Samstag, April 20, 2024

Wien: Die rosarote Koalition

Wien:

Es sei “Zeit für Neues” sagte Bürgermeister Michael Ludwig und meinte eine neue Regierungskoalition für Wien. Rotgrün dürfte nach zehn Jahren Geschichte sein, die Zukunft ist rosarot. Was kommt auf die Hauptstadt zu und was bedeutet das für die Bundespolitik?

Wien, 28. Oktober 2020 | Kaum ein politischer Beobachter glaubte an eine Koalition zwischen SPÖ und der türkisen ÖVP in Wien. Das Rennen zwischen Grünen und NEOS als Juniorpartner der Bürgermeisterpartei war hingegen offen. Dienstag Mittag trat Michael Ludwig vor die Kameras und sagte den klärenden Satz: “Die Entscheidung, die wir jetzt im Präsidium und im Parteivorstand der SPÖ Wien getroffen haben, ist, dass wir uns für einen mutigen neuen Weg entscheiden.” Damit war klar: Die SPÖ geht in Regierungsverhandlungen mit den NEOS.

Wiederkehr: “Historischer Tag”

Christoph Wiederkehr, Chef der Wiener NEOS, und wahrscheinlich zukünftiger Vizebürgermeister, freute sich: Er sprach von einem “historischen Tag”. Für seine vergleichsweise junge Partei bedeutet die zu erwartende Koalition in Wien eine enorme Festigung. Den Grünen gelang es nach ihrem zeitweiligen Ausscheiden aus dem Nationalrat 2017 vor allem dank ihrer starken Verankerung in den Ländern, besonders in Wien, die Zeit bis zum Wiedereinzug zu überstehen. Ein solches Sicherheitsnetz käme auch den NEOS gelegen.

In der SPÖ war die rotpinke Koalitionsvariante auf breite Zustimmung gestoßen. Das Präsidium votierte einstimmig für Koalitionsgespräche mit den NEOS, im erweiterten Vorstand gab es zwei Gegenstimmen. Die kamen von der Sozialistischen Jugend und dem roten Studierendenverband VSStÖ. Noch vor Beginn der Verhandlungen zog Michael Ludwig rote Linien. Die “gut funktionierende Sozialpartnerschaft” oder die kommunale Daseinsvorsorge stünden nicht zur Debatte. Etwaigen Privatisierungsplänen der NEOS erteilte der Bürgermeister damit eine Absage. Dennoch wolle Ludwig “offenen Herzens” auf die Pinken zugehen.

NEOS-Chef Christoph Wiederkehr sprach von einem “historischen Tag”. Kein Wunder, er könnte bald Vizebürgermeister werden.

Vor allem einflussreiche Rote aus den Flächenbezirken, unter anderem der Donaustädter Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy, hatten offen Symphatien für die Variante Rot-Pink gezeigt. Der neue Vorsteher der Leopoldstadt, Alexander Nikolai, kassierte für sein allzu forsches Drängen sogar einen Rüffel vom Bürgermeister. Der neue Mann im Zweiten Bezirk werde sich noch “in die Kommunikationsdisziplin einordnen”, wie Ludwig sagte.

Wer sitzt in der neuen Regierung?

Der Stadtsenat soll übrigens nicht vergrößert werden. Die SPÖ hielte damit bei sechs Sitzen, die NEOS bekämen einen. Dass den Grünen ein zweiter Sitz in der Stadtregierung zugestanden wäre, soll laut SPÖ keinen Einfluss auf dei Entscheidung gehabt haben. Weder Ludwig noch Wiederkehr äußerten sich darüber, welches Ressort zum neuen Partner wandern solle. NEOS-Chef Christoph Wiederkehr hatte sich im Wahlkampf vor allem für Bildungsthemen stark gemacht. Dass er gerne Bildungsstadtrat würde, ist kein Geheimnis. Doch was ist mit dem derzeitigen Amtsinhaber Jürgen Czernohorszky? Im ZackZack-Interview hatte dieser nicht kategorische ausgeschlossen, sein Amt abzugeben. Bürgermeister Ludwig sagte, er wolle mit seinem derzeitigen Team weiterregieren. Rochaden innerhalb der roten Regierungsmannschaft sind eher nicht wahrscheinlich. Möglich wäre, dass Czernohorszky das Verkehrsressort von der derzeitigen Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (Grüne) übernimmt.

Grüne hoffen noch auf Scheitern

Die Grünen hoffen ihrerseits noch auf ein Scheitern der Verhandlungen zwischen Rot und Pink. Die grüne Klubchefin im Nationalrat, Sigrid Maurer, will die Hoffnung nicht aufgeben, dass ihre Partei so doch noch in die Stadtregierung kommt. Gegenüber Ö1 sagte sie, Verhandlungen seien erst abgeschlossen, wenn das Papier unterschrieben sei. Bis 24. November muss ein solches Papier jedenfalls vorliegen, denn dann tritt der neu gewählte Wiener Gemeindrat zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen und wählt den Bürgermeister. Ludwig will daher bis Mitte November die “erste sozial-liberale Koalition Österreichs” ausverhandelt haben.

Sigrid Maurer, Klubchefin der Grünen im Nationalrat, hält ein Scheitern der Verhandlungen zwischen SPÖ und NEOS für möglich.

Ist die Hoffnung der Grünen realistisch? Bürgermeister Ludwig demonstrierte große Entschlossenheit, ein Übereinkommen mit den NEOS zu erzielen. “Die NEOS haben noch nicht viel Regierungserfahrung, wenn man von der Beteiligung in Salzburg absieht. Aber ich bin überzeugt – auch aufgrund vieler Gespräche, die es auch im Zuge des Wahlkampfes gegeben hat -, dass der Klubvorsitzende Christoph Wiederkehr sich sehr ernsthaft beteiligen möchte an einer Regierung”, sagte Ludwig. Gleichzeitig stellte er dem Verhandlungspartner die Rute ins Fenster: “Falls sich zeigen sollte, dass die vertiefenden Gespräche nicht das halten sollten, was in der Sondierung angesprochen worden ist, gibt es erfreulicherweise für die SPÖ andere Optionen.”

Auswirkungen auf die Bundespolitik

Die Koalitionsgespräche zwischen SPÖ und NEOS entscheiden nicht nur über den künftigen Kurs der Bundeshauptstadt, sie haben auch große bundespolitische Bedeutung. Mit der Abkehr vom bisherigen Partner Grüne erreicht SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig eine “Frontbegradigung” zwischen der Stadt und der türkis-grünen Bundesregierung, stellte OGM-Chef Wolfgang Bachmayer fest. Das sei für Ludwig auch als jetzt “tonangebendem Politiker der Bundes-SPÖ” wichtig. Die Verhandlungen werden von acht Gruppen aus jeweils zwei Politikern und Experten geführt: Sie heißen “Stadt der Arbeit”, “Leistbare Stadt”, “Lebenswerte Klimamusterstadt”, “Moderne Stadt – Smart City”, “Stadt des Wissens – Bildung”, “Sozialer Zusammenhalt”, “Respektvolles Miteinander” und “Transparente Stadt”. Die Aufsicht über diese Verhandlungsteams führen Kerngruppen, denen die jeweiligen Parteichefs angehören.

Wolfgang Bachmayer zeigte sich überzeugt, dass nicht nur die Frage des einen Stadtrats weniger für die kleineren NEOS ausschlaggebend war dafür, dass sich die SPÖ in der Frage der Koalitionsverhandlungen gegen die Grünen entschieden hat. Ludwig habe diese Entscheidung sicher auch im Bewusstsein getroffen, dass jetzt er die SPÖ-Linie im Bund vorgeben könne. “Da ist er mit einer Bundes-Oppositionspartei allemal besser aufgestellt” als mit dem Koalitionspartner der ÖVP im Bund, konstatierte der OGM-Chef im Gespräch mit der APA.

“Interessante Gespräche mit Hebein”

Bundesparteichefin Pamela Rendi-Wagner könne jedenfalls aufatmen, ihr Verbleib sei mit dem starken Wiener Wahlergebnis wohl gesichert – sei doch zu erwarten, dass Ludwig nicht gegen sie agieren, sondern vielmehr wie früher der Niederösterreicher Erwin Pröll in der ÖVP “ohne große Worte die Richtung auch der Bundespartei vorgeben” werde.

Auf die Frage, ob er die Zusammenarbeit mit der derzeitigen Vizebürgermeisterin vermisse werde, antwortete Ludwig vielsagend: “Ich bin überzeugt, dass ich auch in Zukunft mit Birgit Hebein sehr interessante Gespräche führen werde.”

(tw/APA)

Titelbild: APA Picturedesk

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