Freitag, März 29, 2024

Tristan Ammerer (Grüne) im Interview – “Das BVT braucht eine grundsätzliche Neuaufstellung.”

“Das BVT braucht eine grundsätzliche Neuaufstellung.”

Der Grüne Tristan Ammerer ist seit 2019 Bezirksvorsteher des Grazer Bezirks Gries. ZackZack sprach mit ihm über seine Arbeit als Bezirksvorsteher, die Berichterstattung des Anschlags und poltische Konsequenzen.

 

Wien/Graz, 14. November 2020

ZackZack: Herr Ammerer, Ihre Vorschläge als Bezirksvorsteher widersprechen oft den Plänen des Bürgermeisters Siegfried Nagl (ÖVP). Wie gehen Sie damit um?

Tristan Ammerer: Eigentlich ganz gut, aber es ist schon auch frustrierend, wenn man für einen Bezirk zuständig ist, der einem Bürgermeister so sehr egal ist. Die Hälfte meiner Tätigkeit besteht darin, dass ich mich gegen Vorschläge wehren muss, die für den Bezirk schlecht wären. Vor allem den riesigen Autotunnel, den sie in meine eigene Wohnstraße reinleiten wollen. Ich befinde mich gerade im Stadium der Beschwerde des Bundesverwaltungsgerichts gegen den OVB-Bescheid des Tunnels. Wir kämpfen für eine Straßenbahn durch den Bezirk, damit die Süd-West Verbindung gestärkt wird. Das ist wahrscheinlich das Verkehrsprojekt in Graz, um die Stadt zukunftsfähig zu machen in puncto Verkehr.

ZZ: Wie sehen Ihre derzeitigen Tätigkeiten als Bezirksvorsteher aus?

TA: Meine politische Tätigkeit ist derzeit durch die Corona-Pandemie eingeschränkt. Normalerweise besteht meine Arbeit zum größten Teil darin, bei Veranstaltungen zu sein, die derzeit nicht stattfinden können.

ZZ: Sie treten gerne als bürgernaher Bezirksvorsteher auf. Welche Ausweichmöglichkeit gibt es da im Angesicht der Pandemie?

TA: Ich vermeide das ganze Jahr schon Veranstaltungen, vor allem in geschlossenen Räumen. Ich renn’ den ganzen Tag im Bezirk herum und die meisten Leute, die ich treffe, sind eher älter. Mir ist das sehr bewusst, dass ich die Verbindungsperson bin und daher ein potentieller Superspreader. Das macht die Sache herausfordernd und deswegen bin ich besonders vorsichtig.

Grundsätzlich weiß man, dass man bei mir weiß, dass meine Nummer frei verfügbar ist und jeder kann sich bei mir melden. Sie tun es auch, weil ich jemand bin, der für jeden immer ansprechbar ist. Eigentlich komme ich selber aus einer bürgerlichen Familie, bin aber in einem Arbeiterdorf aufgewachsen und sozialisiert worden. Das ist das soziale Umfeld, in dem ich mich wohlfühle und das merken die Bewohner. Der grüne Typus vom Akademiker, der sich unter Arbeitern nicht immer wohlfühlt, bin ich nicht.

ZZ: Sie waren zuletzt in den Medien wegen des Synagogenanschlags in Graz präsent. Gegenwind gab es durch Androhungen der Polizei aufgrund der Mahnwache. Mittlerweile stellte sich heraus, dass zwei Anzeigen nicht getätigt wurden und eine weitere eingestellt wurde. Spricht das für Ihren Erfolg?

TA: Ich bin immer davon ausgegangen, dass die Anzeigen nie durchgegangen wären. Selbst wenn die Anzeige nicht sofort eingestellt worden wäre, dann hätte ich sie beeinsprucht und dort gewonnen. Im schlimmsten Fall hätte ich es vor dem Landesverwaltungsgericht gewonnen. Aber ich finde es gut, dass die Polizei von sich aus eingestellt hat, denn das habe ich gefordert.

ZZ: Gab es nach dem Anschlag wieder bemerkbare Unruhen in diese Richtung?

TA: Mit Blick auf Attacken auf die jüdischen Gemeinde ist mit dem Schweregrad nichts aufgefallen. Es wäre erschreckend gewesen, wenn direkt nach den Attacken noch etwas passiert wäre.

Das Thema Antisemitismus ist gesamtgesellschaftlich zu behandeln und das hört auch nicht auf. Das ist eines meiner Sachen, bei der ich mich ziemlich reinhaue und es natürlich viel zu tun gehabt: es gibt eine „Friedensplattform“, die sich eine Veranstaltungsreihe für die Tage der Novemberpogrome ausgedacht hat. Die beschäftigen sich massiv mit sogenannter „Israelkritk“. Durch den Lockdown finden diese nicht statt. Ich habe dafür gesorgt, dass ihnen die Räumlichkeiten in dem Bezirk, in dem ich zuständig bin, entzogen wird. Darüber bin ich sehr froh, denn Antisemitinnen und Antisemiten gibt es genug.

ZZ: In den letzten Tagen gab es massive Kritik an der Berichterstattung rund um das Attentat. Fordern Sie Konsequenzen von oder für einschlägige Medien?

TA: Die Verbreitung der Videos von OE24 und Krone ist zutiefst abscheulich, verkommen und ekelhaft. Ich fordere von den staatlichen Stellen, die dort inserieren, mehr Zurückhaltung, auch wenn mir bewusst ist, dass sich sowohl die Stadt Wien als auch die Bundesministerien in einer Art Geiselhaft des Boulevards befinden. Dazu gibt es genug Recherchen, wie diese Zeitungen funktionieren. Als Grazer Lokalpolitiker bin ich zu unwichtig, deswegen hab ich Unternehmen angeschrieben, die in diesen Medien inserieren. Auch der Chef einer Eventagentur hat dazu aufgerufen, dort keine Inserate mehr zu buchen. Man muss diesen ekelhaften Voyeurismus nicht fördern.

Fast alle davon haben mir zugesichert, dass sie ihre Inserate stornieren. Ich hab’ gesehen, das manche davon weiterhin inserieren. Es war aber trotzdem ein wichtiges Zeichen, dass diese Art der Berichterstattung österreichweit verurteilt wurde. Man hat gesehen, dass Wolfgang Fellner sich dabei ordentlich verschätzt hat. Zuerst hat er beim Kurier deponiert, dass er diese Aufregung nicht verstehen kann und einen Tag später war er schon so weit, dass er sich entschuldigt. Er scheint also doch genug Probleme bekommen haben.

ZZ: Werden die stornierten Inserate zu einer langfristigen Abschreckung sorgen?

TA: Ich glaube nicht. Fellner und Krone werden es wieder tun. Aber es ist wichtig, dass es ihnen einmal auf die Zehen gefallen ist und sie merken, dass es Grenzen gibt.

ZZ: OÖ-Landeshauptmann Stelzer (ÖVP) hat den Vorschlag der Sicherungshaft früh eingebracht. Wird das Attentat für Law-and-Order-Politik ausgeschlachtet werden?

TA: Zum einen ist das ein Ablenkungsmanöver, wegen des Skandals im Innenministerium und zum anderen ist das ekelhaft. Die ÖVP und Herr Stelzer wissen ganz genau, dass die bestehenden Gesetze ausgereicht hätten, um diesen Anschlag zu verhindern. Es war ein Behördenversagen, das dazu geführt hat. Ein paar Tage später das Attentat für eine politische Agenda zu missbrauchen, auf dem Rücken der Opfer, ist unglaublich zynisch.

ZZ: Welche Maßnahmen wären angemessener gewesen?

TA: Das BVT braucht eine grundsätzliche Neuaufstellung. Die Prioritäten sind dort offenbar vollkommen verkehrt. Das ganze Amt ist voll von Leuten, die von Parteien eingesetzt worden sind, um hauptsächlich ihre Zeit als Informanten zu verbringen. Das sind unverzeihliche Fehler, die dort passiert sind.

ZZ: Auch Ihre Partei sitzt in der Bundesregierung. Wie sehen Sie die Performance der letzten Monate?

TA: Ich habe noch immer die gleiche Einstellung wie im Jänner, als mich die Kronen Zeitung gefragt hat: „Ich weiß nicht, ob es das wert gewesen sein wird.“

Es geht aber nicht um meine persönliche Schmerzgrenze, sondern um die gesellschaftliche, welche wesentlich höher ist. Sowohl als Studierendenvertreter, als auch als Menschenrechtsaktivist rütteln diese Themen an mir.

Die folgen aber auch alle ein- und demselben Muster: die ÖVP geht an die Öffentlichkeit mit einer Wahnsinnigkeit, präsentiert es als fixes Regierungsvorhaben und vier Tage später ist das durch alle Medien durchgekaut, und dann kommt erst so langsam raus, dass sie eigentlich noch in Verhandlung sind mit den Grünen. Das war auch mit der Leistungspflicht auf den Unis so. Da hat sich dann herausgestellt mit den 16 ECTS, dass es überhaupt noch nicht ausverhandelt ist. Im Rahmen der Reform sind wichtige und nötige Punkte enthalten, die von den Grünen rein reklamiert wurden. Zum Beispiel die Möglichkeit eines berufsbegleitenden Teilzeitstudiums. Das ist längst überfällig und enorm wichtig.

Moria ist die allertraurigste Geschichte, weil sich die Grünen überhaupt nicht durchsetzen konnten und Nehammer die Hilfe sabotierte.

ZZ: Beeinflusst man mit dieser Medienstrategie bewusst die Koalition, wenn gewisse Inhalte vorzeitig veröffentlicht werden? Treibt die ÖVP die Grünen in der Regierung vor sich her?

TA: Die ÖVP arbeitet gezielt damit, an der Schmerzgrenze der Grünen herumzusurfen. Es gelingt ihnen mal besser, mal schlechter. Ich kann nicht sagen, ob die ÖVP die Grünen über den Tisch gezogen hat, da es oft noch keinen fertigen Gesetzestext gibt. Abzüglich der 16 ECTS-Leistungsreform ist die Reform gar nicht so schlecht. Aber es ist noch nichts fix.

ZZ: Wie sehen Sie die teilweise verfassungswidrigen Verordnungen aus dem Gesundheitsministerium?

TA: Zumindest die neue Verordnung ist wesentlich besser als die erste Version, welche überhaupt nicht gut war. Natürlich muss es selbstverständlich sein, dass man eine Verordnung verfassungskonform erstellt. Wenn das nicht möglich ist, hat man ein Problem. Aber so, wie ich das sehe, haben sie dort eine Fehlerkultur. Im Großen und Ganzen sieht man aber, dass die ÖVP probiert, Gesundheitsminister Anschober zu beschädigen.

ZZ: Hat das was mit Anschobers hohen Beliebtheitswerten zu tun?

TA: Selbstverständlich. Schließlich war bis dahin Kurz der beliebteste Politiker.

ZZ: Zurück zum Attentat: Sie glauben, man hätte es verhindern können?

TA: Auf jeden Fall. Es hat ja den Tipp gegeben vom slowakischen Geheimdienst. Der ist untergegangen. Hätte man sich das angeschaut, dass jemand Munition kauft und ein bekannter Gefährder ist, ist das ein klarer Fall. Da hätte eingeschritten werden müssen. Es hätte verhindert werden müssen.

Das Interview führte Martin Pichler.

Titelbild: Nikola Milatovic

Redaktion
Redaktion
Die ZackZack Redaktion
LESEN SIE AUCH

Liebe Forumsteilnehmer,

Bitte bleiben Sie anderen Teilnehmern gegenüber höflich und posten Sie nur Relevantes zum Thema.

Ihre Kommentare können sonst entfernt werden.

Jetzt: Polizeiäffäre "Pilnacek"

Denn: ZackZack bist auch DU!