Donnerstag, März 28, 2024

Koalitionen – Ludwig hat die Qual der Wahl

Koalitionen:

Bei der Regierungsbildung in Wien führt nach jetzigem Stand kein Weg an der SPÖ vorbei. Michael Ludwig könnte rein rechnerisch mit ÖVP, Grünen, FPÖ und vielleicht sogar den NEOS koalieren. Eine gute Verhandlungsposition für den Bürgermeister, der sich schon aus taktischen Gründen (fast) alle Optionen offen hält. Aber was sind realistische Aussichten für die neue Stadtregierung? Thomas Walach analysiert.

 

Wien, 21. September 2020 | Falls nichts Gröberes mehr passiert, wird der Wiener Bürgermeister auch nach der Gemeinderatswahl am 11. Oktober Michael Ludwig heißen. Alle Umfragen sagen ein Ergebnis um die 40 Prozent voraus, der zweitplatzierten ÖVP werden gerade einmal halb so viele Stimmen zugetraut. Verhältnisse wie im Bund – nur unter umgekehrten Vorzeichen.

Das kann sich freilich noch ändern. Wahlumfragen sind Momentaufnahmen, aber der Trend ist deutlich. Eine ganz entscheidende Frage lautet: Mit wem wird die SPÖ koalieren? Dank ihrer Stärke könnte sie nämlich mit fast jeder anderen Partei eine Mehrheit im Gemeinderat bilden. Umgekehrt gibt es keine realistische Mehrheit gegen die SPÖ. Der Vizebürgermeistersessel wird also weniger gewählt als ausverhandelt. Es ist ein offenes Rennen, bei dem nur Rot-Blau bzw. Rot-Strache von vornherein ausgeschlossen sind.

Option 1: Rote Alleinregierung

In letzter Zeit wurde über eine mögliche absolute Mehrheit für die SPÖ spekuliert, die erste seit 2010. Doch das ist praktisch auszuschließen. Da im Wiener Gemeinderat hundert Mandate zu vergeben sind, gilt eine einfache Faustregel: Die erreichten Prozente entsprechen den erzielten Mandaten. Bis 2015 war das Wiener Wahlrecht stark mehrheitsfördernd. Ähnlich wie bei Nationalratswahlen im Bund gibt es Grundmandate in den 18 Wiener Wahlkreisen zu vergeben. Kleine Parteien haben es bei Nationalrats- wie Gemeinderatswahlen schwer, an so ein Mandat zu kommen. Grundmandate sind aber eine Spur „billiger“, also für weniger Stimmen zu haben, als jene „Restmandate“, die in einem zweiten Auszählungsvorgang vergeben werden. Große Parteien, namentlich die SPÖ, profitierten in der Vergangenheit von diesem kleinen Rabatt.

Vor fünf Jahren wurde dieser Rabatt noch kleiner. Er bringt jetzt der SPÖ nicht mehr viel. Je nachdem, wie die Grundmandate verteilt werden, kann die SPÖ bei 42 Prozent der Stimmen mit etwa 44 Mandaten rechnen. Schafft Strache den Einzug nicht, nutzt das ein klein wenig der SPÖ. Für eine absolute Mehrheit von 51 Mandaten bräuchte diese wohl 48 oder mehr Prozent der Stimmen – die sind aber derzeit außer Reichweite. Option 1 fällt also nach momentanem Stand flach.

Option 2: Rot-Türkis

Vor allem grüne Insider sprechen derzeit viel über eine große Koalition, die Ludwig angeblich anstrebe. Wie realistisch ist das? Mit Blümel an der Spitze: Fast auszuschließen. „Mit dieser türkisen Schnöseltruppe sicher nicht!“, sagte zwar auch Werner Kogler, ehe er die Koalition dann doch einging; aber in Wien liegt die Sache anders. Dass Michael Ludwig und der Chef der Wiener Wirtschaftskammer, Walter Ruck, eng verbunden sind, ist kein Geheimnis und wird von Grünen gerne warnend betont. Doch Ruck ist kein Türkiser, sondern ein alter Schwarzer aus großkoalitionärer Tradition. Als einer der letzten Überlebenden dieser zurückgezogen lebenden Spezies hat er allen Versuchen Harald Mahrers, ihn von der Spitze der WKW zu verdrängen, standgehalten. Dazu geht Ruck auch medienwirksame Bündnisse mit Ludwig ein. Der wiederum profitiert davon, die Wirtschaftskompetenz seiner Stadtregierung darstellen zu können – in Zeiten der Coronapandemie ein ungemein wichtiges Asset.

Stehen also die Zeichen auf eine große Koalition? Nein. Blümel selbst ist nicht das Hindernis. Der Finanzminister denkt nicht einmal im Traum daran, in den Gemeinderat zu wechseln. Aber die Wiener ÖVP ist neben der JVP und den Niederösterreichern Sebastian Kurz‘ Machtbasis in der Partei. Auch ohne Blümel werden in Wien Türkise am Ruder bleiben. Und das ist etwas völlig anderes als die Gruppe um Walter Ruck. Für die politische Kommunikation wäre eine Koalition mit der ÖVP ein Alptraum – man sieht es gerade bei den Wiener Grünen. Warum sollte Ludwig sich also eine Koalition mit der machthungrigen ÖVP antun, wenn die so große Schwierigkeiten machte? Es gibt einfachere Möglichkeiten.

Option 3: Rot-Grün

Die derzeitige Stadtregierung ist beliebt. Die Mehrheit der Wähler wünscht sich eine Fortsetzung. Wer die Wahlprogramme von Rot und Grüne nebeneinander legt, merkt: Da passt schon mehr als ein Blatt Paper dazwischen, aber nicht viel mehr als ein Bierdeckel. Inhaltlich ist man sich im Wesentlichen einig. Die Diskussion um Pop-up-Politik ist publikumswirksam, aber letztlich ist man sich einig, dass der Modal-Split im öffentlichen Verkehr verschoben werden muss. Die Grünen drücken das den Wienern deutlicher aufs Aug‘ als die SPÖ. Grün erreicht damit die Stammklientel, Rot will keine Autofahrer vergrämen. Die großen Brocken beim Klimaschutz liegen ohnehin woanders: Beim Bauen, bei der Energieversorgung, bei großen städtischen Infrastrukturprojekten, beim Öffi-Ausbau.

Super, oder? Moment! Während die Grünen gegenüber der ÖVP im Bund ganz handzahm sind, treten sie in der Wiener Stadtregierung sehr machtbewusst auf. Bei medienwirksamen Themen wie den Citybikes fliegen zwischen Rot und Grün auch schon einmal die Hackeln tief. Das zu erwartende gute Abschneiden der Grünen könnte im Koalitionspoker noch zum Problem werden. Denn eine 15-Prozent-Partei kann sich nicht beliebig billig hergeben. Und hier kommt eine weitere Variante ins Spiel.

Option 4: Rot-Pink

Eine Koalition zwischen SPÖ und NEOS? Geht denn das? Thematisch ja. NEOS-Chef Christoph Wiederkehr konnte im ZackZack-Sommergespräch sogar der Übernahme von Anteilen an Privatunternehmen durch die Stadt als Coronahilfe etwas abgewinnen. Als treibender Faktor könnten sich die Pinken in der Schulpolitik erweisen. Zwar ging durch die Wiener Lehrerschaft ein kollektives Aufatmen, als Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorsky und Bildungsdirektor Heinrich Himmer ihre jeweiligen Ämter übernahmen – aber gerade im Bereich Brennpunktschulen ist noch Luft nach oben. Die Grünen hatten und haben weder im Bund noch in Wien einen Schwerpunkt auf Schulen. Bildungspolitik ist für die Grünen in erster Linie Unipolitik. Bei den NEOS sind Schulen hingegen oberste Priorität im Wahlkampf.

Ohne Übertreibung kann man sagen, dass Christoph Wiederkehr und Ex-Stadträtin Sonja Wehsely verfeindet sind. Ein Hinderungsgrund für eine Zusammenarbeit wäre das aber nicht. Diese Koalitionsvariante wurde in der Vergangenheit vor allem deshalb nicht diskutiert, weil sie keine Mehrheit hatte. Das könne sich am 11. Oktober ändern. Die NEOS kommen in den Umfragen nicht vom Fleck und stagnieren bei sieben bis acht Prozent. Das reicht für den lockeren Einzug, aber nicht für viel mehr. Die Partei leidet unter dem geringen Bekanntheitsgrad ihres Spitzenkandidaten Christoph Wiederkehr. Folgerichtig plakatiert sie im Gemeinderatswahlkampf auch ihre bekanntesten Nationalratsabgeordneten.

Doch die neue Stärke der SPÖ hat die Situation verändert. Macht die SPÖ 42 Prozent und also 44 Mandate, reichen die sieben oder acht der NEOS haarscharf für eine Mehrheit im Gemeinderat. Ist das mehr als Mittel, um den Preis der Grünen zu drücken?

Was wird’s werden?

Würde ich wetten, ich setzte mein Geld auf Option 4. Die Quoten für die wahrscheinlichste Variante – eine Fortsetzung von Rot-Grün – sind einfach zu schlecht. Rot-Pink hat dafür echte Außenseiterchancen.

Titelbild: APA Picturedesk

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