Freitag, April 19, 2024

Coronatoter heißt “an” und “mit” Corona gestorben: Zählweise umgestellt

Zählweise umgestellt

Das Ministerium stellt die Zählweise bei Coronavirus-Todesfällen um: Als Corona-Tote zählen jetzt offiziell alle, die “an” Covid-19 gestorben sind, aber auch alle, die bis zu 28 Tage vor Tod ein Covid-19 positives Testergebnis hatten. Die Daten sollen so weltweit vergleichbar sein. Zackzack hat recherchiert: von einer einheitlichen Zählweise ist auch innerhalb Europas keine Spur.

Wien, 07. August 2020 | Franz Allerberger, Abteilungsleiter der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) teilte im Ö1-Morgenjournal am Mittwoch mit, dass die AGES ab sofort darauf bestehe, dass jeder, der im Monat vor dem Tod einen positiven PCR-Test hatte, als Corona-Toter gezählt wird.

Grund der veränderten Zählweise, so Allerberger, sei die Definition der Europäischen Seuchenbehörde. Diese schreibe vor, dass jeder, der binnen 28 Tagen nach positivem Befund verstorben ist, in die Statistik aufgenommen werden müsse. Das gilt auch für diejenigen, die ohnehin auch ohne Covid-19 verstorben wären.

Zackzack hat nachgefragt: die Definition der Europäischen Seuchenbehörde (ECDC) ist nur eine Empfehlung, dementsprechend wird selbst innerhalb Europas immer noch auf unterschiedliche Art und Weise gezählt. Brisant: Die ECDC stellte gegenüber zackzack klar, dass keine Frist von 28 Tagen in ihrer Empfehlung vorgeschrieben werde:

“We have not mentioned the 28 day cut off; however, the vast majority of deaths occur within 28 days of diagnosis.”

Die “Mitgliedstaaten wenden die Falldefinitionen und Leitlinien an, wenn sie Überwachungsdaten an das ECDC melden” – dabei würde die ECDC die WHO-Definition zur Erfassung der Covid-19 Sterblichkeit anwenden.

AGES-Mediziner: „Wir rechnen sie trotzdem“

Allerberger hält es für sinnvoll, dass nicht zwischen „an“ und „mit“ Corona Verstorbenen unterschieden werde:

„Das schlimmste ist, wenn im Raum steht, dass irgendwo ein Todesfall unter den Tisch gekehrt wurde.“

Zur Kehrseite – wenn zum Beispiel 16 Personen in einem Altersheim sterben, nicht alle aber an Covid-19 – zieht der Infektionsmediziner eine klare Grenze:

„Ja, es kann durchaus sein, dass die 16 sowieso gestorben wären. Wir rechnen sie trotzdem als Covid-Todesfälle.“

Neue Zählweise: Daten sollen „weltweit vergleichbar“ sein

Susanne Dertinger, Oberärztin und stellvertretendeAbteilungsleiterin am Landeskrankenhaus Feldkirch, sieht in der neuen Zählweise vordergründig eine Basis, auf der Vergleiche angestellt werden können. Die neue Zählweise hält sie daher für sinnvoll:

„Man muss gewisse Rahmenbedingungen schaffen, damit etwas vergleichbar wird.“ 

Im Gespräch mit zackzack spricht Dertinger auch die Schwierigkeit an, Verstorbene direkt dem neuen Coronavirus zuzuordnen, wenn auch andere Erkrankungen vorliegen. Als Pathologin ist das ihr täglich Brot:

„Meist ältere Patienten haben viele Erkrankungen, die sich auch potenzieren, vergleichbar mit zehn Zehnerln. Welches davon ist das Wichtigste für den einen Euro? Das kann niemand so genau beurteilen. Wenn Covid-19 nicht gewesen wäre, hätte die Person vielleicht zwei, drei Wochen länger gelebt. Oder Monate. In diesem Zusammenhang kann es unmöglich sein, zu entscheiden, ob jemand an den Folgen eines Herzinfarktes oder an durch Covid-19 hervorgerufene Organveränderungen gestorben ist.“

Auch der Salzburger Corona-Mediziner Richard Greil verweist auf die Möglichkeit des Datenvergleichs und betonte im Ö1-Interview am Mittwoch, dass die Definition der europäischen Seuchenbehörde „immer noch eine sehr strenge im Vergleich mit jener der WHO bzw. des Center for Disease Control (CDC)“, der amerikanischen Gesundheitsbehörde, sei. Diese würden vorschreiben, nicht nur bestätigte, sondern auch „wahrscheinliche Fälle“, in denen es keinen positiven Test gab, in die Statistik aufzunehmen.

Weltweit scheinen die Zahlen durch die unterschiedlichen Vorgaben also erst recht nicht vergleichbar. Außerdem gilt es dabei auch andere Faktoren zu berücksichtigen – wie zum Beispiel die Testdichte, wie Karl Forstner, Präsident der Ärztekammer Salzburg und Leiter des Ärztekammer-Referats für Medizinethik und Gesundheitsberufe, im Gespräch mit zackzack anmerkt: Er sieht aus medizinethischer Sicht keine Bedenken hinsichtlich der neuen Zählweise, präzisiert aber, dass die Testandichte ein Faktor in der Zählweise ist, den es für einen Vergleich mit anderen Zählungen zu berücksichtigen gilt.

Deutschland: selbst Unfalltote mit positivem Test sind Corona-Tote

In Deutschland gilt die Zählweise, wie sie die AGES nun auch in Österreich einführt, bereits seit Beginn der Pandemie. Gezählt werden laut Robert-Koch-Institut (RKI) alle, “bei denen ein laborbestätigter Nachweis von SARS-CoV-2 (direkter Erregernachweis) vorliegt und die in Bezug auf diese Infektion verstorben sind“

Dabei gelten „als Todesopfer im Zusammenhang mit dem Coronavirus alle, die zum Zeitpunkt des Todes die Diagnose Covid-19 hatten“

Ein Zeitlimit von 28 Tagen, wie es in Österreich existiert, gibt es in Deutschland nicht. Das RKI erteilte zackzack folgende Auskunft:

„In Deutschland existiert kein solches Zeitlimit. Die Gesundheitsämter bewerten jeden Fall individuell anhand der vorliegenden Informationen und legen fest, ob der nach einer SARS-CoV-2-Infektion aufgetretene Tod als Tod in Bezug auf die Infektion zu werten ist oder nicht.“

Im Unterschied zur deutschen Zählweise werden in Österreich laut Auskunft der AGES keine Personen, die durch Suizid oder einen tödlichen Unfall ums Leben gekommen sind, in die Corona-Mortalitätsstatistik aufgenommen.

„Im Epidemiologischen Meldesystem werden jene Fälle als Todesfälle gezählt, die innerhalb von 28 Tagen als verstorben gemeldet werden. NICHT gezählt werden Personen, die nachweislich durch Suizid oder einen tödlichen Unfall ums Leben gekommen sind. 

In Großbritannien musste die Zählweise zuletzt korrigiert werden, nachdem Kritik laut wurde: Hier wurden alle Menschen, die starben, und jemals einen positiven Covid-19 Test hatten, als Coronatote gezählt.   

Bisherige Fälle sollen nachgemeldet werden

Seit Mai sind die Corona-Todesfälle rückläufig: Waren es noch 56 im Mai, 35 im Juni, verstarben im Juli nur noch 10 Personen. Die Sterblichkeit, so Allerberger, sei auch wesentlich geringer als ursprünglich angenommen und liege bei 0,25 Prozent.
Die Zahlen von Corona-Toten sollen nun entsprechend der neuen Zählweise korrigiert werden. Aus den Monaten April, Mai und Juni sollen bisher insgesamt neun Fälle nachgemeldet worden sein. Ob noch weitere Nachmeldungen zu erwarten sind und in welchem Ausmaß, ist derzeit unklar.

(lb)

Update 07. August 2020, 14:15 Uhr: Der Artikel wurde um die Stellungnahme der ECDC ergänzt.

Titelbild: APA Picturedesk

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