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Krankenkassen vor Kollaps? Kaputt-fusionierte ÖGK von Coronakrise hart getroffen

Kaputt-fusionierte ÖGK von Coronakrise hart getroffen

Nach dem türkis-blauen Flop „Kassenfusion“ kämpft die Österreichische Gesundheitskasse jetzt mit der Corona-Krise: Stark gesunkene Einnahmen machen dem Krankenkassen-Moloch zu schaffen, laut Obmann kann von mindestens einer halben Milliarde Euro weniger Einnahmen ausgegangen werden. Die SPÖ warnt vor Selbstbehalten und Leistungskürzungen – ÖVP und Grüne schieben das auf den Wien-Wahlkampf, gelangen aber zunehmend unter Zugzwang.

Wien, 13. August 2020 | Mitten in der Sommerpause ist eine heiße Diskussion rund um die Finanzierung der Sozialversicherungen, insbesondere der ÖGK entbrannt. Kein Wunder – das türkis-blaue Defizitprojekt ist coronabedingt zusätzlich mit starken Beitragseinnahmenverlusten konfrontiert, eine Lösung gibt es vorerst nicht – dabei fordern unterschiedliche Seiten die Regierung bereits seit Monaten zum Handeln auf:

Der ÖGK-Obmann Andreas Huss spricht von mindestens einer halben Milliarde Euro weniger Einnahmen und fordert ein Kassenfinanzierungspaket. Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres warnt vor einem Kollaps des Gesundheitssystems wegen großer finanzieller Verluste der Sozialversicherung und fordert ein Hilfspaket von der Bundesregierung. Die SPÖ wird seit Monaten nicht müde, Maßnahmen vom Bund zu fordern – doch Grüne und ÖVP tun ihren neuesten Anlauf als Auftakt zum Wien-Wahlkampf ab.

Leistungskürzungen, Selbstbehalten, Beitragserhöhungen und Privatisierung: „Es droht die nächste Gesundheitskrise“

Das Bild, das SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner in einer Pressekonferenz am Mittwoch zeichnete, ist düster: „Bis zu einer Milliarde Euro“ werden bei den Krankenversicherungen an Einnahmen fehlen, und „bis zu eine halbe Milliarden Euro bei der Finanzierung der Krankenhäuser“. Wenn nicht dringend gegengesteuert wird, „drohen Leistungskürzungen, Selbstbehalte, Beitragserhöhungen und Privatisierungen“. Gesundheitsstadtrat Peter Hacker forderte in derselben Pressekonferenz ein „Rettungspaket für das Gesundheitswesen“: Der Finanzminister müsse Gespräche „über ein Rettungspaket für die Gesundheit in Österreich mit den Ländern und der ÖGK sofort beginnen“, so Hacker. Die entgangenen Einnahmen rechnete er auf Mitarbeiter um, um ein Gefühl für das Ausmaß zu geben: 1.200 MitarbeiterInnen in der Wiener Gesundheitsversorgung würden ihre Arbeit verlieren. Die gestrige Aussendung von SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher wirkt fast entnervt:

„Guten Morgen, ÖVP! Es droht die nächste Gesundheitskrise, wachen Sie bitte auf, Herr Finanzminister“

Türkis-Grün lehnte Ausfallshaftung ab

Die Forderung nach Hilfsleistungen ist nicht neu – und auch nicht, woher sie kommt: Philip Kucher stellte bereits im Mai einen Entschließungsantrag im Parlament, der die Einnahmenausfälle der Krankenversicherung mittels Ausfallhaftung des Bundes für die Krankenversicherung abfangen sollte: Für nicht erbringliche Beträge und Einnahmen auf Grund der Covid-19-Krise sollte der Bund einspringen. Mit Stimmen von Grünen und ÖVP wurde der Entschließungsantrag abgelehnt, die Kassen bleiben mit einem großen Fragezeichen rund um ausbleibende Beträge konfrontiert und alleingelassen.

Vozeichen: Minus

Die Krise konfrontiert die gebeutelten ÖGK nun zusätzlich mit Ausfällen von Beitragseinnahmen: Sozialversicherungsbeiträge und Steuereinnahmen sind abhängig von der Wirtschaftsentwicklung – dazu gibt es unterschiedliche Prognosen, Einigkeit herrscht allerdings beim Vorzeichen: Das steht auf Minus. Dass es hier dringend Maßnahmen vom Bund braucht, darauf macht die SPÖ bereits seit Monaten aufmerksam.

„Wir müssen diese Situation annehmen, bewerten, die Gespräche mit der Regierung führen und können danach kostenintensive Ideen diskutieren.“: Selbst der Vizepräsident des Dachverbands der Sozialversicherungsträger, Peter Lehner (ÖVP), änderte in der Zwischenzeit seine Meinung und sagte Ende Juli gegenüber der „Wiener Zeitung“, dass Geld vom Bund notwendig sein würde. Im Ö1-Morgenjournal am Donnerstag tat er die SPÖ-Forderung nach einem Hilfspaket dennoch als „Wiener Wahlkampf-Aktion“ ab und behauptete, dass es keine Leistungskürzungen geben werde. Brisant: Im Interview mit der Wiener Zeitung hatte er offen zugegeben, dass Leistungskürzungen auf mehrere Jahre hin nicht ausgeschlossen werden könnten.

Bundesländer: „Wir warten, wir haben ja keine Chance“

Alle Bundesländer seien sich einig, so der Wiener Gesundheitsstadtrat:

„Die Situation beginnt ernst zu werden. Es braucht dringend ein Eingreifen der politischen Ebene, es braucht klare Aussagen, Verhandlungen und Ergebnisse über die Bildung eines Rettungspakets für das Gesundheitswesen.“

Karl Cernic, Geschäftsführer des Kärntner Gesundheitsfonds, betont im Gespräch mit zackzack vor allem die langfristigen finanziellen Folgen der Krise für die Sozialversicherung: 2021 bereite ihm weit mehr Sorgen, denn die Auswirkungen 2020 würden dann erst richtig spürbar, das habe man auch bei der Finanzkrise 2008 gemerkt, die in vollem Umfang erst im Folgejahr zugeschlagen hätte, weil es auf Grund von Mindereinnahmen im Zuge der Endabrechnung zu weniger Ausschüttungen im Folgejahr gekommen war. Wenn dieser Mechanismus auch jetzt wieder schlagend würde, spricht Cernic von einem großen Unsicherheitsfaktor. Er schließe sich Hackers Aussagen an:

„Wir benötigen eine Maßnahme, ein Paket, damit sind alle Bundesländer gleich konfrontiert.“

Grünen-Gesundheitssprecher: „Nichts Neues“

Ralph Schallmeiner, Grünen-Gesundheitssprecher, hält den erneuten Vorstoß der SPÖ in Sachen Sozialversicherung für das Schlagen von „politischem Kleingeld für den Wien-Wahlkampf“ mittels Verunsicherung. Es sei seit Beginn der Coronakrise bekannt, dass mit Ausfällen in der Finanzierung der ÖGK gerechnet werden müsse, dies sei auch immer wieder in Gesundheitsausschuss- und Plenarsitzungen besprochen worden. Er verweist für eine Diskussion von Maßnahmen allerdings auf Zahlen von Seiten der ÖGK, die derzeit noch nicht vorliegen und für 15. August angekündigt sind, erst dann könnten Maßnahmen diskutiert werden. Zu Leistungskürzungen werde es nicht kommen.

Schallmeiner betont im Gespräch mit zackzack auch die Notwendigkeit, eine langfristige Finanzierung des Gesundheitssystems – zum Beispiel mittels Vermögensabgabenfinanzierung – zu diskutieren:

„Wir müssen überlegen, ob das Prinzip, die Versicherungen aus der Lohnsumme heraus abzufüllen, noch zeitgemäß ist. In Zeiten mit immer mehr Teilzeitkräften und atypisch Beschäftigten sinken die Sozialversicherungsbeiträge, während es immer mehr Einkünfte aus Kapitalerträgen und Vermögenszuwächsen gibt.“

Um das Gesundheitswesen nachhaltig zu finanzieren, könnte sich Schallmeiner vorstellen, auch diese Quellen mit zu berücksichtigen: eine Finanzierung mittels Kapitalerträgen könnte das Gesundheitswesen krisenfester machen.

Anschober stellt Gespräche in Aussicht

Auch Gesundheitsminister Anschober tut den erneuten Vorstoß der SPÖ als „Verunsicherungsparolen“ im Wien-Wahlkampf ab, gelangt aber zunehmend unter Zugzwang und stellt Gespräche ab kommender Woche in Aussicht:

„Die ÖGK ist ohne jedes Eigenverschulden durch Corona in eine schwierige finanzielle Situation geraten. Diese werden wir gemeinsam lösen.“

Wien-Wahlkampf oder das hartnäckige Verweilen und nicht-müde-Werden, auf die Stellen hinzuweisen, wo es brennt? Es bleibt zu hoffen, dass ganz unabhängig vom Wien-Wahlkampf die bevorstehenden Gespräche auch um fünf nach Zwölf noch zu Ergebnissen im Sinne der Versicherten führen werden.

(lb)

Titelbild: APA Picturedesk

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