginnt, muss man ansetzen: Da ist immer irgendwas Psychisches dahinter, das ist immer jemand Kranker. Da muss man hinschauen, in Behandlung gehen und den Betroffenen aktiv Hilfe anbieten.

Es bringt nichts, wenn man nur Betretungsverbote ausspricht. Viele Männer übertreten sie einfach. Viele davon haben ja auch hohe Positionen: Professoren, Politiker. Denen passiert dann nichts.

 Da gehört sofort eine verpflichtende Form von Therapie angesetzt. Es ist dringend notwendig, Täter zur Verantwortung zu ziehen, mit ihnen zu sprechen und dagegen vorzugehen.

ZackZack: Auch hier appellierst Du in Deinen Beiträgen immer wieder an die Rolle der Medien.

Katy Biber: Ich merke, dass die Leute nicht wissen, wohin sie sich wenden können. Viele wissen auch nicht, wo Gewalt anfängt. Gerade wenn man in einer Gewaltbeziehung ist, denkt man oft, man ist selbst schuld. Das wird oft so vermittelt, leider auch in den Medien. Dann greift man nicht so schnell zum Hörer. Je öfter man aber darüber berichtet, desto normaler wird es. Jeder weiß doch auch, wenn ich Reifen wechseln muss, dann geh’ ich zum Mechaniker. Wenn ich krank bin, zum Arzt. Wenn mir Gewalt passiert, gibt es Beratungsstellen, von denen keiner weiß. Wem tut es denn weh, wenn man in der Werbung statt Milchschnitte mal ein Hilfsangebot bringt? So etwas steht in unserer Verantwortung und wenn wir die Medien schon haben, sollten wir sie dazu nutzen.

ZackZack: Auf Deiner Webseite schreibst Du, „Täter sind Opfer ihrer Gefühlswelt und ihrer Psyche“. Kannst Du so auch den Mörder Deiner Schwester sehen?

Katy Biber: Auch der Mörder meiner Schwester ist ein Mensch, bei dem ganz viel Leid dahinter steckt. An manchen Tagen versuche ich es so zu sehen, an anderen wieder kann ich es nur schwer. Für meine Mutter war der Mann da vorne im Verhandlungssaal wie ein junger Bua, der genauso eine Mama hat, die jetzt ein Kind verloren hat. Damals war ich wütend, jetzt kann ich es verstehen. Jeder Mensch ist ein Mensch, und hinter grausamen Taten steht sehr viel persönliches Leid. Seine Mama hat genauso ihr Leben verloren, und ihr Kind.

ZackZack: Danke für das Gespräch!

Das Interview führte Larissa Breitenegger

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Titelbild: APA Picturedesk

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