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Covid-Teststraße: Selbstversuch

Das ist ein Unterüberschrift

Mittendrin statt nur dabei. Thomas Walach hat unfreiwillig die Wiener Corona-Teststraße im Prater getestet.

 

Wien, 15. Oktober 2020 | Es ist so ein feuchter, kalter Abend, an dem man nicht draußen sein möchte. Ich sitze noch in der Redaktion, als ich die Nachricht erhalte, dass ich zwei Tage zuvor Kontakt zu einer positiv auf Covid-19 getesteten Person hatte. Nicht gut. Laut Kriterien des Gesundheitsministeriums bin ich nur K2-Person. Schon besser. Das heißt: Keine strenge Quarantäne. Aber Büroarbeit kommt natürlich nicht in Frage.

Also raus aus der Redaktion, den noch geplanten Abendtermin absagen, die benötigten Dokumente holen. Bei den Wiener Teststraßen Stadion und Floridsdorfer Brücke wollen sie Meldezettel und E-Card sehen. Auch wer nachweisen kann, in Wien zu arbeiten, kann sich dort gratis testen lassen.

Das Praterstadion ist nicht weit weg von meiner Wohnung im zweiten Bezirk. U-Bahn fahren? Wie ist es mit der Ansteckungsgefahr? Alles deutet darauf hin, dass in den öffentlichen Verkehrsmitteln kaum Ansteckungen stattfinden. Die Rush-hour ist vorbei, in den Zügen der U-Bahn könnten Babyelefanten herdenweise mitfahren. Also ja, U-Bahn statt nasskalter Fahrradtour.

Stell dir vor, es ist Epidemie und keiner geht hin!

Bei der Station Stadion ist alles für einen Massenansturm ausgelegt. Die Leitsysteme sollen jene 50.000 Menschen, die in die betagte Arena passen, möglichst schnell durch das Nadelöhr der doppelten Bahnsteige schleusen. Vom Ausgang Stadion wird man direkt in den Walk in-Bereich der Teststraße gespuckt. Ein überdachter Schlauch mit Holzboden, abgegrenzt durch Bauzäune. Ordner haben Hände und Kinn in ihre Jacken vergraben. „Wollen Sie sich testen lassen? Hatten Sie Kontakt zu einer Corona-positiven Person? Haben Sie 1450 gerufen? Haben Sie Lichtbildausweis, E-Card und Meldezettel mit? Haben Sie Symptome?“  Ja, ja, nein, ja, nein. Die richtigen Antworten in der richtigen Reihenfolge. Trotz Uhrzeit und Wetter fühle ich mich nicht wie ein Paket behandelt.

Die Massen, für die alles vorbereitet ist, sind nicht da. Vor mir warten eine Handvoll junger Leute und eine vierköpfige Familie. Auch hinter mir stellen sich nach und nach nur wenige Menschen an, fast ausschließlich junge Erwachsene. Auch die Autoschlange beim Drive-in ist überschaubar. Ist das normal? Ich dachte, wir hätten Epidemie. Es sei schon wenig los, sagt man mir, aber richtig lang müsse man auch sonst nicht warten. Ein, vielleicht zwei Stunden.

Im System

Aus den offenen Fensteröffnungen von drei Containern am Ende der Teststraße dringt Licht. Drin arbeiten Leute mit Masken und Schutzanzügen. Bei den Fenstern stehen Wärmelampen, ein höchst willkommener Anblick. Dann bin ich dran. Die Fragen kenne ich schon. Ja, ja, nein, ja, nein. Eine Person, von der ich außer den Augen nichts sehen kann, tippt meine Antworten in ein Datenbank-Interface. Meldezettel und E-Card vertragen sich nicht gut mit klammen Händen und keinen Ablageflächen, es dauert ein paar Sekunden länger, als es müsste.

„Wie ist Ihre Telefonnummer?“ Die Antwort wird eingetippt. „Haben Sie gerade eine sms von uns bekommen?“ Habe ich. Es ist eine Testnachricht. Die Einwegkommunikation zwischen dem Gesundheitsdienst der Stadt Wien und mir wird ab jetzt so stattfinden. Wenn Sie positiv sind, werden Sie angerufen, wenn negativ, erhalten Sie binnen drei Werktagen ein sms.“

Ich bin jetzt im System. „Ist der Samstag in diesem Sinne ein Werktag?“ Ich will wissen, ob ich das Sonntagsessen mit der Familie absagen muss. Die Frage stiftet Verwirrung, die Antwort ist so uneindeutig, dass ich abwinke. Ich würde ja sehen. Dann werde ich weiter geschickt, ein Plastikröhrchen und ein Barcodeaufkleber in der Hand.

Das Röhrl

Beim nächsten Fenster schnappt sich ein Mitarbeiter den Barcode und klebt ihn, ohne sich umzuschauen, an die Tischkante hinter sich. Er drückt mir einen Pappbecher in die Hand. „Da drin sind Kochsalzlösung und ein Strohhalm. Mit der Hälfte der Kochsalzlösung 30 Sekunden gurgeln, dann öffnen Sie das Probenröhrchen“ – er zeigt auf meine linke Hand – „und spucken die Lösung mithilfe des Strohhalms ins Röhrchen.“ Der Mann sagt deutlich „Röhrchen“. Man hört, dass er es unter anderen Umständen wienerisch aussprechen würde: „Röhrl.“ „Den Test machen Sie bitte da drüben.“

Wo drüben? Es dauert ein paar Sekunden, bis ich verstehe. „Da drüben“ heißt: „egal wo, nur nicht vor meinem Fenster.“ Es wird jetzt diffizil. Regenschirm, Handschuhe, Probenröhl, Pappbecher, Strohhalm und Kochsalzlösung wollen irgendwie balanciert werden. Wieder keine Ablage. Hier gehen mehr als ein paar Sekunden verloren.

Der Behälter mit der Kochsalzlösung funktioniert nach dem Prinzip „Dreh und Trink“ – aufdrehen, auszutzeln – schmeckt aber erwachsener. Mehr Auster als Kirsch, nicht unangenehm. Mit Schaudern denke ich an den Abstrichtest im Rahmen des Ibiza-Untersuchungsausschusses, bei dem mit einem langen Wattestäbchen das Innerste nach außen gekehrt wird. Kein Vergleich. Beim Strohhalmspucken geht das Probenröhrchen über (ah ja, „die Hälfte der Kochsalzlösung“). Ich bin nicht der erste, der die Anweisungen nicht exakt befolgt, denn der Samariterbund-Mitarbeiter nimmt das Röhrl routiniert mit einem Papierhandtuch in Empfang.

Genau 15,5 Minuten, nachdem ich mich angestellt habe, ist alles erledigt. Anstatt dem Leitsystem zu folgen, nehme ich eine Abkürzung und schlüpfe durch eine Lücke im Zaun. Der Blick des Ordners sagt: Leben und leben lassen. Gerade, wenn es regnet.

Titelbild: APA Picturedesk

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