#FindQiushi
Trauriges Jubiläum: Mit heute ist der „letzte Wuhan-Reporter“, Chen Qiushi, 200 Tagen verschwunden. Er lieferte exklusive und unabhängige Reportagen aus der damaligen Seuchenstadt. Wo er steckt, weiß niemand. Der chinesische US-Botschafter sagte dazu: „Ich kenne den Menschen nicht.“
Wien/Wuhan, 25. August 2020 | Plötzlich sah die ganze Welt nach Wuhan: Ende Jänner wurde die Stadt zum Seuchengebiet erklärt, abgesperrt und Millionen Menschen wurden in ihren Häusern eingesperrt. Als noch viele Menschen versuchten, aus Wuhan zu flüchten, nahm Chen Qiushi – am Tag nach dem Wuhan-Lockdown – einen der letzten Züge in die abgesperrte Millionenstadt. Er wollte „helfen, um die Stimmen der Menschen aus Wuhan in die Welt zu bringen.“
Die Wahrheit aus Wuhan
Seine Aufnahmen lieferten exklusive Bilder aus Wuhan in den ersten Tagen der Seuche: überfüllte Spitäler, panische Menschen, aber auch (überraschend) leere Krematorien. Er besuchte die Baustellen der zügig gebauten Corona-Spitäler, sprach sowohl mit Arbeitern, als auch mit Corona-Patienten. Aber Qiushi stand unter enormem psychischen Druck. Ein Video beendete er unter Tränen:
„Ich habe Angst. Das Virus ist vor mir, hinter mir ist die chinesische Staatsgewalt. Aber ich mache weiter. Solange ich lebendig in dieser Stadt bin, werde ich weiter berichten. Ich werde nur sagen, was ich gesehen habe, was ich gehört habe.
Aber ich liebe es auch, emotionale Dinge zu sagen, deshalb sage ich jetzt ganz brutal: Fickt euch, ich habe nicht einmal Angst vor dem Tod, warum glaubst du, dass ich vor dir Angst haben sollte, Kommunistische Partei Chinas?“
Vielleicht das berühmteste Wuhan-Video des furchtlosen Journalisten. In der letzten Minute spricht er über seine Angst vor dem unbekannten Virus und vor der Kommunistischen Partei.
In Wuhan herrschte Panik und es fehlte an Tests. Es sind die umfassendsten Bilder eines unabhängigen Reporters mit journalistischer Erfahrung, die es aus China hinausschafften.
Eines der letzten Videos.
#FindQiushi
Doch nach wenigen Tagen war der Menschrechtsanwalt und Journalist verschwunden. Mit 25. August fehlt er seit 200 Tagen und keiner weiß, wo er ist. Auch Fang Bin, ein Bürger aus Wuhan, der Aufnahmen aus der Stadt während der Ausgangssperre ins Netz stellte, ist seit Februar verschwunden.
Ende März wurde der chinesische Botschafter in der USA im TV-Sender „HBO“ zum Verschwinden von Qiushi gefragt. Seine Antwort:
„Ich habe von diesem Menschen noch nie gehört. Ich kenn ihn nicht. Wir haben 1,4 Milliarden Menschen in China. Wie kann ich über jeden alles wissen?“
Die offizielle Position Chinas: “Von diesem Typen habe ich noch nie gehört.”
Noch Hoffnung?
China schweigt also über den Fall und tut so, als wären Qiushis Videos aus Wuhan nicht millionenfach angesehen worden. Die Freunde von Qiushi haben die Hoffnung aber noch nicht aufgegeben. Der Twitter-Account des Journalisten mit mehr als 330.000 Followern will täglich daran erinnern, dass von Qiushi jede Spur fehlt. Qiushi gab seinen Freunden die Zugangsdaten zu seinem Account, für den Fall, dass ihm etwas zustoßen könnte. Seit zehn Tagen wird auch von dort aus nicht mehr getwittert.
We are still waiting for Chen Qiushi's return. Until he reappears, we will keep on counting the days.
Chen Qiushi has been out of contact for 190 days after covering coronavirus in Wuhan. Please save him!!!#findQiushi https://t.co/wvPxVb9Jqk
— 陈秋实 Chen Qiushi (@chenqiushi404) August 15, 2020
Der Youtuber Xu Xiadong spekulierte zuletzt darüber, dass Qiushi möglicherweise im September freikommen könnte. Dabei berief er sich auf Zhang Zhan, die im Mai verhaftet worden war und aktuell wegen “unrechtmäßiger Covid-Berichterstattung” in einem Internierungslager in Shanghai inhaftiert ist.
(ot)
Titelbild: Screenshot Twitter