Rudi total – Neuer Entwurf für Corona-Gesetze
Mit seinem neuen Entwurf für eine Änderung des Covid-19-Maßnahmengesetzes und des Epidemiegesetztes kann der Gesundheitsminister den Österreichern sogar Autofahren mit dem eigenen PKW verbieten. Kritiker befürchten Hausdurchsuchungen und zu tiefe Eingriffe in die persönliche Freiheit.
Wien, 15. September 2020 | Am Montag brachte Gesundheitsminister Anschober (Grüne) seinen überarbeiteten Entwurf für Änderungen im Epidemie- und Covid-19-Maßnahmengesetz im Nationalrat zur Begutachtung ein. Das Gesetz muss jetzt präzisiert werden, weil der Verfassungsgerichtshof (VfGH) im Juli die türkis-grünen Corona-Maßnahmen gekippt hat. Anschobers erster Entwurf hatte im Sommer für über 4.000 kritische Stellungnahmen gesorgt, doch der neue ist kaum weniger kritisch: Er würde Voraussetzungen für tiefe Eingriffe in das Privatleben schaffen.
Gehen und Fahren verboten?
Das in Begutachtung befindliche Gesetzesentwurf schafft Grundlage für Verordnungen, die „das Betreten oder Befahren von bestimmten Orten oder öffentlichen Orten in ihrer Gesamtheit“ regeln, „soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist.“
Auch private Fahrgemeinschaften sollen in Zukunft – wie öffentliche Verkehrsmittel – auf Einhaltung der Auflagen überprüft werden können. So würde sich das im Entwurf geregelte Betretungsverbot auch auf private Verkehrsmittel erstrecken, gibt NEOS-Gesundheitssprecher Gerald Loacker zu bedenken. Im Klartext: Herr und Frau Österreicher dürften mit dem eigenen Auto nicht mehr fahren.
Ausgangssperre neu
Die bisherige Einschränkung zum Verlassen der eigenen vier Wände war einer der Punkte im Corona-Gesetz, der vom VfGH gekippt wurde. Jetzt sollen die fünf Ausnahmen für das Verlassen der Wohnung im Falle einer Ausgangssperre gesetzlich verankert werden: Die Wohnung dürfte man demnach im Fall einer Ausgangssperre nur noch „zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr“, „zur Betreuung unterstützungsbedürftiger Personen“, „zur Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens“, „für berufliche Zwecke“ und zum Aufenthalt im Freien zur “körperlichen und psychischen Erholung” verlassen. Dies allerdings nur, wenn die Einhaltung der geltenden Auflagen (darunter Abstandsregel und Maskenpflicht) sichergestellt ist.
Hausdurchsuchungen möglich?
Bezirkshauptmannschaften und Magistrate sollen dabei umfangreich Rechte erhalten: Sie sollen die Einhaltung der Auflagen vor Ort kontrollieren können und dazu Zugang zu Räumlichkeiten und Unterlagen der jeweiligen Einrichtungen erhalten: „Organe der Bezirksverwaltungsbehörde“ sind berechtigt, Veranstaltungsorte zu betreten und zu besichtigen,
„sowie in alle Unterlagen Einsicht zu nehmen und Beweismittel zu sichern“,
steht im Entwurf. Auch durchaus datenschutzsensible Bereiche wie Arztpraxen, Rechtsanwaltsbüros oder Redaktionen würden dadurch den Behörden Tür und Tor öffnen müssen.
Wer an einer “anzeigepflichtigen Krankheit” leidet, kann laut Epidemiegesetz schon jetzt unter Quarantäne gestellt werden. Derzeit muss jede Quarantäne dem zuständigen Bezirksgericht gemeldet werden. Künftig werden die Gerichte nur noch informiert, wenn die Quarantäne länger als zehn Tage dauert. Damit dürften die meisten Corona-Quarantänefälle nicht mehr bei Gericht landen.
Grundrechtsjuristin: „Viel zu weit gefasst“, „zu vage“
Auch Grundrechtsjuristin Susanne Giendl sieht in dem Entwurf einige Kritikpunkte. Hinsichtlich der befürchteten Hausdurchsuchungen bestätigt Giendl, dass der Terminus „in alle Unterlagen Einsicht“ nehmen zu können „viel zu weit gefasst“ sei.
„Wenn eine Rechtsanwaltskanzlei eine Veranstaltung abhält und die Bezirksverwaltungsbehörden kontrollieren kommen – können sie dann in alles Einsicht nehmen, was dort ist? Ich halte das für viel zu weitgehend. Bisher brauchte man einen Hausdurchsuchungsbefehl, und selbst da gab es Einschränkungen. Welche Unterlagen hier gemeint sind, müsste jedenfalls noch konkretisiert werden“,
so Giendl. Die Entscheidungsbasis des Gesundheitsministers sei im bestehenden Entwurf „viel zu vage“, so Giendl: Wenn „Gefahr im Verzug“ ist, müsse er laut Entwurf nicht einmal die Corona-Kommission anhören, „zu deren Zusammensetzung der Entwurf übrigens kein Wort verliert. Wann allerdings der Fall von „Gefahr im Verzug“ vorliegt, bliebe offen – und genau zu dieser Frage sollte ja die Corona-Kommission beraten.“
Im Entwurf werden Verordnungen auch mit „Beim Auftreten von COVID-19“ möglich, dies sei ebenso nicht klar genug formuliert: „Was ist das? Wenn irgendjemand positiv getestet wurde? Ich würde das im Gesetz gerne näher definiert sehen. Das ist immerhin eine Verordnungsermächtigung, die muss ich im Gesetz genauer definieren.“
SPÖ und FPÖ kritisieren Entwurf
Auch für Selma Yildirim, SPÖ-Justizsprecherin, bleiben wesentliche Kritikpunkte bestehen: Ihr fehle ein sensibles und „wohldurchdachtes“ Vorgehen mit „verständlichen und eindeutigen Bestimmungen“:
„Dass das neue Gesetz bis Ende 2021 gelten soll, ist viel zu lang. Ich fordere eine Sunset-Klausel nach maximal sechs Monaten.“
Sie kritisiert weiter, dass tiefe Eingriffe in persönliche Freiheiten gesetzlich möglich würden: „Künftig werden de facto Hausdurchsuchungen in Betrieben, privaten Garagen oder Lagerräumen, Schrebergärten oder allgemeinen Teilen von Wohnungseigentumsgemeinschaften ohne gerichtliche Anordnung möglich. Betriebsversammlungen und Demonstrationen können ebenso verboten werden wie das Benützen des eigenen Autos“, gibt Yildirim zu bedenken.
Für FPÖ-Klubchef Herbert Kickl schreibt der Entwurf „gesundheitspolitisches Kriegsrecht“ fest – er sieht darin eine Fortsetzung des „Raubbaus an den Grund- und Freiheitsrechten.“
Kritik auch von NEOS und Amnesty International
Weitere Kritik kommt von den NEOS, aber auch von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International: Es sei nicht definiert, wann ein „Zusammenbruch der medizinischen Versorgung“ drohe, dieser stelle aber eine Voraussetzung für die Ausgangsbeschränkungen dar, heißt es in einer Aussendung von Amnesty.
(lb)
Der Anschober-Entwurf zum Durchklicken.
Titelbild: APA Picturedesk