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Gesichtserkennung schreitet voran – System ausgeweitet

System ausgeweitet

Der Testbetrieb des Gesichtserkennungssystems wurde vom Bundeskriminalamt mit 1. August endgültig in Betrieb genommen. Das gestand Innenminister Nehammer. Die Technologie stößt auf scharfe Kritik bei Datenschutzorganisationen, sogar in den USA zieht man sich von derartigen Plänen zurück.

Wien, 08. September 2020 | Wie ZackZack bereits im Mai berichtete, hatte Inneminister Karl Nehammer Anfang April bestätigt, dass Österreich eine EU-weite Datenbank für Gesichtserkennung schaffen werde. Nehammer hatte dabei gestanden, dass Österreich bereits eine Software für Gesichtserkennung besitzen würde. Verantwortlich: Herbert Kickl. Seit 1. August ist das Gesichtserkennungssystem bereits still und heimlich in den Regelbetrieb aufgenommen worden.

Österreich treibt Gesichtserkennung voran

Ziel sei es, eine Datenbank aufzubauen, die Gesichtserkennungsdaten zwischen den einzelnen EU-Ländern einfacher austauschen ließe. Das Überwachungsprogramm laufe unter der Führung des österreichischen „Bundeskriminalamts und der Technikabteilung“, wie das Innenministerium im Zuge einer Anfrage von der Datenschutzorganisation „epicenter.works“ gestand.

In der Testphase von Dezember 2019 bis Juni dieses Jahres kam die Software in 581 Fällen zum Einsatz. Damit sollen 83 Täter identifiziert worden sein, schreibt Innenminister Karl Nehammer in der Beantwortung einer Anfrage, die vom Neos-Abgeordneten Nikolaus Scherak eingereicht wurde.

Auswertung unverlässlich – System intransparent

Die Beamten haben festgestellt, dass das System nicht gut funktioniere, wenn “Gesichter (beispielsweise durch Schals, Masken, Brillen, Anm.) verdeckt werden”.

Anfragebeantwortung zu “Erkenntnisse aus dem Testbetrieb des Gesichtserkennungssystems” von Innenminister Karl Nehammer, 04. September 2020

Thomas Lohninger, Datenschuztaktivist und Geschäftsführer von “epicenter.works”, warnt gegenüber ZackZack vor der schleichenden Einführung von Gesichtserkennungstechnologien:

“Seit Monaten arbeitet das Innenministerium an der Einführung dieser Gefahrentechnologie, kauft Software von internationalen Überwachungskonzernen, baut große Datenbanken mit den Gesichtern der Österreicherinnen und Österreicher auf und schult seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.”

Alles, was bis jetzt über den Prozess bekannt sei, haben hartnäckige NGOs und Oppositionsparteien erst mit Anfragen aus dem Innenministerium herausbekommen, so Lohninger. Innenminister Nehammer sei bisher jeder Debatte aus dem Weg gegangen.

Das Vorgehen des Innenministers sei vor allem deshalb zu hinterfragen, weil es keine explizite Rechtsgrundlage für Gesichtserkennung gebe, führt Lohninger fort. “epicenter.works” werde sich weiter dafür einsetzen, die “Überwachungsfantasien des Innenministeriums” zu stoppen und notfalls die Grundrechte vor Gericht zu erstreiten.

“Betriebsgeheimnis”

Die in Österreich eingesetzte Software stammt von der Firma Atos IT Solutions and Services GmbH mit Subunternehmen Cognitec Systems GmbH. Der Preis: 450.000 Euro. Das österreichische Innenministerium verfügt in seinen Datenbanken über knapp zehn Millionen Gesichtsbilder. Das geht ebenfalls aus der Beantwortung der parlamentarischen Anfrage hervor.

Die Übereinstimmungswahrscheinlichkeit wird auf Grundlage von Algorithmen des Herstellers berechnet. Diese seien, wie bei allen derartigen Systemen, “Betriebsgeheimnis des Herstellers”, so Nehammer in der Beantwortung der parlamentarischen Anfrage.

Anfragebeantwortung zu “Erkenntnisse aus dem Testbetrieb des Gesichtserkennungssystems” von Innenminister Karl Nehammer, 04. September 2020

Sogar die USA ziehen sich aus Angelegenheit zurück

Der Einsatz von Gesichtserkennungssoftware ist höchst umstritten. Die US-Metropole San Francisco hat den Einsatz von solchen Technologien durch Behörden im vergangenen Jahr verboten. Die Gefahr, dass der Einsatz Bürgerrechte verletzen könne, überwiege die behaupteten Vorteile bei weitem, entschied der Stadtrat. Der Einsatz von Gesichtserkennung drohe rassistische Ungerechtigkeit zu verschärfen und “bedroht unsere Möglichkeit, frei von ständiger Beobachtung durch die Regierung zu leben”, heißt es in dem Beschluss.

“epicenter.works” sehe einen starken Eingriff in die Privatsphäre, zudem drohe die Gefahr, dass Unschuldige fälschlicherweise als Straftäter identifiziert werden. Ebenfalls werde die Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum eingeschränkt, weshalb das System so gefährlich sei:

“Mit dem Überwachungspaket unter Innenminister Sobotka wurde bereits 2017 die Basis dafür geschaffen, Bilder der Videoüberwachung von Bahnhöfen, U-Bahnstationen und öffentlichen Plätzen in Echtzeit ans Innenministerium zu liefern”,

so Lohninger.

(jz)

Titelbild: APA Picturedesk

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