Freitag, März 29, 2024

Anti-Hass-Gesetz: Start-Ups bedroht – Verantwortung privatisiert, Gießkannen-Entwurf

Verantwortung privatisiert, Gießkannen-Entwurf

Beim Gesetzesentwurf gegen „Hass im Netz“ gibt es einige Fragezeichen. Kritiker sehen eine Gefahr für kleine Plattformen, die aktuelle Vorlage sei innovationshemmend und viel zu breit ausgelegt. Private spielen dabei Richter und entscheiden über mögliche Straftaten.

 

Wien, 03. September 2020 | Das Ziel: Hass-Postings, Bedrohungen, Gewalt im Netz einschränken. Das Mittel: ein Gesetz, dessen Entwurf heute von den zuständigen Ministerinnen vorgestellt wurde.

Die Riege aus Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP), Justizministerin Alma Zadic (Grüne), Susanne Raab (Frauenministerin) und Grünen-Klubchefin Sigi Maurer hat sich nach wochenlangem Gezerre geeinigt. Herausgekommen ist ein Fleckerlteppich, bei dem Kritiker einige Gefahren wittern.

Verantwortung auf Plattformen abgeschoben

Das liegt an den unterschiedlichen Ausgangspositionen der Koalitionspartner: die Grünen wollten sich vor allem auf den Opferschutz konzentrieren, während sich die ÖVP besonders darum bemühte, den Staat aus der Verantwortung zu ziehen. So jedenfalls lautet das Urteil von Experten.

Die netzpolitische Organisation „epicenter.works“ analysiert auf Ihrer Website den Entwurf. Fazit: „Der vorliegende Entwurf versucht ein Problem zu lösen, über das sich die meisten Menschen einig sind. Der Weg dahin ist aber eindeutig ein politischer Kompromiss zwischen zwei sehr unterschiedlichen Zugängen.“ Dabei würden manche Aspekte sehr ausgeklügelt, andere kaum durchdacht wirken.

Plattformen wie Facebook haben naturgemäß bessere Möglichkeiten, bei Beschwerden über Hass-Postings durchzugreifen. Die Fristen sind äußerst kurz: bei „eindeutigen“ Verstößen muss laut Entwurf binnen 24 Stunden gelöscht werden, bei weniger klaren Aussagen hat die Plattform eine Woche Zeit. Doch was ist mit den Kleinen? Für die sei es laut Thomas Lohninger von epicenter.works „ein sehr hoher Aufwand“. Die Entscheidung, welches Posting zu löschen sei, sei in vielen Fällen aufgrund kultureller und rechtlicher Komplexität nicht einfach, sagt er im Gespräch mit ZackZack.

Private Zensur?

Katharina Kucharowits (SPÖ) sieht das skeptisch: Die Entscheidung, ob etwas verboten oder erlaubt ist, muss eine staatliche bzw. unabhängige Stelle treffen und nicht ein privater Online-Monopolist”, sagt die Abgeordnete. FPÖ-Politikerin Susanne Fürst sieht eine Gefahr für Grund- und Freiheitsrechte, NGOs wie Amnesty sehen trotz der an sich wichtigen Initiative ähnliche Probleme: “Es muss für alle Menschen möglich sein, eine Meinung in eine Debatte einzubringen”, hieß es in einer Aussendung.

Dass nach insgesamt fünf Prüfverfahren am Ende mit der RTR eine privatrechtliche GmbH im Namen der zuständigen Behörde KommAustria über empfindliche Strafen entscheide, sei auch für Lohninger ein Problem:

„Eigentlich müsste ein Richter entscheiden, was illegal ist und was nicht.“

Kucharowits fordert deshalb mehr Personal für die Justiz. Positiv sei hingegen für epicenter.works, dass beide Seiten – sowohl Urheber von Postings, als auch die Melder – Entscheidungen der Plattformen beanstanden könnten.

Kleine Netzwerke in Existenz gefährdet

Weiter heißt es in der Analyse von epicenter.works:

„Wieder einmal versucht ein Gesetz die Probleme mit den großen Internetkonzernen zu reparieren und ist dabei so unbedacht, dass es die kleinen, dezentralen Seiten des Netzes in ihrer Existenz gefährdet.“

Allgemein sei der Entwurf zu breit angelegt. Man habe „mit der Schrotflinte auf Google gezielt und dabei das halbe Internet erwischt“. Es gebe Ausnahmen, die seien aber wiederum zu spezifisch. „Gefährlich ist das vor allem, weil kleine Netzwerke damit große Probleme bekommen könnten. Das ist innovationshemmend“, sagt Lohninger gegenüber ZackZack und verweist speziell auf Rezeptseiten oder Online-Spiele. Europäische Startups müssten Angst davor haben, in Österreich populär zu werden, „da mit diesem Gesetz ansonsten extrem hohe Kosten und Risiken drohen.”

“Ähnlich wie bei den Uploadfiltern im EU-Urheberrecht sehen wir eine sehr breite Definition, die alle möglichen Plattformen beinhaltet und sehr spezifische Ausnahmen für genau jene Plattformen, die es rechtzeitig geschafft haben einen Lobbyisten zur Regierung zu schicken.“

Die NEOS, die das Motiv des Vorhabens grundsätzlich begrüßen, sehen ebenfalls zu wenig Treffsicherheit: “Entgegen der Absicht der Ministerinnen, hauptsächlich die großen Plattformen erwischen zu wollen, sind die Grenzen mit 100.000 Userinnen und Usern und 500.000 Euro Umsatz zu niedrig”, so NEOS-Politiker Douglas Hoyos in der APA.

Dass ein vor Tagen im Netz kursierender Vor-Entwurf Angst vor Zensur gemacht hat, habe zu einer lauten Kritik vor allem von „Standard“ und „Krone“ geführt, sagt Lohninger. Die beiden großen Player haben nun offensichtlich durchgesetzt, mit ihren Kommentarspalten nicht betroffen zu sein.

(wb)

Titelbild: APA Picturedesk

Redaktion
Redaktion
Die ZackZack Redaktion
LESEN SIE AUCH

Liebe Forumsteilnehmer,

Bitte bleiben Sie anderen Teilnehmern gegenüber höflich und posten Sie nur Relevantes zum Thema.

Ihre Kommentare können sonst entfernt werden.

Jetzt: Polizeiäffäre "Pilnacek"

Denn: ZackZack bist auch DU!