Donnerstag, März 28, 2024

Impfstoff-Wettrennen: Hat Österreich aufs falsche Pferd gesetzt?

Hat Österreich aufs falsche Pferd gesetzt?

Test-Stopp für den Covid-19-Impfstoff des Pharmaunternehmens AstraZeneca. Eine Testperson ist erkrankt, es gibt den Verdacht auf eine „schwere Nebenwirkung” und deshalb keine weiteren Tests. Problem: Die EU hat bereits die Abnahme von 300 Millionen Dosen vertraglich unterzeichnet – davon sechs Millionen für Österreich.

Wien, 10. September 2020 | Im Rennen um einen Covid-19-Impfstoff gibt es nun die Rote Karte für ein bisher heiß gehandeltes Pharma-Unternehmen: AstraZeneca unterbricht die klinische Testphase drei, denn einer der Probanden ist schwer erkrankt. Das internationale Unternehmen spricht von einer Routinemaßnahme, „die immer dann vorgenommen werden muss, wenn in einer Studie eine potenziell unerklärliche Krankheit auftritt“.

Ein unabhängiger Ausschuss soll nun klären, ob es sich um Zufall oder eine Nebenwirkung des potenziellen Impfstoffs handelt.

Schwere neurologische Symptome, Test-Stopp aber Routine

Um welche Krankheit es sich handelt, wollte das Pharmaunternehmen zunächst nicht sagen – die “New York Times” berichtete unter Berufung auf einen Informanten, dass es sich um eine „Transverse Myelitis“ handle: Eine Entzündung, die das Rückenmark trifft und von Vireninfektionen ausgelöst werden kann. Die Krankheit geht in der Regel mit schweren neurologischen Symptomen einher. Ursachen dafür können Polio oder Autoimmunreaktionen wie Multiple Sklerose sein.

Auch Renée Schroeder, Österreichs bekannteste Biochemikerin und Professorin der Uni Wien, bestätigt gegenüber ZackZack, dass an dem Teststopp nichts außergewöhnlich sei. Es handle sich um eine „Routinemaßnahme“, die bei zahlreichen Impfstoff-Testverfahren vorgenommen würde. Tatsächlich festzustellen, ob eine Korrelation oder Kausalität zwischen Impfung und Erkrankung vorliege, sei hingegen nicht einfach.

Bisher untersuchte Nebenwirkungen des Impfstoffs werden in der Lancet-Studie angeführt – darunter häufig Gelenks- und Muskelschmerzen, Fieber, Kopfschmerzen und Müdigkeit. Probanden, die Paracetamol erhielten, waren erwartungsgemäß von weniger Nebenwirkungen betroffen als jene, die kein Medikament vor der Impfung erhielten.

Verkürzte Testverfahren

Insgesamt neun Impfstoffe befinden sich derzeit im Rennen um die Fertigstellung eines zugelassenen Impfstoffs. AstraZeneca galt bisher als ganz vorne dabei, dürfte aber zurückfallen, wenn sich herausstellen sollte, dass die Ursache der Erkrankung des Teilnehmers in Zusammenhang mit dem Impfstoff steht.

Dass die Prüfung so schnell überhaupt möglich war, liegt am erstmalig möglichen „Fast-Approval-Verfahren“: Die einzelnen Studienetappen werden nebeneinander oder überlappend durchgeführt, anstatt wie bisher üblich nacheinander. Außerdem wurden bürokratische Verfahren wie Antragsfristen zwischen den Phasen gekürzt oder überhaupt gestrichen.

Etliche Pharma-Konzerne arbeiten bereits jetzt an der komplizierten Massenproduktion der Impfstoffe. Ein Risiko – immerhin könnten sich diese als nicht ausreichend sicher herausstellen und müssten vernichtet werden. Doch nur mit der parallelen Massenproduktion ist Anschobers Prognose einer Impfung für 300.000 Österreicher bis zum Jahreswechsel umsetzbar.

In Testphase gekauft: 300 Millionen Dosen auf Messers Schneide? EU schloss bereits Kaufvertrag mit AstraZeneca ab

Für den Fall eines positiven Durchlaufs auch der letzten klinischen Testphase des AstraZeneca-Impfstoffs könnten den 27 EU-Mitgliedsstaaten bald 300 Millionen Impfdosen zur Verfügung stehen – mit Option auf weitere 100 Millionen. Österreichs Anteil aus dem Vertrag beläuft sich laut Gesundheitsministerium auf rund sechs Millionen Dosen. Doch hält das?

Mit dem Konkurrenz-Unternehmen Biontech möchte die EU-Kommission bis zu 300 Millionen Impfdosen bestellen und eine weitere Option haben. Laut Unternehmenssprechern könnte ein Impfstoff bis Ende des Jahres verfügbar sein, eine Zulassung möchte Biontech im Oktober beantragen.

Kritische Stimmen bemängeln das verkürzte Testverfahren und befürchten dadurch ungewisse Langzeitwirkungen, die in so kurzer Zeit nicht untersucht werden könnten. Im deutschsprachigen Raum äußerte sich insbesondere der Biologe und Buchautor Clemens G. Arvay mehrmals kritisch zu Wort – er erstellte zahlreiche Youtube-Videos und bezog in TV-Diskussionen kritisch zum Thema Stellung.

Der Rekord für die Zulassung eines Impfstoffs lag bisher bei fünf Jahren, informiert Clemes G. Arvay kritisch über das beschleunigte Testverfahren für einen Covid-19-Impfstoff

Sein zuletzt veröffentlichtes Video stieß mit über 260.000 Views innerhalb von nur zwei Tagen auf reges Interesse: Darin informiert Arvay über die Gefahren, die er im derzeitigen Impftest verortet.

Expertin: „Brauchen Testpersonen“

Die Kritik würde Menschen nur davon abhalten, sich für Tests zur Verfügung zu stellen, findet Renée Schroeder: Sie appelliert an die gesellschaftliche Verantwortung des Einzelnen. Denn Testpersonen seien in ausreichender Menge nötig, um einen wirksamen Impfstoff auch tatsächlich zu entwickeln. Durch das Sars-Cov2-Virus verursachte Langzeitschäden müssten zu etwaigen Langzeitschäden der Impfung in Relation gesetzt werden. Schroeder wirft einen Blick in die Vergangenheit:

„Die Lebenserwartung um 1900 lag für Frauen bei 38, für Männer bei 36 Jahren. Die Kindersterblichkeit lag bei 40 Prozent – und heute weiß niemand mehr, was Polio ist – dank der Impfung.“

Grippeimpfung: Wien hat vorgesorgt, Bundesländer zu spät

Das Impf-Rüsten ist auch bei der Grippe-Impfung im Gange: In Vorausschau auf den bevorstehenden Herbst hat die Stadt Wien bereits im April große Mengen an Grippe-Impfdosen am Weltmarkt eingekauft. Andere Bundesländer waren weitaus später dran und kämpfen nun mit Engpässen.

(lb)  

Titelbild: APA Picturedesk

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