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Endspurt Wien-Wahl – Eppinger putzt, Strache hört Stimmen: Was bisher geschah

Eppinger putzt, Strache hört Stimmen: Was bisher geschah

In nicht einmal einer Woche wählt die Hauptstadt. Wie lief der Wahlkampf bisher? Wer könnte mit wem regieren? Die mit Sicherheit vorvorletzte ZackZack-Wahlanalyse.

 

Benjamin Weiser

Wien, 05. Oktober 2020 | Am 11. Oktober ist es soweit: Wien wählt in Zeiten von Corona. Ein langer und ungewöhnlicher Wahlkampf neigt sich damit dem Ende zu. Aufgrund der Pandemie mussten die Parteien weitgehend auf Wahlkampf-Klassiker wie Großkundgebungen und breit angelegte Tür-zu-Tür-Aktionen verzichten. Stattdessen wurde viel auf soziale Netzwerke, kleinere Veranstaltungen und neuere Instrumente gesetzt.

Skurrilitäten und viel Rechtsdrall

Damit könnte der Wahlkampf ein Vorbote für Politik im digitalen Zeitalter sein, wobei ÖVP-Spitzenkandidat Gernot Blümel mit seiner Grusel-Show vor virtuellen Fans in der Lichtenfelsgasse den Cyber-Bogen wohl etwas überspannte. Die Wiener Volkspartei hat auch offline nicht mit Kreativität gespart: der „Sprecher der Bewegung“ Peter L. Eppinger stand zum Beispiel extra früh auf, um die fehlende Sauberkeit des Karlsplatzes anzuprangern – den putzte er dann, zusammen mit seinen türkisen Helferlein, blitzeblank. Problem: die Stiegen hätte die Kirche eigentlich selbst gesäubert, die getadelte Stadt war also gar nicht die richtige Adressatin.

Auch Ibiza-Darsteller Heinz-Christian Strache wartete mit besonderem Material auf: wie in der Schocker-Serie „Walking Dead“ schlafwandelt er in mit seinem Team Strache in einem Video gespenstisch entlang der Praterallee. War das schon der endgültige Abgesang? Mitnichten, denn es folgte ein zweites Video, in welchem die innere Stimme des Spitzenkandidaten vor einem Muezzin am Praterstern warnt. Im TV-Duell mit „Brutus“ Dominik Nepp (FPÖ) flogen dann die Fetzen.

Er hat gut lachen: Bürgermeister Ludwig auf der Zielgeraden. Stoppen kann er sich nur selbst – oder demobilisierte, bereits sicher geglaubte Wähler. Bild: ZackZack/mp.

Der Wettlauf nach Rechtsaußen, der von ÖVP-Mann Blümel „bereichert“ wird, ist jedenfalls der traurige Höhepunkt eines Wahlkampfes, der von der Pandemie zugleich gehemmt und befeuert wurde.

Wien hat Corona

„Wien hat Corona nicht im Griff“, hatte Innenminister Nehammer mit einer (wohl viel zu früh angesetzten) Fake-News-Kampagne gegen die Hauptstadt ausrichten lassen. Der Eindruck, Wien stünde kurz vor dem Untergang, war zwar immer falsch. Allerdings ist auch in der Hauptstadt bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie nicht immer alles glatt gelaufen – wobei Wien bereits früh vorbildlich mit umfassenden Tests begonnen hatte. Auch das funktionierende Gesundheitssystem der Stadt war bis zuletzt ein robustes Bollwerk gegen die „Türkisen-Belagerung“. Untergriffe pandemischen Ausmaßes blieben aber bis auf altbekannte „Ausländergschichtln“ weitgehend aus. In der Krise wählen die meisten Stabilität, zumal Wien im internationalen Vergleich vieles richtig macht.

SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig, der sich kaum handwerkliche Fehler leistete, scheint fest im Sattel zu sitzen: Umfragen sehen die SPÖ sogar noch stärker als bei der letzten Wahl mit Michael Häupl.

Die letzte große Umfrage vor der Wien-Wahl lieferte “Unique Research” für “Heute” und “ATV”. Grafik: ZackZack/te.

Wie schon bei der Nationalratswahl 2019 ist die entscheidende Frage nicht, wer als Erster durchs Ziel laufen wird. Das ist durchaus überraschend: im Mai lag die ÖVP nur etwa 8 Prozentpunkte hinter der SPÖ, die vor einer Dirndl-Koalition aus Türkis, Grün und Pink warnte.

Erwartungen, Potenziale, Koalitionen

Jetzt sind die Rathaus-Roten dermaßen enteilt, dass sie eher fürchten, sicher geglaubte Wähler könnten sich im letzten Moment umentscheiden – und mit einem Dirndl-Albtraum aufwachen. Die engagierte Vizebürgermeisterin Birgit Hebein muss hingegen um jede Stimme kämpfen: an der bürgerlichen Front genießen die NEOS durch beherzte Opposition im Bund ein Momentum, das mit dem sympathisch wirkenden Christoph Wiederkehr auf Wien ausstrahlen und den Grünen Wähler stibitzen könnte. In der linken Reichshälfte wurde das grüne Potenzial durch die ÖVP-treue Bundespartei um Kogler und Maurer nicht ausgeschöpft, auch wenn die Grünen im Vergleich zur letzten Wahl hinzugewinnen könnten. Links der halblinken Ludwig-Mitte wäre auf jeden Fall mehr möglich gewesen, denn die Kleinparteien konnten bis dato ihre selbst gesteckten Erwartungen nicht erfüllen – was ohne Zweifel auch an den viel kleineren Budgets von Links und Co. liegt. Ob Marco Pogos Bierpartei eine Protestwähler-Überraschung wird, weiß man wohl erst am Sonntag.

Dass sich eine von beiden Regierungsparteien im Bund in einer Wiener Koalition mit den Roten wiederfinden wird, ist nicht unwahrscheinlich. Für Bürgermeister Ludwig ist die Variante Rot-Türkis aber eine Gefahr: er könnte damit nachhaltig linke und bürgerlich-liberale Wähler vergraulen. Will er die ÖVP freiwillig an die Futtertröge der nahezu letzten roten Machtbastion lassen? Ein riskantes Unterfangen. Je nach Wahlausgang wäre auch Rot-Pink möglich. Eine Variante, die mit fortschreitenden Flirtversuchen auf beiden Seiten nicht auszuschließen ist. Aber was ist mit Rot-Grün? Trotz aller Verstimmungen aufgrund verkehrspolitischer Differenzen (oder der peinlichen Bundesgärten-Schließung durch Türkis-Grün) ist das die beliebteste Variante der Wiener Wählerschaft – und die wahrscheinlichste.

Derzeit sieht es so aus, dass Rot-Grün die vorhandene Mehrheit im Landtag sogar ausbauen wird. Wieso sollte Ludwig also ein rot-türkises Risiko eingehen? Die Antwort auf die Frage werden wir bald erhalten.

Titelbild: APA Picturedesk

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