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Das Warten hat ein Ende – Eugen Freund zum Wahlkrimi

Eugen Freund zum Wahlkrimi

Der langjährige USA-Experte Eugen Freund ordnet exklusiv für ZackZack die letzten Tage der Wahl ein, die in die Geschichte eingehen wird. Besonderes Augenmerk: Das Verhalten der Medien.

Wien/Washington, 07. November 2020 | Seit mindestens 24 Stunden führte Joe Biden in Arizona, Nevada, Georgia und Pennsylvania. Erst heute am späten Vormittag (US-Zeit) war es soweit: CNN und andere TV-Anstalten erklärten ihn zum Gewinner der Präsidentschaftswahlen. Dass sie so lange warteten, hatte einen Grund und der lautet: Florida 2000. Dort war der Wahlausgang so knapp, dass lange Zeit nicht klar war, ob nun George W. Bush oder Al Gore der nächste Präsident werden würde. Ähnliches spielte sich 20 Jahre später wieder ab – sogar in mehreren Bundesstaaten. Und so schaute das Medienverhalten damals, zwei Tage nach den Präsidentschaftswahlen 2000:

Alle vier Jahre erleben die USA das gleiche Spiel: am Tag nach der Wahl gibt es zumindest eine ganzseitige Anzeige in den großen Tageszeitungen des Landes, in der sich eine ganz bestimmte amerikanische Fernsehanstalt dafür rühmt, die erste gewesen zu sein, die den Sieg von Präsident X verkündete. Diesmal sucht man vergeblich nach dem Bild von Dan Rather, Peter Jennings, Tom Brokaw oder Bernard Shaw. Jetzt weiß man auch warum. Denn noch immer kennt niemand den Gewinner der amerikanischen Präsidentschaftswahlen – aber wenigstens die Verlierer stehen schon fest: es sind die kommerziellen amerikanischen Fernsehanstalten. In ihrem Bedürfnis, die schnellsten sein zu wollen, jedenfalls aber schneller als die Konkurrenz, haben sie einen anderen Anspruch völlig aufgegeben: nämlich die Wahrheit, oder wenigstens Tatsachen zu verbreiten. 6 TV-Sender haben in der Wahlnacht “live” über den Ausgang berichtet, und alle haben sich der gleichen Basisdaten bedient: exit-polls, also Umfragen unter Wählern, die schon abgestimmt haben. Im Fall von Florida lagen sie falsch: sie verkündeten Gore zum Sieger und schafften damit ein Klima, das möglicherweise dem Vizepräsidenten den Sieg gekostet hat. Zu diesem Zeitpunkt – und das war ein erstes kapitales Vergehen der TV-Netze – waren die Wahllokale in einem Teil dieses südlichen Bundesstaates noch geöffnet – sie liegen nämlich im sogenannten “Panhandle“ im Westen, in einer anderen Zeitzone in der noch länger gewählt werden durfte: man kann sich vorstellen, was in den Köpfen möglicher Gore-Wähler vorgegangen ist, die eigentlich zur Wahl gehen wollten, aber es dann nicht mehr für notwendig erachtet haben, nachdem Gore zum Sieger erklärt wurde. Der nächste Fehler passierte rund sechs Stunden später: um 2 Uhr 20 trompetet Peter Jennings von ABC den Sieger heraus: diesmal wird George Bush zum Präsidenten erklärt, obwohl ein  kleiner, aber entscheidender Prozentsatz an Stimmen in Florida noch immer nicht ausgezählt ist – wie die Lemminge folgen jeweils eine Minute später dann die anderen Fernsehgesellschaften mit der gleichen Meldung (auf die auch wir ausländischen Berichterstatter in Washington angewiesen sind, schließlich sind wir sonst immer gut bedient worden…)

Auch wenn die Spannung über den Wahlausgang und die Unregelmäßigkeiten in Florida diese Diskussion einigermaßen überdecken (und wer kann von den Fernsehanstalten auch erwarten, dass sie ihre eigenen Unzukömmlichkeiten zum Hauptthema machen) so sind schon kritische Stimmen zu hören – zum Teil von den „Tätern“ selbst: Dan Rather, der Anchorman von CBS nahm sich kein Blatt vor den Mund und sagte in die Kamera: “Wenn sie über uns empört sind, so kann ich Ihnen nur recht geben.” Und Tom Brokaw von NBC sprach davon, nicht nur Eier in sein Gesicht geschmissen zu bekommen, sondern ein ganzes Omelett.

In der Vergangenheit ist jeder Versuch, die TV-Gesellschaften von ihren voreiligen Voraussagen abzubringen, abgeschmettert worden. “Was wir wissen, wollen wir auch unseren Sehern mitteilen”, lautete das Argument. Nun beginnt aber doch ein Nachdenkprozess. Wenn beim nächsten Mal “der Finger juckt”, wie sich Daryl Kagan von CNN am Donnerstag ausdrückte, werden sie der Versuchung widerstehen, die entsprechende “SIEGER-” Taste zu drücken. Oder erwartet man sich mit einem solchen Anspruch doch zu viel von den konkurrenzierenden, kommerziellen TV-Anstalten in den USA?

Tatsächlich war das Debakel in Florida entscheidend für das Medienverhalten in den Jahren danach. Zugute gekommen ist dem freilich auch, dass die Ergebnisse danach nicht mehr so knapp waren, Bush gewann die Wiederwahl 2004 eindeutig. Barack Obama schlug John McCain mit 365 zu 173 Wahlmänner-Stimmen, auch bei seiner Wiederwahl gab es keine Zweifel. Auch Donald Trump siegte 2016 über Hillary Clinton, auch wenn sie 3 Millionen mehr Wählerstimmen bekam als ihr Konkurrent.

Diesmal sind wir allerdings wieder dort, wo wir vor 20 Jahren waren: die TV-Anstalten waren übervorsichtig, bis dort jemand die „SIEGER“-Taste drückte. Jetzt hat das Warten ein Ende.

Titelbild: APA Picturedesk

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