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23 Jahre zu spät: Deutsche Grüne wollen Junkfood bremsen

23 Jahre zu spät

Letzte Woche Boris Johnson, jetzt die deutschen Grünen: Werbung für Junkfood und ungesunde Ernährung soll der Kampf angesagt werden. 23 Jahre, nachdem die WHO Fettsucht zur weltweiten Seuche erklärt hat: Fast jeder dritte Weltbürger ist zu dick.

Wien, 06. August 2020 | Bereits 1997 erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Fettsucht zur weltweiten Pandemie. Passiert ist seither wenig, denn die Zahl Fettleibiger steigt konstant. Die Corona-Pandemie scheint nun Aufmerksamkeit auf lange bekannte Gesundheitsprobleme zu lenken. Zackzack hat bereits über die gefährliche Wechselwirkung in der Pandemie berichtet: Fettsüchtige Personen gelten als besonders gefährdete Corona-Risikogruppe, der coronabedingte Shutdown hat zu mehr Kilos auf der Waage geführt. Zerst Großbritannien und jetzt auch die deutschen Grünen wagen einen Vorstoß und wollen dem Junkfood den Kampf ansagen.

Deutsche Grüne sehen „dringenden Handlungsbedarf“

Laut den Grünen in Deutschland gebe es „dringenden Handlungsbedarf“, sagte deren Gesundheitssprecherin Kirsten Kappert-Gonther. Werbung für stark zuckerhaltige Produkte und ungesunde Lebensmittel müsse auch in Deutschland reguliert werden. Gerade Kinder und Jugendliche müssten besser vor Produk­ten geschützt werden, die nicht den Kriterien der WHO für aus­gewogene Ernährung entsprächen.

Erst im Juli hatten sich CDU und CSU im Rahmen des Beschlusses einer nationalen Diabetesstrategie kategorisch gegen Werbeverbote und andere verpflichtende Vorgaben für die Industrie ausgesprochen. Ein mögliches schwarz-grünes Bündnis, das für die Bundestagswahl in 2021 als wahrscheinlich gilt, könnte daher spannend werden.

Boris Johnson: Vorbild für deutsche Grüne

Großbritanniens Premierminister Boris Johnson verschrieb den Briten kollektives Abnehmen im Zuge der Gesundheitskrise und will Werbung für ungesunde Lebensmittel nur noch nach 21 Uhr erlauben. Die deutschen Grünen nehmen sich den Briten-Trump nun zum Vorbild und fordern vergleichbare Maßnahmen auch in Deutschland.

Vergangene Woche hatten der britische Premier und sein Gesundheitsminister Matt Hancock die neue Gesundheitsstrategie vorgestellt. Unter anderem soll im Fernsehen nur noch ab 21 Uhr Werbung für ungesunde Lebensmittel laufen dürfen. In den Ausbau des Fahrradwege-Netzes wird investiert, Gutscheine für Fahrrad-Services an die Briten werden verteilt. Doch das ist nicht alles: Wein und Bier sollen mit Kaloriengehalt gekennzeichnet werden, Supermärkte sollen keine Rabatte auf ungesunde Lebensmittel mehr geben dürfen. Beschlossene Sache ist auch die Abschaffung der sogenannten Quengelware, also Süßes und Ungesundes im Kassenbereich. Neben Radfahren soll Bewegung generell gefördert werden, Boris Johnson versucht dabei selbst als gutes Beispiel voranzugehen.

23 Jahre, nachdem WHO Fettsucht zur weltweiten Seuche erklärte

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärte bereits vor 23 Jahren, im Jahr 1997, Adipositas zur globalen Pandemie: Fettleibigkeit ist seitdem eine “Seuche”, die es zu bekämpfen gilt. Laut WHO sterben weltweit jährlich mindestens 2,8 Millionen Menschen an den Folgen von Übergewicht und Fettsucht. Fast jeder dritte Mensch auf der Erde ist zu dick, ergab eine Studie des Institute for Health Metrics and Evaluation aus Seattle, USA.

Starkes Übergewicht ist nicht nur ein Risikofaktor für chronische Krankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Arthrose oder Krebs: Es belastet insbesondere auch Gesundheitsausgaben und damit den Steuerzahler. Für die Behandlung adipositas-naher Krankheiten können rasch mehr als 100.000 Euro pro Person anfallen.

Die weltweite Fettsucht-Pandemie breitet sich rasant aus: Allein zwischen 1980 und 2015 hat sich der Prozentsatz Fettleibiger in mehr als 70 Ländern verdoppelt. Dies ergab eine Untersuchung des Körpergewichts von Bewohnern aus 195 Ländern der Erde.

Experten fordern seit Jahren Maßnahmen

Die WHO, Verbraucherschützer, Gesundheitsökonomen, Ernährungswissenschaftler und Ärzte appellieren seit Jahren an Staat und Gesellschaft, dem entgegenzusteuern. Sie fordern höhere Besteuerung von zucker- und kalorienreichen Getränken und Lebensmitteln, höhere Gesundheitsstandards für Schulkantinen, genauere Kennzeichnung von Lebensmittelinhalten sowie Auflagen gegen Werbung für ungesunde Lebensmittel.

Gehör finden sie dabei offenbar wenig: die WHO beklagt regelmäßig, dass es noch keinem Land der Welt gelungen sei, den Trend zu Übergewicht und Adipositas umzukehren.

Chile ist bekannt für die weltweit strengsten Auflagen im Lebensmittelkennzeichnungsgesetz: Produkte mit zu viel Zucker, gesättigten Fettsäuren, Kalorien oder Salz müssen auf der Vorderseite deutlich gekennzeichnet werden. Mexiko, Ungarn und mehrere US-Bundesstaaten haben seit einigen Jahren zuckerhaltige Softdrinks mit zusätzlichen Abgaben belegt. Großbritannien führte 2018 eine Steuer für Getränke ein, die mehr als fünf Gramm Zucker je 100 Milliliter enthalten.

Auch in Österreich: Kampf gegen Fettsucht dürftig

In Österreich sollen im Zuge der „10 Gesundheitsziele Österreich“, deren Erarbeitung in Obhut des Sozialministeriums sind, bis Ende 2020 auch Maßnahmen folgen, die „gesunde Ernährung für alle zugänglich machen“. Diese sollen auch die Herstellung, Verarbeitung und Vermarktung von Lebensmitteln „unter gesundheitlichen, ökologischen und sozialen Gesichtspunkten“ betreffen.

Vom steigenden Anteil Übergewichtiger in der Bevölkerung und dringend notwendigen Gegenmaßnahmen ist vonseiten der Politik immer noch wenig zu hören. Dies wurde zuletzt deutlich, als entgegen zahlreicher Expertenstimmen Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) den Turnunterricht an Schulen untersagt hatte, später schließlich die Entscheidung den Schulen übertrug.

(lb)

Titelbild: APA Picturedesk

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