Medien brachten falsche Zahlen
Immer wieder fällt das Innenministerium als Quelle von Falschmeldungen über eine besorgniserregende Corona-Lage auf. Ein kursierender Screenshot vom Wochenende legt den nächsten Akt der Desinformation nahe – und zwar direkt von der Spitze des Nehammer-Kabinetts.
Update 19.10. um 13:45 Uhr: der Höchststand vom Samstag war mit 1.747 Infektionen deutlich niedriger (und nicht etwa bei der Hälfte, wie zunächst geschrieben)
Wien, 19. Oktober 2020 | Am Wochenende berichtete der „Standard“ über ein Dokument aus den Reihen des Kabinetts von Karl Nehammer (ÖVP). Das diente offenbar als Grundlage für Medienberichte von falschen Infektionszahlen in Österreich. Denn am Samstagmorgen hieß es: 2.317 neue Corona-Infektionen innerhalb der letzten 24 Stunden – laut kolportierter Tabelle. Doch die Zahlen stimmten nicht. Fakt ist: der Höchststand vom Samstag war mit 1.747 Infektionen deutlich niedriger.
Stephan M., der Nehammer-Vize
Die Quelle des Fake-News-Dokuments sitzt offenbar mal wieder im Innenministerium. Eine Nehammer-Sprecherin beschwichtigte die Vorwürfe auf „Standard“-Anfrage zwar, dementierte jedoch nicht den Ursprung der Tabelle: Man könne ausschließen, „dass die Zahlen von dieser Person an die Medien gespielt wurden“.
Diese Person, das ist laut Screenshot, der ZackZack vorliegt, Stephan M. Er ist JVPler und der stellvertretende Kabinettschef von Karl Nehammer. Zuvor war er im umstrittenen Think Tank „Think Austria“ von Schattenkanzlerin Antonella Mei-Pochtler im Bundeskanzleramt tätig.
ZackZack liegt der Handy-Screenshot vor, der als Quelle der Fake-News gilt. Name: Stephan M. Damit erscheint die Aussage der Nehammer-Sprecherin in einem anderen Licht. Faksimile.
Interessant: der Zeitstempel des Dokuments ist auf 7:19 Uhr taxiert, an die Medien gespielt wurde es via Stephan M. um 7:48 Uhr – etwa eine Stunde vor Ende des Betrachtungszeitraums, denn um 9 Uhr wurden die offiziellen Zahlen der Bundesländer an den Bund gemeldet. Der Nehammer-Mann war also flott – flotter als die letztlich richtigen Zahlen.
Linientreue Medien übernahmen sofort
Rückblick: Am Samstag gibt es Empörung aus den Reihen der Wiener Stadtregierung. Was ist passiert?
„Die heute an Medien gespielte Falschinformation hatte falsche Werte für 5 (!) Bundesländer und hat für Österreich 570 Fälle zu viel (!) ausgewiesen. Neben Wien sind Niederösterreich, Burgenland, Salzburg und die Steiermark davon betroffen. Das ist verrückt!“,
heißt es vonseiten eines Hacker-Sprechers.
Wien ist wie Niederösterreich, Salzburg, die Steiermark und das Burgenland von Falschinfos über Corona-Zahlen betroffen. In Kurz-loyalen Medien sind die „Schocknachrichten“ bereits vor 8 Uhr zu finden. „Kurier“-Chefredakteur Richard Grasl, dem schon zu ORF-Zeiten eine unverkennbare ÖVP-Sympathie nachgesagt wurde, rückt sofort aus: „Corona-Rekordzahlen: Es wird Zeit zu handeln“, so der Titel seines Kommentars, der schärferen Maßnahmen quasi die Rutsche legt.
Da das Gesundheitsministerium im Laufe des Tages aufklärt und die richtigen Zahlen liefert, wird der Artikel nochmals adaptiert – mit einer weiteren Falschmeldung. So heißt es im „Kurier“-Kommentar: „Auch wenn beschwichtigt wird, dass es zu Nachmeldungen für die letzten beiden Tagen kam – seit Donnerstag wurden im Schnitt mehr als 1.300 Menschen täglich positiv getestet. Das ist zu viel – viel zu viel.“ Aus dem Büro von Peter Hacker heißt es: es gab nie eine „Nachmeldung“. Auch aus dem ÖVP-regierten Niederösterreich, das ebenfalls von den Fake-News betroffen war, gibt es Kritik in Richtung Bund.
Fake-News-Quelle Innenministerium
Dass Desinformation aus den Reihen des Nehammer-Ministeriums kommt, ist jedenfalls keine Neuigkeit. ZackZack hatte im Mai brisante Unterlagen aus dem BMI veröffentlicht. Diese belegen, dass der Minister mehrmals wider besseres Wissen eine besorgniserregende Lage in Wien herbeigeredet hat. Das eigene Ministerium hatte Nehammer dann aber widersprochen: durch das Testen war der Anstieg der Corona-Zahlen in Wien nur scheinbar sprunghaft nach oben geschnellt.
ZackZack berichtete zudem über Fake-News zu angeblich abgängigen Asylwerbern aus dem damaligen Corona-Notquartier der Messe Wien. Die Nachricht war frei erfunden. Das bestätigten uns auf Nachfrage der Samariterbund, Betreiber der Aufnahme, sowie die Landespolizeidirektion Wien. Quelle: aller Wahrscheinlichkeit nach das Innenministerium.
Nur Monate später verbreitete Nehammer im ORF Falschinformationen über Contact-Tracing, dem Ermitteln von Kontaktpersonen Inifizierter. So würde das ÖVP-regierte Bundesland Oberösterreich schon länger mit der Polizei beim Contact-Tracing kooperieren. Endlich, so der Minister live und in Farbe, sei nun auch Wien an Bord. Alle Bundesländer würden die „Hilfe“ in Anspruch nehmen, sagte er. Die Antwort von ORF-Journalistin Claudia Dannhauser ließ aufhorchen: „Herr Minister, wir haben einen Rundruf in allen Bundesländern gemacht und gefragt nach der Hilfestellung der Polizei bei Contact Tracing. Und da hat kein einziges Bundesland gesagt, es greift auf die Hilfe der Polizei zurück. Kein einziges.“ Nehammer entgegnete: „Da wäre es spannend, wann sie angerufen haben?“ Dannhausers Antwort: „Am Freitag. Dass das jetzt plötzlich am Samstag passiert wäre, kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen.“
(wb)
Titelbild: APA Picturedesk