Dienstag, April 23, 2024

Mythos Vorzeigeland bröckelt – Israel vor zweiter Welle

Israel vor zweiter Welle

Israel inszeniert sich als Corona-Vorzeigeland. Im Mai wurden die Maßnahmen abrupt gelockert, Netanjahu rief sogar dazu auf, „einen draufzumachen“. Kommt jetzt die Quittung für den Schlingenkurs aus Angstmache und zu schnellen Lockerungen?

Wien, 22. Juni 2020 | Ein Anruf von Benjamin Netanjahu habe Sebastian Kurz die Augen geöffnet: „Ihr unterschätzt das“, habe der israelische Ministerpräsident dem österreichischen Bundeskanzler gesagt. Seitdem inszenieren sich beide als Corona-Vorzeigeländer. Erst harte Maßnahmen, flankiert von noch härterer Rhetorik; danach Lockerungen angesichts der Wirtschaftskrise und des ausbleibenden Konsums.

Armee-Geheimdienst warnt

Doch jetzt könnte es die Quittung für das Auf und Ab der Maßnahmen geben. In einem am Samstag veröffentlichen Bericht des israelischen Armee-Geheimdienstes war eindringlich vor einer zweiten Corona-Welle gewarnt worden. Ohne rasche Eindämmungsmaßnahmen müsse das Land damit rechnen, dass die Zahl der Neuinfektionen binnen eines Monats auf mehr als 1.000 am Tag steigen werde. Dann seien auch Hunderte Tote zu befürchten.

Die Professorin Sigal Sadetzki, eine ranghohe Repräsentantin im Gesundheitsministerium, sagte dem Armeesender am Sonntag:

“Wir beobachten einen besorgniserregenden und fortwährenden Anstieg der Infektionen.”

Man wolle keine Angst schüren, aber der Öffentlichkeit die Wahrheit sagen.

“Die Möglichkeiten des Gesundheitssystems sind begrenzt.”

Anfänglicher Angstkurs erschwert zweiten Lockdown

Israel hatte zu Beginn der Corona-Welle sehr schnell mit rigorosen Maßnahmen reagiert, die Pandemie verlief in dem kleinen Mittelmeerland zunächst relativ glimpflich. Allerdings geriet das Land in Kritik, als bekannt wurde, dass der Inlandsgeheimdienst Schin Bet kurzzeitig zur Überwachung der Lockdown-Maßnahmen bis in die Privatwohnungen der israelischen Bevölkerung vorgedrungen war.

Wie die Kurz-Regierung hatte auch Netanjahus Rechtsregierung vor „Tausenden Toten“ gewarnt – bisher sind es etwas mehr als 300. Dem „Standard“ sagte Bruria Adani, Professorin für Disaster Management an der Tel Aviv University:

“Die Menschen sehen, es war alles nicht so schlimm wie befürchtet.“

Im Mai begannen abrupte Lockerungen, zum Beispiel die Öffnung der Schulen und Strände. Letztere waren schnell überfüllt, Netanjahu rief sogar dazu auf, „einen draufzumachen“. Seit Ende Mai ist die Zahl der Neuinfektionen wieder stetig angestiegen.

Zweite Welle rhetorisch „vorbereitet“

Brisant ist, dass Israel vor den Lockerungen und dem „Draufmach“-Aufruf Netanjahus immer wieder selbst die Zweite Welle-Rhetorik bedient hatte:

Die Israelis müssten nun wieder ihr Verhalten ändern, warnt der rechtskonservative Ministerpräsident. “Alle Vorhersagen über die Verbreitung sind düster.” In der Zwischenzeit wurden 177 Schulen wieder geschlossen, laut israelischen Medienberichten soll Netanjahu sogar abermals prüfen, den Inlandsgeheimdienst Schin Bet für die Überwachung zu mobilisieren.

Kurz, der Netanjahu immer wieder als Vorbild nennt, dürfte jedenfalls die Geschehnisse in Israel genau beobachten, zumal gerade im ÖVP-regierten Niederösterreich die Zahlen wieder steigen. Seinen Medienbeauftragten Gerald Fleischmann interessiert jedoch, genau wie Karl Nehammer im Zuge seiner Anti-Wien- und Fake-News-Kampagne, nur die Hauptstadt:

Wie die Coronapolitik in Österreich weitergehen wird, ist auch angesichts der Wien-Wahl im Oktober eine spannende Frage. Erst kürzlich überraschte Kanzler Kurz mit einer skurrilen Facebook-Botschaft, wonach Österreich die „gesundheitlichen Folgen der Krise überstanden“ habe. Ob das für Wien und Niederösterreich gilt, ist wohl mehr denn je auch eine politische Frage.

(wb/apa)

Titelbild: APA Picturedesk

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