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Abtreibungsverbot in Polen – Europaweite Proteste

Abtreibungsverbot in Polen

In Polen rumort es: Seit Tagen gehen Zehntausende gegen eine drastische Verschärfung des Abtreibungsverbots auf die Straßen, über die Landesgrenzen hinweg finden europaweit solidarische Proteste statt. Nun will die polnische Frauenbewegung einen landesweiten Streik organisieren.

Wien, 28. Oktober 2020 | In Polen protestieren seit Tagen Zehntausende Menschen auf den Straßen. Wiederholt kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, zuletzt auch zu Tumulten im polnischen Parlament, bei denen Parlamentsabgeordnete demonstrierten und den Chef der regierenden nationalkonservativen PiS-Partei Jaroslaw Kaczynski umzingelten. Hintergrund der Proteste ist das vom Verfassungsgericht verschärfte Abtreibungsverbot.

De facto vollständiges Abtreibungsverbot

Polen verfügte ohnehin über eines der strengsten Abtreibungsgesetze in Europa. Bisher war ein Schwangerschaftsabbruch bei Gefahr für Leben oder Gesundheit der Frau, bei Vergewaltigung oder Inzest sowie bei schweren Fehlbildungen des ungeborenen Kindes möglich. Letzterer Punkt wurde nun gestrichen.

Medien und Aktivisten sprechen von einem de facto vollständigen Abtreibungsverbot, da sich bisher rund 97 Prozent aller legal durchgeführten Abtreibungen auf den gestrichenen Paragraphen bezogen. In Zahlen: 2019 wurden von insgesamt 1.110 in polnischen Kliniken vorgenommenen Abtreibungen 1.074 mit Fehlbildungen des ungeborenen Kindes begründet.

Zehntausende protestieren auf Polens Straßen. “Strajk Kobiet” – Frauenstreik. Bild: Apa Picturedesk

Europaweite Proteste

Die Empörung in Polen ist dementsprechend groß – und sie geht weit über Landesgrenzen hinaus. In ganz Europa fanden solidarische Kundgebungen statt. Unter dem Hashtag #strajkkobiet bekunden Menschen weltweit ihre Solidarität mit den polnischen Frauen. Auch in Österreich fanden einige Protestkundgebungen statt, unter anderem am Dienstag in Wien, wo ZackZack die Grüne Abgeordnete und stv. Klubchefin Ewa Ernst-Dziedzic zur Situation befragte:

Sie appelliert an die Verantwortung der Europäischen Union:

„Wir sind alle gefordert, die Polinnen nicht alleine zu lassen. Es ist furchtbar: Wenn man das ganz verbietet, sind wir wieder im Mittelalter und gefährden die Gesundheit und das Leben von Frauen.“

Polens Frauen streiken wieder

Polens Frauenbewegung hat für Mittwoch zu einem landesweiten Streik aufgerufen: „Wir nehmen unbezahlten Urlaub. Wir schließen die Firma. Oder ganz einfach – wir gehen nicht zur Arbeit”, heißt es in einem Aufruf der Organisation “Allpolnischer Frauenstreik”. Die Protestaktion #CzarnyProtest 2016 war erfolgreich – und hat bewiesen, Polens Frauen lassen sich ihr Selbstbestimmungsrecht nicht so leicht nehmen.

Doch die Umstände sind diesmal etwas anders: Auf Grund der Corona-Pandemie und des wirtschaftlichen Drucks könnten sich viele Arbeitnehmer scheuen, am Streik teilzunehmen. Außerdem seien zahlreiche Berufssparten (30 Prozent des Pflegepersonals, wo der Frauenanteil sehr hoch ist), in Quarantäne.

Auf Grund der Corona-Maßnahmen fanden Proteste unter anderem in Autokolonnen statt. Bild: Apa Picturedesk

Bevölkerung gespalten, aber mehrheitlich gegen Verschärfung

Warschaus bürgerlich-liberaler Oberbürgermeister Rafal Trzaskowski zeigt sich solidarisch mit der Protestbewegung: Die Stadtverwaltung ermöglicht den Beschäftigten die Teilnahme am Streik, Busse und Straßenbahnen der Stadt werden mit Flaggen der Protestbewegung bestückt. Trzaskowski war bei der Präsidentenwahl im Sommer als Herausforderer vom jetzigen nationalkonservativen Amtsinhaber Andrzej Duda angetreten und hatte die Stichwahl mit 49 zu 51 Prozent knapp verloren. Das Land ist gespalten.

Dennoch spricht sich die Bevölkerung laut Umfragen mehrheitlich gegen eine Verschärfung des Abtreibungsverbots aus. Das weiß die nationalkonservative Regierungspartei, dürfte mit dem Vorgehen aber den rechten Rand Polens bedienen und sich damit die Zustimmung der in Polen besonders konservativen katholischen Kirche sichern.

Frauenbewegung verhinderte Abtreibungsverbot 2016

Der Gesetzesantrag geht auf eine Bürgerinitiative der polnischen Pro Life-Aktivistin Kaja Godek zurück, die bei der ersten Lesung des Gesetztes letzte Woche sagte, Abtreibungen seien eine größere Pandemie als das Coronavirus. Das nun zur Debatte stehende Projekt ist weniger restriktiv als jenes, das 2016 in Polen zu den Schwarzen Protesten (#CzarnyProtest) führte: Der damalige Entwurf sah vor, einen Schwangerschaftsabbruch nur dann zu erlauben, wenn erwiesener Maßen Lebensgefahr für die Frau bestand. Vergewaltigungsopfer hätten so zur Geburt gezwungen werden sollen und Frauen, die einen Abbruch selbstständig durchführten, hätten mit Haftstrafen belegt werden sollen.

Am 3. Oktober 2016 blieben rund 200.000 Frauen bei einem Generalstreik der Arbeit fern: So konnte die polnische Frauenbewegung den Gesetzesentwurf verhindern.

(lb)  

Titelbild: APA Picturedesk

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