Dienstag, Oktober 8, 2024

Rendi-Wagner mal kurz zuhören – es zahlt sich aus! Leitartikel

Leitartikel

Gut, das „Kraftpaket“ der SPÖ hat einen dämlichen Namen. Aber was drin steckt im roten Konjunkturpaket, kann sich sehen lassen. Wenn irgendwer bereit wäre, Pamela Rendi-Wagner kurz einmal zuzuhören, könnte man das sogar bemerken.

Thomas Walach

Wien, 07. Juli 2020 | Geht es nach der SPÖ, erleben wir gerade „das Ende des neoliberalen Zeitalters in Österreich“. Die Botschaft hör‘ ich wohl… Immerhin, könnte Parteichefin Pamela Rendi-Wagner ihr Paket so durchsetzen, wie es am Papier steht, wäre das ein großer Schritt in die richtige Richtung. Die Bewertung des Pakets in vier Wörtern: Inhalt top, Verpackung flop.

Eh klar

Es gibt im „Kraftpaket“ logische Vorschläge in Sachen Steuergerechtigkeit und Vermögensverteilung. Die Coronakrise wird uns ein Vermögen kosten. Es kommt nicht in Frage, das über Massensteuern zu bezahlen. In einem Land, das bei Vermögenssteuern so weit hinterherhinkt, ist es Zeit, dass die wirklich Reichen einen fairen Beitrag leisten. Manches, wie das Verbot von Dividendenausschüttungen und Managerboni für Unternehmen, die Staatshilfen bekommen, versteht sich von selbst – dass wir darüber überhaupt noch diskutieren müssen, ist allein dem speziellen Verhältnis der ÖVP zu ihren Förderern geschuldet.

Auch klar: Unternehmen, die über Umgehungskonstruktionen legal Steuern am Fiskus vorbeischleusen, bekommen keine Staatshilfen. Sorry, aber Solidarität geht in zwei Richtungen. Anderes, wie eine Finanztransaktionssteuer und eine wirkungsvolle Digitalsteuer lässt sich nicht im kleinen Österreich alleine umsetzen, wird aber gebraucht. Alles sinnvoll, alles alte Hüte.

Sprich mir nach: Ver-staat-lich-ung

Wirklich spannend wird die Sache beim vorgeschlagenen Beteiligungsfonds des Bundes. Die Leute von der Agenda Austria schlagen bei dem Begriff wahrscheinlich drei Kreuzzeichen. Das klingt ja nach Verstaatlichung! Ist es auch, aber auf smarte Weise. Die Wiener SPÖ hat es mit ihrem Rekommunalisierungsprogramm vorgemacht. Die Stadt beteiligt sich – ohne Mehrheit oder Sperrminorität – zeitlich begrenzt an KMU, die das wollen, um ihnen über die Krise zu helfen.

„Aber der Staat ist ein schlechter Unternehmer!“ Ach ja? Wenn es die Privaten so gut machen, wieso müssen sie dann immer vom Staat gerettet werden? Die völlig verkorkste AUA-Rettung zeigt: Nie wieder dürfen wir uns einreden lassen, einem Konzern Steuergeld zu geben, ohne etwas dafür zu bekommen. Welchem Aktionär der Welt würde es einfallen, einem Unternehmen Geld zu geben, ohne Anteile und Sitz und Stimme in der Aktionärsversammlung zu bekommen? Nur der Staat soll „Hände falten, Goschen halten“.

Was den Arbeitnehmern zusteht

Ein echter Augenöffner ist auch die Viertagewoche. Seit über einer Generation haben die Arbeitnehmer von der Produktivitätssteigerung nichts. Reallohnsteigerungen weit unter dem Zuwachs an Produktivität hießen und heißen: Dass Plus bleibt bei den Kapitalisten. Die Kapitalquote, der Anteil der Kapitaleinkommen am Bruttonationalprodukt, hat das Niveau des 19. Jahrhunderts erreicht. Es ist klar, dass es so nicht weitergehen kann.

Die Automatisierung brachte neben Ängsten auch die Utopie von der Befreiung von der Arbeit. Eingelöst wurde sie nie. Stattdessen wurden wir immer produktiver und hatten immer weniger davon. Tatsache ist: Eine Arbeitszeitverkürzung ist längst überfällig. Ein Arbeitnehmer leistet 2020 in vier Tagen deutlich mehr als er es in den 1980ern in fünf gekonnt hätte. Die letzte Arbeitszeitverkürzung gab es unter Kreisky. Wer erinnert sich?

Lang, lang ist’s her…

Die Kapitalisten konnten sich entscheiden: Mehr Geld oder weniger Arbeit im Tausch für den immer größeren Mehrwert, den sie abschöpfen konnten. Sie beschlossen, alles für sich zu behalten. Jetzt hat ihnen die Coronakrise die Entscheidung abgenommen.

Vier Tage Arbeit

Die Rekordarbeitslosigkeit durch die Coronakrise lässt nur zwei Auswege: Erstens – so machen es die spanischen Sozialisten: Den erwirtschafteten Mehrwert über Steuern in ein Bedingungsloses Grundeinkommen überwälzen. Das will die SPÖ nicht, okay. Zweitens: Die Arbeitszeit muss runter, damit möglichst viele eine Arbeit bekommen, von der sie leben können. So steht’s im „Kraftpaket“; finanziert je zu einem Drittel vom Staat, vom Unternehmer und vom Arbeitnehmer. Reallohnverlust: 6,6 Prozent. Freizeitgewinn: 20 Prozent.

Diese Vorschläge sind für jedermann, der nicht gerade Lobbyist der Industriellenvereinigung ist, so naheliegend, dass sie höchstens noch im Detail diskutiert werden sollten. Was an logischen Instrumenten fehlt, ist eine Wertschöpfungsabgabe, vulgo Maschinensteuer. Daran hat sich schon Christian Kern im „Plan A“ die Finger verbrannt. Vielleicht traut sich die SPÖ deshalb jetzt nicht drüber.

Gefangen zwischen Nietzsche und dem „Dude“

So zwingend dieses Paket auch ist, so schlecht wurde es verkauft. Pamela Rendi-Wagner nannte es ein „Kraftpaket gegen den politischen Nihilismus“. Bitte was? Wen soll das ansprechen? Nietzscheaner oder Fans der Cohen-Brüder? Wen es ganz sicher nicht anspricht: Jene Wähler, die der SPÖ in den letzten Jahrzehnten den Rücken gekehrt und aus ihr eine 20-Prozent-Partei gemacht haben. Der Satz stand Stunden später natürlich in allen Zeitungen.

Dabei kommt die Parteivorsitzende doch tatsächlich aus dem Gemeindebau! Merke: Sozialer Aufstieg durch Bildung muss nicht gleich bedeuten, dass man verlernt, mit den Leuten zu reden, für die man etwas tun und von denen man gewählt werden will. Und falls es die Vorsitzende verlernt hat: Warum heben nicht Lisi M. oder Nedeljko B. an dieser Stelle die Hand und stellen drei Fragen?

  1. Bitte, was soll denn das bedeuten? (Der Slogan stimmt nämlich nicht, es gibt keine politische Gruppierung, die genauer weiß, wohin sie mit uns will, als Sebastian Kurz‘ türkise Buberlpartie.)
  2. Welchem übergeordneten strategischen Kommunikationsziel dient dieser Satz? (Keinem erkennbaren.)
  3. Und falls wir den Slogan unbedingt haben wollen, können wir ihn so formulieren, dass man ihn auch versteht, wenn man den Zarathustra nicht am Nachtkasterl liegen hat? (Leser haben Vorschläge eingereicht: „Kraftpaket gegen die Kurz-sichtigkeit“ fand ich ganz charmant.)

Zu links? Zu schrill? Zu weiblich? Oder nur: Nicht Kurz?

Handicap: Nicht Kurz

Pamela Rendi-Wagner hat es allerdings auch wirklich nicht leicht: In Interviews musste sie sich gleichzeitig dafür rechtfertigen, dass die SPÖ nun linke Politik mache, wie auch dafür, dass sie es zuvor nicht getan habe. Anstatt Fragen zum Paket zu beantworten, musste Rendi-Wagner ihre Position zum Eurofighter erklären (sie hatte keine). Und jetzt einmal ganz ehrlich: Die Frage, ob man nun kalkuliert „schriller“ auftrete, muss man sich als männlicher Parteivorsitzender wohl selten gefallen lassen. Man würde sich wünschen, Kanzler Kurz sähe sich in einem Interview einmal mit so viel vorauseilender Kritik konfrontiert.

Nicht, dass man als Oppositionsführer (Geschlecht wurscht) irgendein Anrecht auf besonders pflegliche Behandlung hätte. Politik besteht eben nicht nur aus Inhalten, sondern auch aus deren Durchsetzung. Wie sonst kann die ÖVP so weit in Führung liegen, obwohl sie seit 2017 den inhaltlichen Leerlauf eingelegt hat? Wer seine Ideen nicht verkaufen kann, braucht sich nicht wundern, wenn sie Ladenhüter werden. Aber als Bürger hat man auch eine Holschuld. Und wer die einlöst und Pamela Rendi-Wagner kurz mal zuhört, wird feststellen: Es zahlt sich aus.

Titelbild: APA Picturedesk

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