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Warum das BVT den Anschlag nicht verhinderte – Eine Analyse von Peter Pilz

Eine Analyse von Peter Pilz

Heute wissen wir: Kujtim F. war kein terroristischer Einzeltäter, so wie Karl Nehammer kein politischer Einzeltäter ist. Aber das Kettenversagen von acht ÖVP-Innenministern hat die Voraussetzung für den Erfolg des Anschlags vom 2. November 2020 geschaffen: ein gelähmtes BVT.

 

Peter Pilz

Der Artikel wurde am 12.11. um 10:13 Uhr aktualisiert.

Wien, 11. November 2020 | Jeder österreichische Innenminister will terroristische Anschläge in seinem Land verhindern. Das gilt auch für Karl Nehammer und seinen Vor-Vorgänger Wolfgang Sobotka. Trotzdem trifft beide eine große Mitschuld: Sie haben gemeinsam mit Ernst Strasser, Günther Platter, Liese Prokop, Maria Fekter und Johanna Mikl-Leitner aus dem BVT ein Amt, in dem die Angst vor dem Minister und seinen Spitzenbeamten das Handeln bestimmt, gemacht.

Verhaftung oder Dienstweg

Um das zu verstehen, muss man sich in die Lage eines Beamten im BVT versetzen. Der Beamte der ND-Abteilung – der Abteilung für Nachrichtendienste – bekommt über das Europol-Verbindungsbüro des Bundeskriminalamtes einen Bericht vom slowakischen Dienst NAKA. Zwei verdächtige Österreicher haben am 21. Juli 2020 ohne Waffendokumente versucht, Kalaschnikow-Munition in Bratislava zu kaufen. Dabei sind sie gefilmt worden.

Der Beamte legt Bericht und Fotos seinem Kollegen im Terrorismus-Referat vor. Ein schneller Abgleich ergibt einen Treffer: den späteren Attentäter Kujtim F. Eine kurze Nachschau in der Datenbank ergibt, dass Kujtim F. zwei Drittel seiner Strafe wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung abgesessen hat und jetzt auf Bewährung auf freiem Fuß ist.

Die Verfassungsschützer wissen jetzt, dass der Terrorist Kujtim F. versucht, für eine Kalaschnikow Munition zu beschaffen. Er muss diese Waffe bereits besitzen. Das Auto, in dem er mit einem Komplizen nach Bratislava gefahren ist, gehört der Mutter des Djihadisten, über den das BMI den slowakischen Nachrichtendienst NAKA informiert: “Wegen seiner Radikalisierung wurden bereits Verfahren gegen ihn geführt. Er hat eine positive Einstellung zum Djihad und zum Islamischen Staat”. Gleichzeitig hat der Wiener Verfassungsschutz Treffen zwischen Kujtim F. und Djihadisten aus Deutschland und der Schweiz beobachtet. Eigentlich ist alles klar: Kujtim F. muss sofort verhaftet werden.

Nach § 75 der Strafprozessordnung sind die Beamten verpflichtet, jetzt Anzeige bei der Staatanwaltschaft zu erstatten, nach § 100 haben sie dem Staatsanwalt sofort zu berichten. Aber so einfach ist das nur im Gesetz. Denn vor den Beamten liegt der Amtsweg.

Am Ende des Dienstweges

Nach zwanzig Jahren fast ununterbrochener ÖVP-Herrschaft im Innenministerium haben viele Beamte eines gelernt: Es wird nichts getan, was den Minister und seine Partei verärgern könnte. Also überlegt ein Beamter in dieser Situation eines: Wenn ich jetzt am kürzesten Weg den Staatsanwalt informiere, erfährt der Minister aus der Zeitung, dass ein Anschlag vorbereitet wurde. Dann macht mich der Minister fertig. Wenn ich vorher direkt den Minister informiere, umgehe ich den Dienstweg. Dann machen mich der Leiter des BVT, der Generaldirektor für Öffentliche Sicherheit, der Generalsekretär und der Kabinettschef fertig.

Aber es gibt einen Ausweg: den Ruf-Weg. Franz Ruf, der Generaldirektor für Öffentliche Sicherheit, hat ihn kurz nach dem Anschlag selbst beschrieben. Die Salzburger Nachrichten berichten: „Laut Ruf ist eine Gefährdungseinschätzung immer ein “umfassender Prozess”. Erst wenn diese abgeschlossen ist und sich weitere Ermittlungsansätze ergeben hätte, wäre der Rechtsschutzbeauftragte im Innenministerium damit befasst worden.“ Ruf erklärt: „Da gibt es viele Elemente, die man mitbeurteilen muss. So etwas kann man nicht im Schnellschuss abhandeln.“ Ruf kommt zu einem erstaunlichen Schluss: Die Ermittlungen seien „auf hohem Niveau“ gelaufen. Am Ende wurden die Schnellschüsse der Kalaschnikow des Täters überlassen.

Auf diesem „hohen Niveau“ geht der Dienstweg meilenweit am Pfad, auf dem die Terroristen kommen, vorbei. Aber es ist der Weg, an dem der Generaldirektor und der Wiener Polizeipräsident als Dienstwegweiser stehen. Auf diesem Weg gehen die Beamten kein internes Risiko ein. Sie untersuchen weiter, bis an die Stelle der drohenden Gefahr unwiderlegbare Beweise getreten sind. Sie versuchen, den Täter zweifelsfrei zu überführen – und nicht, die Tat zu verhindern. Damit wälzen sie das Risiko auf die Personen, die am Abend des 2. November zufällig am falschen Ort sind, ab. Diese Menschen werden zu doppelten Opfern: des terroristischen Netzwerks und des Versagens eines politisch missbrauchten Verfassungsschutzes. Am 2. November liegen vier Menschen am Ende des Dienstweges.

Titelbild: APA Picturedesk

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