Sonntag, November 3, 2024

Sebastian Kurz: Propaganda statt Gesundheit – Das Massentest-Chaos

Das Massentest-Chaos

Mit Massentests will Sebastian Kurz der Bevölkerung sichere Weihnachten „schenken“. Aber hinter den Kulissen herrscht Chaos. Am Sonntag waren die Massentests nicht mehr als ein großer Kanzler-Auftritt in der Pressestunde. Jetzt soll das Bundesheer mit einem Noteinsatz dem Kanzler aus der Test-Falle helfen. Aber im Heer befürchtet man, dass die Test-Infrastruktur zusammenbricht. Wie vor der zweiten Welle gibt es auch jetzt keinen gemeinsamen Plan. Alle improvisieren, aber niemand weiß, ob es gut geht, heißt es laut Insiderinfos aus dem Kanzleramt.

Wien, 26. November 2020 | Der PR-Faden von Sebastian Kurz ist gerissen: In den Umfragen ist der Kanzler auf Talfahrt, der zweite Voll-Lockdown bringt das Fass jetzt zum Überlaufen. Was ist passiert?

Die Panik-Propaganda

Am Samstag, dem 14. November, macht das Corona-Quartett wieder das, was es am besten kann: eine Pressekonferenz. Aber schon kurz nach dem Auftritt weiß der Kanzler, dass es diesmal nicht funktioniert hat. Der Appell des Gesundheitsministers, dass die nächsten zwei Wochen wieder die entscheidenden seien, ist diesmal zu wenig. Mitten in der zweiten Welle steht die Regierung ratlos vor ihren Journalisten.

Die PR-Berater rund um Gerald Fleischmann wissen, dass der Kanzler am nächsten Vormittag in der ORF-Pressestunde nur mit einer großen Ankündigung wieder in Schwung kommen kann. Aber weder Gesundheitsminister noch Innenminister haben etwas im Köcher. Der PR-Trupp findet die Lösung im Osten: bei den Massentests der Slowakei. Kurz weiß, dass das Gesundheitsministerium den Massentests eher ablehnend gegenübersteht. Aber das ist jetzt egal. Am Vormittag des 15. November übernimmt Kurz in der ORF-Pressestunde die Führung und kündigt Massentests an.

Noch vor Weihnachten könnten nach dem Vorbild der Slowakei „Zehntausende Infizierte aus dem Verkehr gezogen werden“. Die Details „sollen bis zum Wochenende stehen“. Die überraschten Journalisten fragen nicht nach und kommen so nicht drauf, dass kein einziges Detail „steht“ und die Entscheidung weder mit Gesundheitsminister noch mit Experten abgesprochen ist. Der Propaganda-Gag zündet. Aber niemand hat einen Plan, wie Insider aus dem Umfeld des Kanzlers jetzt gegenüber ZackZack bestätigen.

Gesundheitsminister Anschober wird kurzfristig informiert. Er hat die Wahl, dem Kanzler zu folgen oder erstmals einen eigenen Weg zu gehen. Anschober folgt. Aber auch er weiß nicht, wie es gehen soll.

Einen Tag nach der Pressestunde lässt Kurz am Montag Abend Experten per Videokonferenz ins Kanzlerkabinett schalten. Die Entscheidung ist ohne Experten getroffen worden. Jetzt sollen sie erklären, wie alles schnell funktionieren kann. Nach der Konferenz ist klar, dass das nur geht, wenn es schnell geht.

Die Bundesbeschaffungsgesellschaft BBG führt von der oberösterreichischen MIKKA GmbH bis zu Herba Chemosan 20 Anbieter von Antigen-Tests in ihren Listen. Über einen Rahmenvertrag der BBG kann bei diesen Unternehmen in Tranchen bestellt werden. Einen Tag nach der Videokonferenz mit den Experten übermittelt die Firma Roche ein Angebot für vier Millionen Antigentests. Mit 6,50 Euro pro Stück gehören die Roche-Tests zu den teuersten am Markt. Die Slowakei hat um rund 50 Prozent billiger bestellt. Aber für eine wirtschaftliche Vorgangsweise, und damit für eine Ausschreibung, ist keine Zeit. „Die Republik Österreich, vertreten durch die Bundesministerin für Landesverteidigung, diese vertreten durch den Kommandanten des Kommandos Streitkräftebasis ruft gem. Abrufvertrag der Bundesbeschaffung GmbH folgende Leistungen ab: 4.000.000 Stück SARS COV2 Antigentests“ von Roche Diagnostics. Siemens Healthcare erhält einen Auftrag über drei Millionen Tests. Die beiden Pharma-Riesen der Liste machen das schnelle Geschäft.

Aber warum bestellt das Bundesheer die Millionen Tests für die Kurz-Aktion?

“General-Mobilmachung“

30 Soldaten des Bundesheers haben die slowakischen Tests vor Ort unterstützt, bestätigt das Bundesheer gegenüber ZackZack. Das reicht, um dem Heer den Marschbefehl für einen Einsatz, für den es nicht gerüstet ist, zu erteilen.

Im Bundesheer gebe es noch „überhaupt keine Planung“. Das bestätigt Bundesheer-Sprecher Michael Bauer gegenüber ZackZack noch am Donnerstag, dem 18. November. Die Tests von Tausenden Lehrerinnen und Lehrern könne man nun durchführen, aber auch da seien die westlichen Länder wieder vorgeprescht. „Jedes Bundesland macht etwas anderes. Ein Land sagt, das Bundesheer soll alles machen, aus Vorarlberg heißt es jetzt wieder, das Bundesheer braucht gar nix machen. Bezüglich Massentests sind wir zurück am Start.“

Eine Handvoll österreichischer Sanitäter des Bundesheeres in der Slowakei. Reicht das? Bild: APA Picturedesk.

Aber niemand im Heer weiß, was passiert, wenn am 19. und 20. Dezember Hundertausende oder sogar Millionen Menschen zu den Tests kommen. Stundenlanges Warten in Schlangen im Freien, abhängig vom Wetter und von der Zahl der Soldaten, die das Heer bereitstellen kann. „Wir stellen jetzt Dreiergruppen auf, mit einem Kommandanten, einem, der den Test macht und einem, der alles dokumentiert. Aber wir haben viel zu wenig Sanis. Wo sollen wir die hernehmen?”, sagt ein Generalstabsoffizier zu ZackZack. Dieser berichtet, dass von der Truppe bis zur LAVAK, der Landesverteidigungsakademie, schon Teams für den Testeinsatz aufgestellt werden. Die Test-Mobilmachung trifft von einfachen Soldaten und Unteroffizieren bis zu Offizieren und ein Stern-Generälen alle. Sie ist damit die erste General-Mobilmachung seit langer Zeit. Aber uniformierte Notteams werden nicht reichen. „Massentests kann das Bundesheer alleine nicht stemmen“, stellte das Bundesheer mittlerweile klar.

„Das müssen Sie den Kanzler fragen“

Heute wissen die Militärs nur eines: Im Testeinsatz wird das Bundesheer Tausende positive Testergebnisse dokumentieren. Aber dann sind den Soldaten die Hände gebunden. Sie dürfen keine Absonderungsbescheide ausstellen, weil das Bundesheer keine Gesundheitsbehörde ist. Der positive Bescheid führt die Betroffenen nur zu einem weiteren Test bei der Gesundheitsbehörde, die dann Bescheide ausstellt. Wenn die Millionentests fünf Tage vor Weihnachten stattfinden, stehen die Positiven in den Feiertagen vor den Türen der Behörden.

Auch eine App, mit der sich alle rechtzeitig anmelden können, fehlt trotz einer Ankündigung von Generalmajor Striedinger, dem Stabschef im Kabinett von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP). Wer an einem solchen Programm arbeite, wisse das Bundesheer derzeit nicht, sagt Michael Bauer zu ZackZack. Doch er gehe davon aus, dass im Hintergrund daran gearbeitet werde.

ZackZack fragt nach, ob solche Fragen nicht vor einer vor einer politischen Ankündigung geklärt werden müssten? „Das müssen Sie den Kanzler fragen.“

Propaganda vor Gesundheit

Inzwischen wissen alle Beteiligten: Aus gesundheitlicher Sicht ist ein einmaliger Antigen-Test sinnlos. Auf den Antigen-Test müssten wöchentlich weitere Tests folgen und positive Testergebnisse mit PCR-Tests verifiziert werden. „Nicht die falsch-Positiven, sondern die falsch-Negativen sind unser Hauptproblem“, sagt ein Berater des Kanzlers zu ZackZack. Bei einer Million Tests rechnen die Experten mit 10.000 Testpersonen, deren Infektion im Test nicht erkannt wird. Sie feiern beruhigt Weihnachten – und können dabei die befürchtete Jänner-Welle mit auslösen.

Wahrscheinlich ist derzeit nur Wien für Massentests gerüstet. Mit den Gurgeltests wurde eine erste Basis für Testwiederholungen geschaffen. Andere Bundesländer versuchen seit wenigen Tagen nachzuziehen.

Nur ein Test ganz knapp vor Weihnachten sei vernünftig, wenn man das Infektionsrisiko für Weihnachten wirklich reduzieren wolle, so Experten. Der Vorstoß der ÖVP-Länder Vorarlberg, Tirol und Salzburg mit den Massentests bereits Anfang Dezember sei dagegen sinnlos. Salzburg will am 12. und 13. Dezember die Massentests durchziehen – angesichts der zu erwartenden Reiselust der Menschen zu Weihnachten sei das „waghalsig“, heißt es. In Salzburg sind über dieses Wochenende hinaus „erstmal keine weiteren Massentests geplant“, sagt das Büro von Landeshauptmann Haslauer zu ZackZack. Jene, die positiv getestet werden, plane man, per PCR nachzutesten, allerdings sei man auch hier noch „in Planung, gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium.“

Das frühe Datum 12. begründet man in Salzburg mit der Quarantäne, die für die Positiven rechtzeitig vor Weihnachten auslaufen würde. Tirol-Chef Günther Platter (ÖVP) versteht ebenfalls wenig von Antigentests: „Die flächendeckende Testung Anfang Dezember erscheint uns als idealer Termin“, sagte er am Mittwoch in einer Pressekonferenz. Auch in Vorarlberg sind nur Anfang Dezember Massentests geplant.

Der Kanzler lässt seinen Massen-PR-Plan ohne Rücksicht durchziehen. Der nächste, noch größere wird bereits programmiert: Auf Kurz-Teststraßen sollen schon im Jänner Kurz-Impfstraßen folgen.

(ot)

Titelbild: APA Picturedesk

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